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Samstag, 20. April 2024
Ein Ort, an dem die KMU-Welt noch in Ordnung scheint

Kalkül oder reine Nächstenliebe?

Hintergrund | Stefanie Bruckbauer | 30.09.2018 | | 2  Archiv
Bild: amazon Bild: amazon

Diese Woche tingelte eine Meldung durch die deutschsprachige Medienlandschaft: „Amazon Deutschland eröffnet ‚Storefronts’, einen eigenen Onlineshop für kleine Unternehmen bzw. Händler und Handwerksbetriebe.“ Die erste Frage, die sich mir dabei aufdrängte, lautete: Warum tut Amazon das? Was bezweckt der Internetgigant, der nichts selbstlos und ohne Profit daraus zu schlagen macht, damit? ...

Amazon arbeitet aus Kundensicht betrachtet perfekt. Plötzlich liegt einem die ganze Welt als Einkaufstempel zu Füßen, ob Fächer aus Reispapier aus Japan, russischer Wodka, Schokolade aus Belgien oder der handgestrickte Lama-Woll-Pulli aus Peru – egal was, in kürzester Zeit, bekommt man das gewünschte Produkt bis vor die Haustüre geliefert, vom winzig kleinen Microchip bis zum riesengroßen Kühlschrank. Gefällt es nicht, kann man es zurückschicken und bekommt ohne Angabe von Gründen sein Geld zurück.  

Da als stationärer Händler mitzuhalten ist (fast) nicht möglich. Die Ausstellung, das Lager und die Mannschaft müssten gigantisch groß sein, um mit den so oft ins Spiel gebrachten „Vorteilen des stationären Handels“ dagegen halten zu können. So zB damit, das Produkt „angreifen“ und „gleich mitnehmen“ zu können. Dafür müsste man jedes Gerät ausstellen und im Hintergrund genug auf Lager haben. Das macht aber nahezu kein Händler mehr, denn einerseits ist Präsentationsfläche begrenzt und entsprechend wertvoll. Zu groß ist zum anderen das Risiko auf der Ware sitzen zu bleiben (weil der Trend vielleicht plötzlich doch in eine andere Richtung geht), zu hoch ist das in Form von lagernder Ware gebundene Kapital. Also legen sich viele lieber nichts auf Lager und verlassen sich darauf alles (beim Lieferanten, Großhändler oder im Zentrallager) bestellen zu können. Die Krux an der Sache ist: „Ich habe das Modell leider nicht lagernd, kann es aber bestellen und morgen können Sie es abholen“, lockt keinen Kunden mehr hinterm Ofen hervor, vor allem nicht seitdem es den Amazon Prime-Service gibt, dank dem Bestellungen innerhalb von 12 bis 24 Stunden vor der Haustüre landen, und zwar ohne, dass man noch irgendwo hinfahren und etwas abholen muss … 

Als weiteres „Alleinstellungsmerkmal“ des stationären Handels gilt ja zudem die „Beratung“ durch einen kompetenten Verkäufer, der im besten Fall riechen können soll, was sein Gegenüber genau will. Was das Olfaktorische angeht: Verkäufer, die den Kunden nur kurz beschnuppern müssen, um zu wissen, was er begehrt, … aber auch (schrauben wir unsere Ansprüche etwas runter) Verkäufer, die sich einfach nur dafür interessieren, was der Kunde möchte, die ihren Job gerne machen, sind immer schwerer zu finden.

Aber es gibt sie. Dabei macht einen guten Verkäufer meiner Meinung nach nicht sein umfangreiches Detail-Wissen über sämtliche Produkte aus. Es ist angesichts des gut informierten Kunden von heute, der für ein einzelnes Produkt Stunden im Internet mit Recherche verbringt und somit quasi zum Profi auf diesem Gebiet wird, ohnehin fast nicht mehr möglich mit mehr Wissen trumpfen zu können. Einen guten Verkäufer macht in meinen Augen hingegen viel mehr ein offenes Wesen und Freundlichkeit aus, ein ehrliches Lächeln zur Begrüßung, die Fähigkeit die Bedürfnisse des Kunden erheben zu können, ihm den Kaufprozess so komfortabel wie möglich zu gestalten. Und: das Wissen, wo man nachschauen muss, um schnell diverse technische Details über einzelne Produkte in Erfahrung zu bringen. 

