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Samstag, 20. April 2024
Wieder etwas gelernt

Es greift um sich

Über den Rand | Stefanie Bruckbauer | 21.06.2020 | Bilder | |  Meinung

Stefanie Bruckbauer
In unsere moderne Gesellschaft hat sich eine große Unart eingeschlichen. Welche das ist und was das mit seltsamen Begrifflichkeiten, einer Erkenntnis sowie den Teletubbies zu tun hat, erzähle ich Ihnen jetzt.

Phubbing im Handel nimmt zu!“ Diese Schlagzeile lies mich aufhorchen. Nicht weil das scheinbar bedrohliche Phubbing im Handel zuzunehmen scheint, sondern weil ich schlicht und einfach nicht wusste was Phubbing ist und was das im Handel überhaupt zu suchen hat und warum es als Bedrohung wahrgenommen wird! (Mir kam ja sofort „Phishing“ in den Sinn, also diese Sache mit den gefälschten Webseiten bzw. E-Mails und dem Klauen persönlicher Daten, und damit ist ja wohl wirklich nicht zu scherzen.) Also machte ich mich auf die Suche nach einer Erklärung für das mysteriöse Phubbing, das Handelsangestellte scheinbar bedroht

… nach kurzer Google-Recherche war recht schnell klar: „Phubbing“ ist ein „Kofferwort“. Klar, ein Kofferwort. Was zum Teufel ist ein „Kofferwort“, dachte ich, keinen Deut gescheiter als vorher und googelte weiter (und fragte mich an dieser Stelle wie so oft WAS wir früher ohne Google gemacht haben). Also, bei einem Kofferwort handelt es sich um ein „Schachtelwort“ oder auch „Portmanteauwort“. (LOL!!! 🙂 ) Alles klar? Nein? War es bei mir auch nicht. Aber bei Google werden sie geholfen und die Suchmaschine sagt, es handle sich um „ein Kunstwort, das aus mindestens zwei morphologisch überlappenden Wörtern entstanden ist, die zu einem inhaltlich neuen Begriff verschmolzen“ sind. (Weniger geschwollen könnte man auch sagen: Ein Kofferwort ist die Kreuzung zweier oder mehrerer Wörter zu einem neuen Begriff, wobei überlappende Wortsegmente einfach weggelassen werden. Beispiele dafür sind „Infotainment“, also die Kombination aus Information und Entertainment, oder „Grexit“, also die Kombination aus Greek und Exit. Letzteres funktioniert auch mit (Groß)Britannien 😉 ) Aber jetzt – klar?! 🙂

So, nun wusste ich zwar was Phubbing für ein Wort ist, aber noch immer nicht was es bedeutet. Ich finde ja, dass es einen leicht komikhaften Klang, etwas Spielerisches an sich hat, und bevor ich wusste, was es heißt, hätten meines Gefühls nach die vier Teletubbies Tinky Winky, Dipsy, Laa-Laa und Po „Phubbing machen“ können. Ich lag mit dieser Einschätzung allerdings ziemlich weit daneben. „Phubbing“ ist nämlich (und jetzt kommt’s endlich) die Kombination der Worte „phone“ (also Telefon) sowie „snubbing“ (vom Englischen „to snub“, also jemanden vor den Kopf stoßen, quasi brüskieren) und bedeutet, dass sich Leute lieber mit ihrem Smartphone, als mit ihrem Gegenüber beschäftigen. Eine höchst unhöfliche Geste, wie ich finde, und scheinbar nicht nur unhöflich, sondern auch ungesund …

