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Samstag, 20. April 2024
E&W Interview zur Zukunft der Photovoltaik in Österreich

PVA-Vorstand Herbert Paierl: „PV ist keine Einbahn”

Photovoltaik | Wolfgang Schalko | 16.03.2020 | |  Menschen, Wissen
PVA-Vorstandsvorsitzender Herbert Paierl ortet breiten Zuspruch für den PV-Ausbau – stellt aber klar: „Um diesen zu bewerkstelligen, werden wir mit einer Million Dächer nicht auskommen.” PVA-Vorstandsvorsitzender Herbert Paierl ortet breiten Zuspruch für den PV-Ausbau – stellt aber klar: „Um diesen zu bewerkstelligen, werden wir mit einer Million Dächer nicht auskommen.” Im Vorfeld des traditionellen Saisonauftaktes der heimischen Photovoltaik-Branche, dem PV-Kongress (der heuer Coronavirus-bedingt als Video-Livestream abgehalten wird), hat PVA-Vorstand Herbert Paierl im Gespräch mit E&W seine Einschätzung in Sachen Erneuerbare dargelegt. Zum Zeitpunkt seines Einstiegs beim Bundesverband PV Austria (PVA) im Mai 2019 habe es bei Erneuerbaren Energien und PV-Ausbau „relativ traurig” ausgesehen. Heute, ein knappes „abwechslungsreiches” Jahr später, ist Paierl guter Dinge – auch, aber nicht nur wegen der Regierungsbeteiligung der Grünen.

Wie schnell die Dinge sich doch ändern können: Mit der Konstellation der neuen Regierung sei das Thema Erneuerbare Energie – und damit auch die Photovoltaik – in die Mitte des Geschehens gerückt, hält PVA-Vorstandsvorsitzender Herbert Paierl fest. Die Interessensvertretung werde „von der sachlichen Seite her” weiterhin vehement aufzeigen, was für einen massiven und zügigen PV-Ausbau alles notwendig ist. Den aktuellen Schwung gelte es mitzunehmen – jedoch ortet Paierl bei aller Euphorie auch (noch) den einen oder anderen Hemmschuh, wie er vorausschickt:

Herbert Paierl: Fakt ist: Wir haben viel zu wenig Kapazitäten. Jedes PV-Modul, das installiert werden kann, ist willkommen. Dafür brauchen wir einerseits aber Fläche – neben Dach- in Zukunft vermehrt auch Freiflächen – und andererseits natürlich die Umsetzer. Wenn man sich ein Konjunkturbelebungsprogramm wünschen würde, wäre es genau das. Man kann schon ein gewisses Maß an Skalierung betreiben, aber schlussendlich ist es immer Handwerksarbeit. Um PV-Anlagen zu installieren, werden entsprechendes handwerkliches Know-how und Kapazitäten benötigt, insbesondere im elektrotechnischen Bereich.

Zu diesen Kapazitäten könnte man durch neue, zusätzliche Fachkräften kommen, etwa aus dem Ausland bzw durch Lehrlingsausbildung, oder man setzt vorhandene Elektriker vermehrt zur PV-Installation ein.

Diesbezüglich führen wir in den nächsten Wochen Gespräche mit dem Arbeitsministerium. Wir wollen ausloten, ob es ein Potenzial aus dem Umschulungs- oder dem Arbeitslosenbereich gibt, wo wir gezielt Kapazitäten aufbauen können, wie zum Beispiel für die Anlagenmontage.

Wer sollte die entsprechenden Schulungen übernehmen?

Dafür muss im Wesentlichen das AMS sorgen. Wir unterstützen aber gerne mit unserem Wissen, welche Kapazitäten in welchen Bereichen notwendig sind.

Welches Potenzial sehen Sie in den eingangs erwähnten Freiflächenanlagen?

