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Freitag, 19. April 2024
Gedanken zum Hochgeschwindigkeitsdeutsch

Sprache in Gefahr

Hintergrund | Stefanie Bruckbauer | 29.09.2019 | Bilder | | 1  Meinung

Stefanie Bruckbauer
Unlängst erweckte eine Aussendung meine Aufmerksamkeit, genauer gesagt war es der Titel dieser Aussendung, denn er lautete: „Siri, Alexa und Co.: Sprache in Gefahr“…

In besagter Aussendung ging es um Amazon Alexa, Google Home & Co. und dass diese Kollegen mittlerweile gern gesehene und vor allem gehörte Stammgäste in unseren Wohnzimmern sind. Das habe – neben den aktuell diskutierten datenschutzrechtlichen Aspekten – vor allem massive Auswirkungen auf den Umgang mit unserer Sprache, wie Sprach-Expertin Tatjana Lackner erklärt. „Die Konversation wird direktiver und verknappt. Höflichkeit ist nicht gefragt, dafür klare Anweisungen. Das wirkt sich auf die Alltagssprache aus.“

Der zweite große Wandel

Im Umgang mit Alexa & Co. sieht Lackner den zweiten großen Wandel in der Alltagssprache. Der erste große Wandel geschah nach dem Eintritt der deutschen Privatsender in den österreichischen Fernsehmarkt. „Das hat maßgeblich zur Vereinheitlichung der Sprache unter Jugendlichen beigetragen“, sagt Lackner. Ich sage: Viele junge Leute sprechen nur mehr RTL-Deutsch, was tatsächlich schlimm ist, denn Dialekte und regionale Sprachfärbungen verschwinden zunehmend. Tiroler Jugendlichen hört man nicht mehr an, dass sie aus Tirol sind und Kärntnern nicht, dass sie aus Kärnten stammen. Sie klingen alle viel eher als wären sie aus Nordrhein-Westfalen – alle gleich, alle RTL-Deutsch.

Für den zweiten großen Wandel in der Alltagssprache – und im gesamten Kommunikationsverhalten – verantwortlich, erachtet Lackner nun eben die Sprachassistenten. Sie würden für einen rigiden Befehlston sorgen. Die Sprache werde uniformer, verwandle sich in eine Funktionssprache und Sprachfärbungen werden noch weiter abnehmen – um Missverständnisse mit den Sprachassistenten zu vermeiden.

Auswirkungen auf das Sprachverhalten hätte zudem die stark wachsende Anzahl von Sprachnachrichten in Messenger-Apps wie zB. WhatsApp. Nur um sich das vorzustellen: Über 65 Milliarden Nachrichten werden jährlich über WhatsApp versendet, davon 55% bis 77% (hängt von der Altersgruppe ab) Audiodateien. Da diese im Schnitt nicht länger als eine Minute dauern dürfen (um die ungeteilte Aufmerksamkeit des Adressaten zu behalten), würde auch das zu einer Verknappung der Sprache führen. (In diesem Zusammenhang fällt mir die „Generation Goldfisch“ ein. Noch nie gehört? Also: Im Jahr 2000 konnte sich der Durchschnittsmensch zwölf Sekunden lang konzentrieren. 2016 waren es noch acht Sekunden. Ein Goldfisch schafft neun …)

Neugier geweckt

Durch eben erwähntes Interview war meine Neugier geweckt, stört es mich nämlich ungemein, wenn Leute zu faul zum ordentlich Sprechen und/ oder Schreiben scheinen. Ich stöberte also im Internet und stieß auf einen interessanten sowie (im späteren Verlauf auch) köstlichen Beitrag (eigentlich viel mehr ein Vortragsmanuskript) von einem Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt aus dem Jahr 2018, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Kaehlbrandts Beitrag trägt den Titel „Schneller, kürzer, lässiger – unsere Sprache im Wandel“ und auch er beschäftigt sich damit, dass sich unsere Sprache verändert, genauer gesagt, dass wir den Gebrauch unserer Sprache verändern – ziemlich massiv sogar.