Eine weitere Möglichkeit, sich als Händler von allen anderen abzuheben, ist ein Sortiment, das nicht jeder hat und das bringt mich (über Umwege) in gewisser Weise wieder irgendwie zurück zum Thema …

Zurück zum Thema 

Aus Sicht vieler kleiner nicht auf Amazon tätiger Händler ist der Onlinegigant der geschäftsmeuchelnde Teufel und schenkt man den vielen Erzählungen Glauben, hat schon so mancher KMU den Kampf gegen den Internet-Goliath verloren und sein Geschäft zugesperrt. Amazon ist aber wahrlich auch kein einfaches Pflaster für Händler, die diesen Marktplatz nutzen: Chinesische Verkäufer (Übrigens: lt. Handelsverband sind das rd. 30% aller Anbieter auf amazon.at) verderben durch hinterzogene Umsatzsteuer die Preise, Hacker klauen Daten, die relevantesten Plätze in den Suchergebnislisten sind fast nur noch gegen Bezahlung zu ergattern und dann pusht Amazon auch noch immer aggressiver seine Eigenmarken und macht allen anderen Händlern damit mächtig Konkurrenz – bei so viel Druck kann man als Händler schon mal einen Reizdarm bekommen. 

Und jetzt plötzlich bemüht sich der Internetgigant (vorerst zumindest in ausgewählten Ländern, wie zB Deutschland) genau um die kleinen Händler, denen er das Leben eigentlich so schwer macht? Die Situation präsentiert sich wie folgt: Amazon startete Mitte September mit „Storefronts“ – „ein Shopping-Erlebnis für Kunden, die Produkte von kleinen Händlern, Start-ups, Kunsthandwerkern und Herstellern im ganzen Land suchen“, beschreibt das Unternehmen. Dabei kann man nicht nur die Produkte kaufen, sondern auch mehr über die Menschen dahinter erfahren. Ein ganz schöner Aufwand, den der Internetgigant hier betreibt. Die Frage nach dem Warum wird in allerschönstem Konzern-Bla-Bla wie folgt beantwortet: „Kleine und mittlere Unternehmen sind ein wichtiger Teil von Amazons großer Produktauswahl und Kundenorientierung. Mit dem eigenen Online-Shop und der nationalen Werbekampagne, unterstützen wir den Erfolg dieser Unternehmen.“ 

Das Prinzip, lokale Händler zu unterstützen (wie zB in Form der österreichischen Kampagne „Kauft wird zhaus“) macht sich nun also auch Amazon Deutschland zu eigen und wirbt seinerseits für den Einkauf bei den tausenden KMUs aus allen 16 deutschen Bundesländern – natürlich „alles mit dem gewohnten und vertrauten Amazon-Einkaufserlebnis“, wie versprochen wird. Zum Start von „Amazon Storefronts“ sind über 100.000 (!) Produkte aus den Kategorien Spielzeug, Lebensmittel, Elektronikartikel, Schmuck und Haustierprodukte erhältlich. Und nicht nur das! Um den Kunden die Gesichter hinter den Unternehmen zu zeigen, wird jede Woche ein Verkäufer in einem Video vorgestellt. In kurzen, wechselnden Portraits werden darüber hinaus kleine und mittlere Unternehmen präsentiert, „vom Familienunternehmen über von Frauen geführten Unternehmen bis hin zu nachhaltigen Unternehmen“, beschreibt der Onlineriese, dem man dabei genau anmerkt, worauf er zwischen den Zeilen abzielt und die Aufmerksamkeit der Kunden lenken will: Familie, starke selbständige Frauen, Nachhaltigkeit, Umwelt, … Amazon ist so ein grundgutes Unternehmen.    

Heile Welt 

Es ist eine wahrlich meisterhafte Inszenierung von Amazon. Der Internetgigant lässt den Zuschauer fast glauben, dass es ihn gibt, den Ort, an dem die KMU-Welt noch in Ordnung ist.

Kleine Händler werden nach allen Regeln der PR in Szene gesetzt. Wie im Bilderbuch produzieren herzige Protagonisten vor Traumkulissen sympathische Produkte wie Türschilder und Holzspielzeug oder handgemachte Fackeln aus Beton. Für letztere rührt der Unternehmensinhaber sogar den Beton selbst an. Überall findet sich viel Herz, Charme und verspielte (natürlich „handgemachte“, „lokal produzierte“ und „nachhaltige“) Details. Teils scheint es, als würde gleich Heidi von der Alm persönlich im Dirndl gekleidet erscheinen und die Produkte Stück für Stück händisch produzieren. Fehlt nur noch im Hintergrund der Ziegenpeter, der die Wolle bringt, und der zusammengerollt schlummernde Berner Sennenhund zu Heidis Füßen unter der Werkbank. Postkartenidylle pur im Internet! Das alles wirkt so wahnsinnig nett, sympathisch und herrlich unglobalisiert, dass man sofort in eines der vorgestellten Handwerk-Paradiese fahren will, um den dort ansässigen Händler zu Herzen … 