Abgeleitet aus dem Ziel von 100% Erneuerbarer Energie bis 2030 gehen wir davon aus, dass der PV-Anteil 15 GWp sein wird. Im Moment haben wir knapp 1,5 GWp installiert, dh in 10 Jahren müssen wir uns verzehnfachen, das ist eine ganz einfache Rechnung. Um diesen Zubau zu bewerkstelligen, werden wir mit der angekündigten Million Dächer aber nicht auskommen, sondern zusätzlich Freiflächen brauchen.

Daneben gibt es ja noch die gebäudeintegrierte Photovoltaik…

Bei der gebäudeintegrierten PV gibt es sehr viele Entwicklungen, oftmals ist die Umsetzung jedoch eine Kostenfrage. Auf Grund der gesunkenen Anlagenpreise erreichen Großanlagen mittlerweile kWh-Preise, die nahe am Strom-Marktpreis sind. Und wahrscheinlich schneiden sich die Kurven von Marktpreis des Stromes und Strompreis aus PV bald. Für solche Anlagen auf Freiflächen sowie auf größeren Industrie- und Gewerbedächern müssen wir allerdings noch die äußerst hinderliche Förder-Regelung wegbekommen, gemäß der die Flächen in 200 kWp-Einheiten einzuteilen sind – durch die Beschränkung der Tarifförderung auf PV-Anlagen mit max. 200 kWp. Das ist völlig sinnlos und unverständlich, zumal man dadurch ja zB bei Anlagen mit 1 MWp auch fünf Mal Anschlussgebühr zahlen muss. Das verteuert den PV-Ausbau und wir wollen ja dem Steuerzahler bzw Stromkunden keine unnötigen Kosten aufbürden. Aber es gibt bereits Zusagen, dass diese Regelung verschwinden soll.

Wie stehen sie grundsätzlich zur neuen Regierung? Über die Grünen müsste die Branche ja heilfroh sein?

Definitiv, und sprichwörtlich bekreuzigen sich auch alle. Doch es hat schon vor den Wahlen einen Allparteienbeschluss zu unseren Programm mit dem PV-Notpaket gegeben, und damals waren die Grünen nicht einmal im Parlament.

Nach wie vor ist die Umsetzung des EAG aber ausständig.

Für das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz hat unser Haus wesentliche Basisarbeit geleistet und wird das auch weiterhin. Die Zuständigen haben uns versichert, dass das EAG erste Gesetz ist, das auf Schiene gebracht wird. Auch wenn dafür eine 2/3-Mehrheit benötigt wird, sind wir guter Dinge, dass keine Querschüsse kommen und das EAG tatsächlich per 1.1.2021 in Kraft tritt. Damit wird zwar eine wichtige Schlacht gewonnen, aber noch lange nicht der Krieg gegen die Fossilen. Dafür brauchen wir die Gemeinden und die Länder, denn diese sind in Hinblick auf die verfügbaren Flächen und die Verfahren mindestens so wichtig wie das EAG.

Wie erreicht man deren Mitwirkung? Durch Bewusstseinsbildung?

Die Gemeinden und auch die Länder müssten als Raumordnungsbehörden entsprechende Flächenvorsorgen betreiben, auf Dächern ebenso wie auf Freiflächen. Auf Basis unserer Kalkulation, bis 2030 pro Österreicher 2 kWp PV-Leistung zu erreichen, rechne ich bei jedem Bürgermeisterkontakt anhand der Einwohnerzal vor, wieviel PV-Leistung innerhalb der nächsten zehn Jahre installiert werden muss bzw wieviel Fläche dafür benötigt wird. Realistischerweise wird rund ein Drittel der notwendigen PV-Leistung von Aufdachanlagen kommen können, zusätzlich braucht man aber Sonderflächen – wobei wir hier sehr selbstkritisch sind und keineswegs den Entzug von agrarisch und naturschutzfachlich wertvollen Böden verlangen, da es ja Grenzertragssituationen und Sonderflächen gibt, wo die Widmung für PV nicht nur niemanden stört, sondern im Gegenteil sogar die Flächennutzungseffizienz verbessert – Stichwort Doppelnutzung.