Wir sind Zeugen und Mitgestalter rasanter technischer und kultureller Veränderungen. Sie ermöglichen massenhafte Direktkommunikation weltweit. Früher dauerten die Kommunikationswege durchaus lange. Heute gibt es keinen Zeitaufschub mehr. Kommunikative Akte im Internet müssen schnell, ja oft unmittelbar erfolgen. Es wird erwartet, dass wir auf E-Mails, SMS, Facebook-Postings, WhatsApp-Nachrichten nicht erst Tage später, sondern schnellstmöglich reagieren. Erwartet werden kurze Texte oder Textbruchstücke, keine langen Ausführungen. Was wir derzeit erleben ist durchaus eine mediale Revolution. Wir erleben nämlich die Aufhebung der uralten Grenze zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Die deutsche Sprache wird kürzer und schneller.

Das Schreiben ist ja gewöhnlich ein Prozess der Verlangsamung: Wenn Sie schreiben, denken Sie gewöhnlich nach, wie Sie die Dinge formulieren und dass Ihr Text korrekt ist. Er steht ja schließlich geschrieben. Die Norm der Schriftsprache, so wie wir sie in der Schule lernten, schreibt vor: Worte werden sorgfältiger gewählt als beim Sprechen. Vollständige Sätze sind die Regel. Die Zeiten müssen korrekt verwendet werden. Das Schreiben, selbst in privaten, persönlichen Zusammenhängen, war über Jahrhunderte formell.

Einander schreiben und miteinander sprechen sind durchaus verschieden: Im Schreiben fehlen uns beispielsweise Mimik, Gestik, Intonation. Deshalb hat das Schreiben normalerweise Elemente der Ausführlichkeit. Das aber verändert sich gerade. „Das Internet macht es möglich, schweigend Gespräche miteinander zu führen“, wie Helga Schäferling so schön sagte.

Das Schriftliche wird mündlich

Wegen der Stakkato-Abfolge schriftlicher Dialoge dringen Besonderheiten des Mündlichen ins Schriftliche vor. Und das heißt: Schriftliche Kommunikation im Internet wird mündlicher, informeller. Es verbreiten sich vor allem verkürzte, unvollständige Formen: Man lässt einfach alles weg, was nicht unbedingt zur Verständlichkeit gebraucht wird.

So entfallen komplizierte Grußformeln. In E-Mails macht sich derzeit auch in beruflichen Kontexten die Anrede „Hallo“ oder „Liebe alle“ breit.

Abkürzungen, häufig aus dem Englischen, sind beliebt – sei es 2 go, 2 c oder lol.

Wörter werden oft rein phonetisch geschrieben, das geht schneller und wirkt lässiger: „ma“ für „mal“, „nochn“ für „noch ein“, „nich“ für „nicht“, „is“ für „ist“. „is“ hat sich inzwischen sogar weiterentwickelt zur Bestätigungsformel „isso“.

Pronomen kann man weglassen: Komme gleich, war cool, kann schnell gehen, bin krank.

In einer sogenannten Jodel-App begleitet eine Community die Anbahnung einer Liebesromanze: „Boaaah ey!!! Ich raste noch aus!!! Spannend!“; „Ohaaaa, bei Euch knisterts doch!“

Groß- und Kleinschreibung unterbleibt häufig, denn es muss schnell agiert und reagiert werden. Eine für die Schriftsprache ansonsten gültige Sprachnorm zählt hier nicht. Wenn man sie trotzdem einhalten würde, wirkte das unangemessen, genauer gesagt, pedantisch.

Hochgeschwindigkeitsdeutsch

Und hier eine kleine Auswahl aus dem aktuellen Hochgeschwindigkeitsdeutsch:

Neue Steigerungspartikel sind zB:

Mega. Mega wird gefolgt von mega nice. Weitere Steigerungsformen sind voll nice (schon etwas älter) und obernice oder auch saunice.

Voll ist nach wie vor angesagt, aber in immer wieder neuen Kombinationen: voll stylisch, voll fancy, voll gediegen. Was nicht voll gediegen ist, ist dann aber auch voll die Seuche. Wenn voll nice getoppt werden soll, kann auch ein deftiger Kommentar lauten: Nicer Scheiß.

Der Superlativ übelst mausert sich unterdessen zu übelst geil oder übelst krass.

