Tierische Gedanken
Stefanie Bruckbauer Corona hat uns nicht nur eine „neue Normalität“ beschert, sondern auch eine neue Maßeinheit.
Abstand halten, lautet derzeit die Ansage von Bundesregierung und Rotem Kreuz. Und zwar „so viel wie ein Babyelefant.“ So viel wie ein Babyelefant – was? Hoch ist? Lang ist? Was für ein Babyelefant überhaupt genau: ein indischer? Ein afrikanischer? Wie wir alle in der Volksschule gelernt haben herrschen zwischen den beiden Spezies massive Größenunterschiede. Und noch etwas: Ein Babyelefant mit ausgestrecktem Rüssel oder hängendem? Und wie verhält es sich mit dem Schwanz? (der am Ende des Tieres 😉 )
Diese Fragen sind natürlich nicht ernst gemeint, denn wir alle wissen ja: Der Babyelefant steht für einen Meter Länge und den Abstand, den man aktuell überall in der Öffentlichkeit einhalten muss. Aber ganz ehrlich: WER kommt auf so etwas?
Ich machte mich auf die Suche nach der Antwort auf die Frage, warum gerade ein „Babyelefant“ zum Sinnbild der Ein-Meter-Abstandsregel geworden ist und ich muss gleich zu Beginn all jene enttäuschen, die glauben, dass der Babyelefant spontan am Ende eines langen Regierungs-Sitzungsmarathons aus einer lustigen Situation heraus entstanden ist: So war es nämlich nicht. Der Einfall ist also nicht der kreativen Ader bzw. dem Humor von Kurz, Anschober und Co. zu verdanken. Sie alle verwenden das Wording zwar, aber erfunden haben sie es nicht.
Die Spuren führen – wenig spektakulär – in eine Werbeagentur und das enttäuschende ist: Hinter dem Babyelefanten steckt kein genialer Coup, sondern einfach nur die Tatsache, dass den Kreativen nichts Gescheiters eingefallen ist, als einen Meter Abstand in Babyelefanten-Einheiten zu messen. Wie Werner Singer von der Agentur Jung von Matt im Ö3-Interview berichtet, lautete die Aufgabe anfangs ein Symbol zu finden, dass sich in den Köpfen der Menschen festsetzt. Die Menschen wüssten, wie viel ein Meter ist, das müsse man ihnen nicht erklären. Vielmehr ging es darum, ein Symbol zu finden, das stetig daran erinnert Abstand zu halten. Um ein Gefühl für die Länge zu bekommen, um sich vorstellen zu können, wie weit man vom anderen wegbleiben muss, standen auch noch andere Optionen im Raum. So zB ein Besenstiel, ein Pony und auch eine Riesenschildkröte sowie eben ein Babyelefant – ein aus unser aller Leben gegriffenes Beispiel, oder finden Sie nicht? 😉
Allgegenwärtig
Täglich wird man daran erinnert. Via Funk, Fernsehen, Online-Werbung, selbst in Besprechungen mit den Kollegen. Der Babyelefant ist allgegenwärtig. Und wird es, wie ich glaube, auch noch länger sein. Wahrscheinlich steht künftig sogar im Duden:
Babyelefant, der, Substantiv, maskulin, 1. Elefantenkalb. 2. Maßeinheit 2020, zur bildhaften Vorstellung eines Meters.
Die einen finden das kindisch. Andere kritisieren, dass der Staat die Bürger wie kleine Kinder behandelt. Wieder andere empfinden den Babyelefanten pseudokreativ. Viele erachten den Einkaufswagen als weit anschaulicher in Abstandsfragen. Und vor allem praktischer, weil er beim Einkaufen ja vielerorts gleich zur Stelle ist. Auch vier Bierkisten wurden zwecks besser Vorstellung des vorgeschriebenen Abstands schon ins Spiel gebracht. Auf Grund der mangelnden Kindertauglichkeit aber auch schnell wieder verworfen.
Was ich nicht ganz verstehe: Der Spot läuft in Österreich und nicht in Indien oder Afrika. Warum also nimmt man ein Tierjunges her, das die wenigsten von uns schon mal in echt gesehen haben, um sich etwas vorstellen zu können? Das ist doch absurd! Jemandem etwas als Vergleich anzubieten, um sich etwas vorstellen zu können, was man sich aber nur schwer vorstellen kann, da man es selten bis nie zu Gesicht bekommen hat.
Ich fragte mich schon beim ersten Mal, als ich den Werbespot hörte, warum man den 1 Meter nicht zB in Baby-Pferden „messen“ kann – die müssten auch ungefähr einen Meter lang sein. Oder was ist mit mittelgroßen Schafen oder ausgewachsenen Schäferhunden? Man könnte auch einfach sagen: ein großer Schritt vorwärts ist ungefähr ein Meter. Das können sich, glaube ich, doch alle vorstellen – oder?
Apropos vorstellen
Nur damit Sie sich das gegebenenfalls besser vorstellen können: Der Babyelefant wird ohne Rüssel gemessen, wie die Werbemacher sagen. Und: Ich hatte keine Vorstellung wie schwer es sein kann, einen Babyelefantenlangen Abstand zu halten. Letztens ging ich spazieren, ich wollte auslüften und den Kopf frei bekommen. Mit Entspannung hatte das aber wenig zu tun. Das Wetter war traumhaft, dementsprechend die Hölle los am Spazierweg. Und ich bin mit meinem Versuch, den vorgeschriebenen Babyelefantenlangen Abstand zu den anderen Spaziergängern, Rad- und Skateboardfahrern, Kinderwagenchauffeuren, Walkern und Joggern zu wahren, kläglich gescheitert.
Und da fällt mir zum Abschluss noch etwas ein: So schräg ich den Babyelefantenvergleich persönlich auch finde – die Vorstellung, dass uns allen später irgendwann, wenn alles vorbei und wieder gut ist, ein Babyelefant vor dem geistigen Auge erscheint, wenn wir an die Corona-Krise zurückdenken, finde ich irgendwie nett 🙂 Aber bitte mit Rüssel!
Es gibt nichts weniger intuitives als der Abstand eines Babyelefantens.
Diese dürften international ja unterschiedlich groß sein, in Deutschland ist 1,5m Abstand zu halten, anderswo 2m…
Aus einem Gag für einen befreundeten Eisdealer ist hier die Geschäftsidee für hölzerne Elefanten-Abstandshalter entstanden: https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/wels/babyelefanten-aus-wels-helfen-beim-abstandhalten;art67,3257748
(ich hoffe, die Verlinkung ist ok!)