Der Gipfel für mich persönlich ist jedoch oben genannte Werbekampagne. Man sieht das Brandenburger Kunsthandwerk-Unternehmen namens „Manufaktur Liebevoll“ (der Name ist so kitschig – und irgendwie skurril im Zusammenhang mit dem brutal harten, global agierenden Riesenkonzern – aber es gibt ihn wirklich) für das Amazon (weil so nett) nach Ladenschluss über Nacht hunderte Produkte verkauft und liefert. Man sieht spielende Hunde, hart arbeitende Menschen und mittendrin Amazon mit seinen vielen LKWs. Und alle haben nur das Ziel, die vielen kleinen Unternehmen zu unterstützen. Und weil uns Amazon glauben lassen will, dass die vielen kleinen Unternehmen so sehr dankbar sind, bildet eine Vielzahl derer Firmenlogos am Schluss des Spots …

Das breite Lächeln des Amazon-Logos. 

Der Konzern gibt sich betont volksnah, stellt die unzähligen kleinen und mittelständischen Händler (das „Rückgrat seines Marktplatzes“, wie es heißt) in den Mittelpunkt. Die KMUs selbst haben derzeit allerdings recht wenig von der meisterhaft inszenierten Marketing-Aktion. Denn, grundsätzlich ist die Idee mit den Händlerportraits ja gar nicht so verkehrt. Schließlich gehören die fehlenden Möglichkeiten für eine Abgrenzung gegenüber dem Wettbewerb zu den Hauptkritik-Punkten der kleinen Marketplace-Händler. Mit den Storefront-Portraits können sie jetzt zeigen, warum sie anders sind als die Konkurrenz und welche Philosophie sie antreibt. Sie können im kleinen Rahmen Storytelling und Marketing betreiben, statt sich allein über Preis und Zahl ihrer Produktbewertungen abzugrenzen. Toll! Wenn die Kunden dann auch etwas von dem schönen Content mitkriegen würden

Denn: Auf der Amazon.de-Startseite findet sich (zum Zeitpunkt als ich das hier schrieb) kein Hinweis auf den neuen Shop. Auch in den Kategorien werden die Storefronts nicht geführt. Selbst wenn man über die Suchleiste gezielt nach einem Händler sucht, der einen Storefront hat, findet man nur dessen Produkte – aber keinen Verweis auf sein Portrait. Lediglich beim aktuellen Werbegesicht findet sich ein kleiner Hinweis zum dazugehörigen Storefront. 

Vermutung

Aus reiner Nächstenliebe betreibt der Konzern diesen Aufwand mit Sicherheit nicht. Hier steckt sicher noch irgendein Kalkül dahinter. Es drängt sich mir ja die Vermutung auf, dass Amazon mit den Storefronts bzw. den vielen hübschen Bildern lediglich weitere Händler an Bord bekommen will, nämlich jene, die bisher vor der Anonymität des Marktplatzes zurückschreckten. Zudem poliert Amazon das eigene Image mit den vielen hübschen Bildern aus familiengeführten Manufakturen natürlich gehörig glänzend auf

Zuguterletzt

Angelehnt an die Umweltbewegung der 90-iger Jahre wurde vor einiger Zeit folgender Spruch verbreitet (der sich mir in obigem Zusammenhang irgendwie aufdrängt): „Erst wenn der letzte Laden verschwunden ist, das letzte Cafe geschlossen hat und alle Stadtviertel in dieser Region verwaist sind, werdet ihr feststellen, dass Online-Shopping doch gar nicht so toll war!“ 

Dem gibt es wenig hinzuzufügen!

 

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Kommentare (2)

  1. Amazon unaufhaltsam

    Auch als damals die ersten Preisvergleichsplattformen aufkamen, suchten Händler dort ihr Heil. Bis es dann dämmerte daß diese Platformen den Preisverfall massiv beschleunigten und schließlich ein Trümmerfeld übrig blieb. Die zweite Ausbaustufe ist nun Amazon. Der Preisvergleich ist dort bereits integriert. Amazon hat die Kriegskasse, die Daten und die Intelligenz auf seiner Seite.

  2. Toller Artikel

    Hallo Stefanie,
    super Artikel, der viele Tatsachen beinhaltet die vermutlich viele KMU´s unterschätzen.
    Drum, Ärmel hochkrämpeln und die Hirnzellen arbeiten lassen das wir mit vielen neuen Indeen und Aktivitäten den Kampf „David gegen Goliath“ noch lange führen. 😉
    Vielleicht gibts ja in ein paar Jahren noch eine Überraschung. 😀
    Sg Julian

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