Satzfragmente, die aber gedanklich leicht zu ergänzen sind, dienen zum Beispiel der schnellen Ratgebung: besser isses. Hier wird ein ganzer Nebensatz gespart (Wenn du das machst, ist es besser für dich). Besser ist es! Anstatt: „Es ist besser, wenn Du das lässt.“

Stark verkürzt kann dann die Antwort ausfallen: Als ob, Mann! Auch hier wird ein ganzer Satz gespart: „Als ob ich so etwas tun würde!“

Woraufhin die kategorische Antwort kurz und bündig lauten kann: Auf keinen!

Zu der Gruppe der kurzen, elliptischen Ratgebungen (Anm.: Als Ellipse – von altgriechisch ἔλλειψις élleipsis, deutsch ‚Zurücklassen, Unterlassen, Auslassen‘ – bezeichnet man in der Linguistik das Auslassen von Satzteilen, aber auch die Sätze mit diesen Auslassungen) gehört auch das bekannte gönn dir. Daraus hat sich das neue Substantiv entwickelt: Die Gönnung. Denkbar wäre der Kommentar, wenn jemand aus dem Urlaub zurückkommt: „Voll die Gönnung!“

Verbreitet ist der folgende wohlmeinende Rat, der gern etwas herablassend gegenüber besorgten Eltern vorgetragen wird: chill ma! oder chill mal dein Leben! oder auch chill mal deine Base!

Der Dialog im Stakkato

Neue, kurze Frageformen rhythmisieren den mündlichen wie schriftlichen Dialog im Stakkato. Es handelt sich dabei nicht um rein sachbezogene Frageformen, sondern um emotionale Fragen, die oft von einer gehörigen Portion Erstaunen, Unglaube oder auch Empörung begleitet sind:

Wie jetzt? ist zugleich Frage, wie denn etwas gemeint ist, was unverständlich ist, oder wie etwas funktionieren soll, das so nicht funktionieren kann, dem Sinne nach: Kann ja wohl nicht stimmen. Bei wie jetzt? wird im Mündlichen die Stirn in Falten gelegt und werden die Augenbrauen tadelnd hochgezogen. Aber man versteht den tadelnden Zweifel auch in der mimikfreien Schriftform, er dringt durch.

Groß ist das zweifelnde Erstaunen auch bei echt jetzt?

Wenn Sie aber schon am Verstand des Gesprächspartners zweifeln, greifen Sie besser zur Frage: Geht’s noch?

Noch jungen Datums ist übrigens auch folgende Frage nach dem Wohlbefinden: Geht’s Ihnen gut? Früher fragte man entscheidungsoffen: „Wie geht es Ihnen?“ Doch das dauert offenbar zu lange. Mit der Suggestivfrage Geht’s Ihnen gut? wird gleich die bejahende positive Antwort vorweggenommen. Die Frage „Geht’s Ihnen schlecht?“ habe ich übrigens noch nicht gehört. Eine passende Antwort auf die Frage Geht’s Ihnen gut? hörte ich vor einigen Tagen auf der Straße: Gestern ging’s noch.

In großer Zahl neuentwickelt

Kommentare sind ebenfalls in großer Zahl neu entwickelt worden. Kein Wunder, denn es geht ja beim spontanen, schnellen und direkten Kommentieren oft darum, emotionale Reaktionen auszudrücken.

Wird jemand um eine kleine Gefälligkeit gebeten, so signalisiert die lässig dahingeworfene Antwort kein Ding! die Hilfsbereitschaft.

Schlechter ist es schon, wenn auf eine Frage mit kein Plan! geantwortet wird, wobei man sich allerdings nicht vertun soll. Der Kommentar ist nicht als entschuldigendes Eingeständnis gemeint. Kein Plan! drückt durchaus die Berechtigung aus, etwas nicht zu wissen, und richtet sich daher indirekt leicht vorwurfsvoll gegen den Fragenden selbst: Warum hat er überhaupt etwas gefragt, was man nicht wissen muss.

Noch ausgeprägter ist diese Haltung bei Keine Ahnung!, das selbstbewusst, keineswegs entschuldigend vorgebracht wird. Keine Ahnung findet sich zunehmend auch als Zögerungsmerkmal (wie etwa ehem, äh) inmitten einer Äußerung: „Da hat er mir, keine Ahnung, zehn oder zwanzig Mal dasselbe erzählt.“

In kürzester Zeit hat sich der bestätigende Empörungs-Kommentar Das geht gar nicht! verbreitet.