Gibt es hier schon Regelungen?

Wir weisen in unseren Diskussionen auf die Thematik hin und gehen darauf ein. Ich bin ja – so wie alle im PVA-Vorstand – selbst im Markt unterwegs und erfahre aus erster Hand, wo es krankt und wo viele Projekte letztlich anstehen. Aber diese Diskussion muss man führen. Daneben gibt es natürlich große Player auf Bundesseite wie die ÖBB, die ASFINAG oder die BIG so wie auch entsprechende Flächen im Besitz der Länder – es geht um die Mobilisierung all dieser Flächen. Unser Geschäft besteht darin, das alles konsequent zu nutzen.

Apropos: Beim 1-Millionen-Dächer Programm und bei der Unterstützung der Erneuerbaren mit jährlich einer Milliarde Euro handelt es sich bis dato lediglich um Ankündigungen.

Wir haben guten Kontakt zu den politischen Instanzen und Entscheidungsträgern, in der Bundesregierung zB zur der Umweltministerin Leonore Gewessler. Im Zuge der Regierungsverhandlungen haben wir, soweit das möglich war, ebenfalls versucht unsere Weisheiten zu deponieren. Gerade auch bei der ÖVP, wo mit Ex-OeMAG-Vorstand Magnus Brunner jetzt ein Staatssekretär am Werk ist, der absolut fachkundig und engagiert ist. Die Opposition signalisiert ebenfalls durchwegs Interesse, denn das ist natürlich ein populäres Thema und keiner würde zu behaupten wagen, man brauche keine Erneuerbaren Energien.

Welche Rolle spielt hier die Politik auf EU-Ebene, wo die Kommission kürzlich ihren Green Deal vorstellte – kann man da Schützenhilfe erwarten?

Thematisch ja, selbstverständlich. Aber ich betone noch einmal: Man hat nichts davon, wenn man große Bekundungen und große Überschriften hinausposaunt, aber dann auf der Projektebene die Vorhaben nicht auf die Reihe bekommt. Man darf keine Ebene auslassen, das ist ein entscheidender Punkt.

Stemmen sich manche Lobbys noch immer gegen diese Entwicklung?

Natürlich bestehen auch „fossile” Interessenslagen, die sich über Jahre und Jahrzehnte eingefahren haben. Ein Killerargument lautet stets: Das kostet alles so viel – wer zahlt die Rechnung? Dazu kommt die soziale Frage, dh hier jene, die sich alles locker leisten können, dort die sozial Schwachen, die auf jeden Cent schauen muss. Da wird es soziale Ausgleiche geben müssen, keine Frage. Wir als Erneuerbare können und wollen nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich die Energie eklatant verteuert. Andererseits bin ich dafür, dass eine Bepreisung von belastenden fossilen Produktionsformen – wie sie ja jetzt schon diskutiert wird – in fairer Weise stattfindet und es nicht zu einer Externalisierung der Kosten kommt.

Die Stromnetze – Stichwort Versorgungssicherheit – kommen in dieser Diskussion ebenfalls immer vor.

Die Netzbetreiber sind durch die E-Control reguliert und wenn sie Kosten haben, dann werden diese entsprechend vorgelegt und abgedeckt werden müssen – wenn die Forderungen gerechtfertigt sind. Aber das ist ja keine Einbahn, denn zum Teil sind die Erneuerbaren-Projekte ja auch netzentlastend.

Wobei man in vielen Bereichen einen Netzumbau benötigen würde.

Genau, die intelligenten Netze. Auch hier sind heute viele Lösungen, wie zB Blockchain, technologisch schon machbar, aber noch teuer. Ich hoffe auf den Fortschritt, sodass es hier – und auch bei den Stromspeichern – durch Effizienzsteigerung und Skalierung zu einer ähnlichen Entwicklung kommt wie bei den PV-Modulen. Als ich vor vier Jahren begonnen habe, kostete das kWp noch 2.000 Euro, mittlerweile sind wir bei Großprojekten bei 750 bis 1.000 Euro.

