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Dienstag, 15. Oktober 2024
Existenzielle Frage – andere Perspektive

Tankstelle unabhängig vom Tanken

Hintergrund | Dominik Schebach | 28.04.2019 | Bilder | |  Meinung

Dominik Schebach
Wenn sich das Verhalten der Menschen ändert, dann sind über Jahrzehnte gewachsene Strukturen nicht mehr sicher. Diese Aussage gilt nicht nur für den stationären Handel, sondern trifft auch auf eine Institution zu, der wir praktisch laufend begegnen: Der Tankstelle geht es an den Kragen. Für einen Blick über den Tellerrand möchte ich Ihnen deswegen von einem interessanten „Paper" berichten, auf das ich vergangene Woche gestoßen bin.

Das System aus Sprit als Frequenz- und Shop als Umsatzbringer für den Pächter/Betreiber läuft Gefahr, von der Geschichte überholt zu werden. Die Gründe liegen ausnahmsweise nicht unmittelbar im Internet. Zumindest habe ich bisher noch keinen Spritverkäufer-Botendienst auf Wiens Straßen gesehen. Vielmehr ändert sich das Mobilitätsverhalten. Das Auto ist dabei, seinen Stellenwert als Statussymbol zu verlieren. Jugendliche in den Städten machen ihren Führerschein immer später oder verzichten überhaupt darauf. Elektromobilität, Carsharing, Uber und Co, aber auch Selbstbedienungs-Terminals tragen ebenfalls ihr Scherflein dazu bei, dass Tankstellen für immer mehr Menschen immer weniger Bedeutung genießen. Und sollten irgendwann einmal selbstfahrende Autos selbstständig zur Zapfsäule fahren, dann wird es überhaupt haarig.

Die Entwicklung ist jetzt nicht ganz neu. Es hat seinen Grund, dass die Shops im Tankstellenbereich in den vergangenen Jahrzehnten immer größer wurden. Nicht zuletzt, weil für die Pächter die Margen auf Treibstoffe verfallen sind. Wie nun die Tankstellenshops ihre Bedeutung behalten können, wenn aber der Sprit als Frequenzbringer immer weniger wichtig wird, hat sich das Team von Jos de Vries, einem Spezialisten für Shop-Konzepte, angesehen. Nach deren Ansicht steckt die Zukunft Systems Tankstelle in den Shops, wenn sie richtig auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen.

Bereits heute müssen die Kunden angesichts von SB-Zapfsäulen nicht mehr zwingend in den Shop zum Zahlen. Stattdessen erfüllten diese Shops einen Zusatznutzen: Sprich, den schnellen Imbiss, den kleinen Einkauf für die Fahrt oder weil der Supermarkt bereits geschlossen hat und ich ein Six-Pack zur Party mitbringen will. Bisherige Tankstellenshops werden so gesehen von „Geschwindigkeit“ und „Convenience“ getrieben.  Im Orange Paper von Joe De Vries geht es deswegen provokant formuliert darum, wie Tankstellen von Treibstoffen unabhängig werden können – und gleichzeitig ihre Ertragkraft steigern können. Statt Produkte mit geringen Margen soll dafür ein zugkräftiges Sortiment mit hohen Verdienstmöglichkeiten in den Shop.

Das Konzept setzt dazu ein wachsendes Bedürfnis nach Convenience, frische Lebensmittel und dauernde Verfügbarkeit voraus. Denn das Lebensumfeld der Kunden bleibt „on the go“. Die Menschen sind unter Zeitstress, wollen aber qualitativ hochwertige frische Lebensmittel – gleichzeitig wächst die Bereitschaft, für die höhere Qualität mehr zu zahlen. Intelligente Shops werden deswegen nicht eine kleine Kopie des lokalen Supermarkts, sondern setzen laut Jos de Vries auf frische Lebensmittel zum Mitnehmen. Damit das funktioniert sollen zukünftige Tankstellenshops von „Überraschung“ und dem „Einkaufserlebnis“ getrieben werden – vom funktionalen „Need“ zum emotionalen „Want“.

Die wichtigsten Voraussetzungen dafür seien eine genaue Kenntnis der Zielgruppe, sowie deren funktionalen sowie emotionalen Bedürfnisse; das entsprechende Convenience-Sortiment mit frischen Produkten zu wettbewerbsfähigen Preisen aufgrund effizienter Logistik und Prozesse; die Fähigkeit schnell auf lokale Trends zu reagieren; außerdem müsse das Konzept zum Standort passen, schließlich haben Autobahn-Standorte anderes Publikum als z.B. ein städtischer Standort. Und wenn die Marktlücke bereits von anderen Akteuren abgedeckt wurde, will man dann überhaupt noch investieren. Für die Umsetzung empfiehlt das Team von Jos de Vries den Ansatz „Think big/Talk small“. Da Kunden große Unternehmen heute prinzipiell einmal misstrauisch gegenüberstehen, sollte man vor allem auch viel Augenmerk auf lokale Gegebenheiten legen und die vor allem auf die immer diverseren (und vor allem weiblichen) Zielgruppen eingehen.

All diese Argumente sind jetzt auch für den EFH nicht neu. Das Orange Paper zeigt allerdings, dass auch andere Branche radikale Fragen stellen, um Konzepte für die Zukunft entwickeln, bevor es zu spät ist. Jos de Vries hat übrigens auf Basis seines Orange Papers gemeinsam mit Shell Frankreich ein Shop-Konzept für die drei unterschiedliche Standort-Kategorien (Große Kundennähe; große Kundennähe/große Frequenz; und hohes Verkehrsaufkommen/Autobahn) erstellt.

Bilder
Das System Tankstelle bestehend aus Treibstoff-Verkauf und Shop muss neu gedacht werden. Dazu müssen auch radikale Fragen gestellt werden.
Das System Tankstelle bestehend aus Treibstoff-Verkauf und Shop muss neu gedacht werden. Dazu müssen auch radikale Fragen gestellt werden. (© Aral)
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