Originell ist die Steigerungsformel, mit der die Empörung den Gipfelpunkt erreicht: Das geht gar nicht wird neuerdings gesteigert zu Das geht sowas von gar nicht!

Eine Alternative dazu sind zwei jüngere Konstruktionen mit dem Verb glauben: Ich glaub’s nicht, vehementer ist allerdings: Das glaube ich jetzt nicht!

Wenn Sie die Unglaublichkeit des Vorkommnisses zum Kern der Aussage machen wollen, bietet sich auch ein vehement vorgebrachtes dein Ernst! an, worauf der andere wiederum bestätigend mit einem kräftigen aber hallo! antworten kann.

Neuartige Formen und Formeln expressiver Rhetorik

Zu den neuartigen Formen und Formeln expressiver Rhetorik für den mündlichen, aber auch schriftlichen Gebrauch gehört auch eine interessante innovative Form des Satzbaus. Neulich berichtete ich einer jungen Frau von einer neuen Projektidee. Sie antwortete: „Das ist super die gute Idee!“ Als ich kürzlich mit einem jungen Mann versehentlich einen Umweg fuhr, kommentierte er das mit den Worten: „Das ist voll der nervige Umweg!“ Und beim Gespräch über die Weihnachtspost hörte ich jemanden sagen: „Ich habe voll den netten Brief bekommen.“

Der Satzbau ist anders als wir es gewohnt sind. Der Ausruf: „Das ist super die gute Idee!“ hätte eigentlich lauten müssen: „Die Idee ist supergut.“ Ebenso hätte der Ausruf: „Das ist voll der nervige Umweg“ lauten müssen: „Der Umweg ist voll nervig.“ Was passiert hier gerade im deutschen Satz?

Es heißt nicht, wie man hätte erwarten können, ein nerviger Umweg (also: Das ist voll ein nerviger Umweg), sondern es folgt der bestimmte Artikel: voll der nervige Umweg. Ein bisher gängiges Satzbaumuster wäre gewesen: Der Umweg ist voll nervig. Aber voll der nervige Umweg ist eindeutig ungewöhnlich. Ich führe dieses neue Muster auf den Bedarf an Expressivität zurück. Gleich zwei Hervorhebungen, nämlich das ist und voll der nervige Umweg haben nämlich einen starken rhetorischen Effekt.

Dieses Muster ist derzeit unglaublich produktiv und man kann es vielerorts anwenden. Man könnte zB sagen: „Das sind ja voll die interessierten Leser!“ Und: „Das ist total die nette Redakteurin“ oder noch besser: „Das ist mega die freundliche Redakteurin.“ Sie können es ja gern einmal selbst versuchen 🙂

Zu neuen Formen eines ausdrucksfreudigen Spontandeutsch gehört schließlich auch folgender Ausruf in Form einer rhetorischen Frage: Wie blöd ist das denn? Früher hätten wir gesagt: Das ist aber blöd, mit dieser muffigen und deprimierenden Intonation. Aber durch die suggestive Frageform mit dem verstärkenden denn am Ende und mit der typisch anschwellenden Intonation einer Frage wirkt der Ausruf deutlich stärker, ja munterer. Sie können ihn natürlich auch wunderbar kombinieren. Nehmen wir das vorherige Beispiel: Das ist mega der nervige Umweg. Ja, wie blöd ist das denn?

Seit neustem gibt es den neuartigen Ausruf aber auch in positiver Bedeutung. So hörte ich vor kurzem eine junge Frau ausrufen, als sie eine schöne Karte bekam: Wie süß ist das denn? Und an den Weihnachtstagen, als es allenthalben wunderbare Speisen gab, hörte ich jemanden ausrufen: Wie lecker ist das denn? Meine Prognose: Der neue Ausruf wird sich rasant weiterverbreiten.

… to be continued …

Bilder
In der neuen deutschen Hochgeschwindigkeitssprache verbreiten sich vor allem verkürzte, unvollständige Formen. Man lässt einfach alles weg, was nicht unbedingt zur Verständlichkeit gebraucht wird. (Bild: JMG/ pixelio.de)
In der neuen deutschen Hochgeschwindigkeitssprache verbreiten sich vor allem verkürzte, unvollständige Formen. Man lässt einfach alles weg, was nicht unbedingt zur Verständlichkeit gebraucht wird. (Bild: JMG/ pixelio.de)
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