Innerhalb des PVA bestehen durchaus heterogene Interessenslagen, zB in Hinblick auf die EVUs. Wie schwierig ist es, diese unter einen Hut zu bekommen?

Wir haben die Energieproduzenten bei uns, die natürlich Schwesterunternehmen von den Netzbetreibern sind, die wiederum gewisse andere Interessen haben. Das muss man offen legen und die Probleme eruieren. Denn es kann zB nicht sein, dass eine projektierte Anlage „abgedreht” wird, weil man plötzlich mit dem Netz nicht zurande kommt. Man muss versuchen, soclhe Netzprobleme zu lösen. Ich warne davor, das Netz als gottgegeben zu betrachten und daran nichts ändern zu wollen – denn dann wird vieles nicht möglich sein.

Es geht hier auch um die Abgeltung der Netzkosten bzw die Gefährdung der bisherigen Geschäftsmodelle.

Die bisherigen Geschäftsmodelle sind auf die transportierte Kilowattstunde ausgerichtet. Das wird so nicht mehr gehen und man wird die Kosten über einen anderen Schlüssel hereinbringen müssen. Natürlich soll der Netzbetreiber dabei nicht in Konkurs gehen – was mit dem Regulator E-Control im Rücken auch nicht passiert, aber der Netzbetreiber muss schauen, dass er die Ertüchtigung der Netze entsprechend hinbekommt. Ich kann mir vorstellen, dass die Projektanden bei PV-Anlagen ab 1 MWp einen standardisierten, klar kalkulierten Beitrag für das Stromnetz leisten, der ins Projekt eingerechnet wird. Der Rest sollte sozialisiert werden, dh über die Netzgebühren finanziert werden. Das Ganze ist jedenfalls kein Guerillakrieg nach dem Motto „Rette sich, wer kann”, sondern erfordert koordiniertes gemeinsames Vorgehen. Daher suchen wir auch den Kontakt zu den Netzbetreibern, etwa um auszuloten, wo es Kapazitäten im Netz gibt und entsprechende Flächen für den Ausbau der Erneuerbaren auszuweisen. Das haben wir mit den Netzbetreibern von der APG abwärts und vor allem mit der E-Control auch besprochen.

Im Mai sind Sie ein Jahr im Verband. Wie fällt Ihr erstes Resümee aus?

Es war sehr spannend und abwechslungsreich. Als ich eingestiegen bin, hat es ja eigentlich relativ traurig ausgeschaut, da aufgrund des Regierungsbruchs Ungewissheit herrschte. Doch dann ist es für alle – auch für mich – überraschend postiv zu diesem Beschluss mit dem uneingeschränkten Bekenntnis zur Erneuerbaren gekommen. Wir werden jetzt unsere vielfältigen Ansätze weiterverfolgen. ZB finalisieren wir anhand unserer Formel 2 kWp PV-Leistung pro Einwohner gerade eine „Defizitliste”, in der wir bis auf Gemeindeebene herunterbrechen, wieviele PV-Anlagen noch zu installieren sind. Auf jeden Fall müssen wir massiv Öffentlichkeitsarbeit machen, was diese Defizite angeht. Und in weiterer Folge wollen wir auch aufzeigen, wie viel grüner Strom in den einzelnen Bundesländern und Regionen tatsächlich fließt – das werden wir ebenfalls in Kürze präsentieren können.

Sie sind also guter Dinge?

Oh ja. Wir liegen thematisch voll im Trend und gleichzeitig kann ich als Mann der Wirtschaft, der die Photovoltaik immer auch beinhart aus einem ökonomischen Blickwinkel betrachtet, sagen: Das macht Sinn. In Kombination mit der Technologie, dem Effizienzthema und der gesamtheitlichen Betrachtung der Umweltseite ist Photovoltaik ein nachhaltiges, sauberes und noch dazu regional wertschöpfendes Tätigkeitsfeld.

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