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Donnerstag, 25. April 2024
„Auf überraschende Weise einfach sein...”

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Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 08.07.2018 | |  Archiv

„Stellen Sie sich einmal vor”, sagte einst der österreichische Kybernetiker und Systemtheoretiker Heinz von Förster, „ein Schulkind würde auf die Frage seines Lehrers, wieviel zwei und zwei sei, ´grün´antworten. Statt sich zu fragen, warum das Kind diese unerwartete Antwort gegeben hat, würde der Lehrer die Lösung wohl als falsch werten, dem Kind eine schlechte Note eintragen und es für die ´dumme Antwort´ vielleicht auch noch ordentlich zurechtweisen.” Was das mit dem Mode-Wort „Disruption” zu tun hat? Viel mehr als Sie denken...

Zeit seines Lebens hat von Förster darauf hingewiesen, dass er Schulen für „öffentliche Trivialisierungsanstalten” hielt, in denen Kindern ihre Phantasie ausgetrieben und sie bloß dazu abgerichtet würden, auf die verschiedensten Fragen „die richtigen” – also vorgeschriebenen – Antworten stupide wiederzukäuen.

Damit aber würde man weder die Kinder zu eigenständigem Denken erziehen, noch neue, verblüffende Antworten auf alte Frage erhalten. Ein Drama sei das, und ein Verlust an Kreativität für die gesamte Gesellschaft.

Als großer Fan von Heinz von Förster musste ich an diese kleine Geschichte denken, als ich vor kurzem das interessante Buch „Disruptive Thinking” von Bernhard von Mutius in der Hand hielt. Sie erinnerte mich daran, dass solche – im Försterschen Sinn – überraschende und neue Antworten auf bekannte Fragen hinter jenen Produkten stecken, die unsere Welt in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig verändert haben.

Der Begriff der Disruption beschreibt ein Phänomen, das schon sehr alt ist, aber durch moderne IT-Technologie zusammen mit der globalen Vernetzung durch das Internet eine noch nie dagewesene Beschleunigung und Vielfalt erlebt.

Disruption bedeutet so viel wie Störung, Bruch, Riss, Diskontinuität bzw. Zerschlagung und beschreibt immer das Ergebnis einer nichtlinearen Entwicklung, im Zuge derer scheinbar stabile Märkte, durch eine revolutionäre Idee urplötzlich in ihren Grundfesten erschüttert und radikal verändert werden. Soziale Auswirkungen inklusive.

Noch 2007 träumte Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo von einem Weltmarktanteil von 40% und sprach Apple mit dem iPhone die Chance auf nennenswerte Marktanteile ab. Was für ein selbstgefälliger Irrtum. Während sich Kallasvuo noch sein Gehalt verdoppelte, bastelte Steve Jobs an einer Disruption, deren Erschütterung Nokia innerhalb kürzester Zeit platt machte. – Und ganz nebenbei die Welt veränderte.

Oft wird Disruption mit technischer Innovation gleichgesetzt, was jedoch zu kurz gedacht ist. Von Mutius bringt es auf den Punkt: „Technologie ohne eine humanzentrierte Logik ist blind.” Das bedeutet, dass Technologie alleine wirkungslos bleibt und sich immer nur zusammen mit einer großartigen, sich dieser Technologie bedienenden, Idee durchsetzt.

Die scheinbar einfache Formel: Man muss auf überraschende Weise einfach sein. Uber, Airbnb usw. sind keine neuen Technologien, sondern herausragende Ideen, die Technik bloß kreativ nutzen.

Dabei ist interessant, dass Einfachheit für den Kunden und Komplexität des Produkts kommunizierende Gefäße sind: Will man das eine maßgeblich erhöhen, steigt immer auch das andere. Das heißt, dass Produkte, die Kunden durch ihre geniale Simplizität verzaubern, nach innen meist hochkomplex sind.

Außerdem stellen sie, wollen sie disruptiv sein, bestehende Produkte und Prozesse radikal infrage. Für traditionelle Organisationen bedeutet das, dass sie sich auch selbst infrage stellen müssen, wollen sie nicht Gefahr laufen unterzugehen. Immer öfter stehen diese also vor einem gewaltigen Dilemma, das der ehemalige Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard, folgendermaßen formulierte: „Wer zu früh kommt, verliert ein Vermögen. Wer zu spät kommt, verliert den Markt.”

Für die Großen steht in einem disruptiv geschwängerten Markt also viel mehr auf dem Spiel, als für die Kleinen: Entweder, sie gehen enorme Risiken ein und gefährden ihr traditionelles Geschäft, oder sie verpassen die Zukunft und verschwinden vom Markt.

Daher sind es oft Angreifer von Außen, die die Platzhirsche in Bedrängnis bringen, weil sie nichts zu verlieren haben. Kleine Unternehmen können auf disruptive Veränderungen meist rascher reagieren und ihre Geschäftsmodelle anpassen. Auch wenn das manchmal bedeutet, sich gänzlich vom traditionellen Geschäft verabschieden zu müssen.

In jedem Fall muss von modernen Unternehmen jeder Größe eine Organisationskultur gefördert werden, die auf allen Ebenen selbstverantwortliches, unternehmerisches Denken honoriert und wo mit großer Leidenschaft und Konsequenz der Kunde ins Zentrum aller Überlegungen gerückt wird. Beides wird von traditionellen Organisationen noch immer oft fahrlässig vernachlässigt.

Von Mutius gibt viele praxisnahe Tipps, wie man Unternehmen jeder Größe fit für disruptive Herausforderungen machen kann, wobei dabei ein zentrales, stets wiederkehrendes Element ist, sich selbst, die täglich praktizierten Muster und die Entscheidungsprozesse mutig und tabulos zu hinterfragen.

Dabei essenziell: Eine neue Führungskultur, die Mitarbeiter ermutigt, sich aktiv einzubringen und immer wieder furchtlos unangenehme Fragen zu stellen, statt sich in der Kaffeeküche mit Kollegen im Flüsterton darüber auszutauschen, was da alles schief läuft.

Entlarvend kann dabei der „Creativity Index” sein, der laut von Mutius folgendermaßen „berechnet” wird: Man nimmt die Anzahl der Fragen, die in einem Unternehmen jeden Tag gestellt werden, und multipliziert diese mit der Häufigkeit, mit der ebendort gelacht wird.

Man muss nicht mit einem Startup die Welt erobern und große Konzerne in die Knie zwingen, um mit gutem Gefühl und Stolz seinen Job zu machen. Oft sind es schon die kleinen Dinge, die große Wirkung zeigen. Für gute Ideen braucht es jedoch Abstand vom Alltag, den wir uns (und einander) öfter gönnen sollten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer, mit viel Zeit für Erholung genauso wie für Muße zum kreativen Nachdenken, um mit großem Esprit und vielen neuen Ideen ins Herbstgeschäft zu starten.

Mehr Informationen zum Buch „Disruptive Thinking” von Bernhard von Mutius (GabalV erlag) gibts hier: Link zum Buch

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