Kaum erforscht

Forscher der Hochschule Borås und der Universität Karlstad wollten ganz genau wissen, wie sich Phubbing auf den Kundenservice auswirkt, stellten allerdings fest, dass dieser Bereich bislang kaum erforscht ist (was mich persönlich wenig wundert). Also starteten sie einfach selbst eine Studie, die sich um die Frage drehte, wie Angestellte in Situationen reagieren und handeln, wenn sie ignoriert werden und der Kunde stattdessen nur aufs Handy schaut. Das Ergebnis der Befragung von knapp 3.000 (!) schwedischen Handelsangestellten präsentierte sich wie folgt: Kunden-Phubbing sei verbreitet und wirke sich schlecht aufs Arbeitsklima aus. Die Mitarbeiter reagieren negativ. Sie fühlen sich ignoriert (was für eine Erkenntnis!) und finden es schwer, hochwertigen Kundenservice zu bieten. Phubbing könne zu größerer Unzufriedenheit am Arbeitsplatz führen, und sogar in Belastungsstörungen und Burnout gipfeln, warnen die Forscher. (Und dabei sprechen wir erst – bzw. „nur“ – von Phubbing, bei dem es sich laut den Forschern ja noch um eine „relativ harmlose Kunden-Unhöflichkeit“ handle, seien Angestellte doch bisweilen auch „Belästigungen, Drohungen oder tatsächlicher Gewalt durch Kunden“ ausgesetzt …. Ist das tatsächlich so? Kaum zu glauben!) Auf jeden Fall warnen die Forscher weiter, dass gerade das Phänomen Phubbing im Handel weiter zunehmen werde. Im Zuge zunehmender Digitalisierung werde nämlich auch das Smartphone zunehmend eine wichtige Rolle spielen…

(Kurze Anmerkung: Wie die Forscher einwerfen, endet natürlich nicht jeder Verkäufer gleich im Burnout, nur weil sein Kunde sich lieber mit dem Handy beschäftigt als mit ihm. Und natürlich gebe es auch besonders serviceorientierte Angestellte, die professionell genug seien, über derart unhöfliches Kundenverhalten einfach hinwegzusehen. Aber als Unternehmer einfach nur auf diese serviceorientierten Mitarbeiter zu setzen, die mit problematischem Kundenverhalten vermeintlich gut umgehen, sei höchst kritisch. Warum? … das erklären die Forscher leider nicht 🙁 )

Seltsame Auswüchse

Die zunehmende Technisierung nimmt schon seltsame Auswüchse an, wenn ich so darüber nachdenke. Sie haben das doch mit Sicherheit auch schon gesehen, wenn sich zwei Leute in einem Lokal gegenübersitzen und kein Wort miteinander reden, sondern jeder in sein Handy starrt. Oder noch besser, eine ganze Gruppe von Jugendlichen, die irgendwo zusammenhockt und jeder einzelne mit seinem Smartphone beschäftigt ist. (Ich frage mich ja immer, ob die Teenies da miteinander, also mit den Anwesenden übers Handy kommunizieren, wobei es in dem Moment doch viel praktischer wäre, gleich und ganz simpel direkt miteinander zu reden, oder ob sie mit Nicht-Anwesenden kommunizieren. Und ist letzteres der Fall, warum treffen sie sich dann nicht gleich mit jenen Freunden, mit denen sie offenbar so wichtige Dinge auszutauschen haben, dass sie das sogar während eines Treffens mit anderen Leuten tun? Ich glaube, das ist so ein Generationending, das ich einfach nicht verstehe … 🙂 Aber zurück zum Thema:) Dieses Verhalten, genauer gesagt die Beeinträchtigung von Beziehungen durch digitale Informationstechnik, ist in unserer modernen Gesellschaft schon so verbreitet, dass es sogar einen eigenen Begriff dafür gibt: Technoferenz. Sie beschreibt die alltäglichen Unterbrechungen der menschlichen Interaktionen durch technische Geräte – vor allem durch das Smartphone. Interessant, finden Sie nicht?

Keine Frage, Smartphones sind eine überaus praktische Erfindung. Immerhin ist man immer und überall erreichbar, hat stets Zugang zum Internet. Aber genau das ist häufig nicht die Lösung, sondern erst das Problem: Man ist immer und überall erreichbar, hat stets einen Draht zum Rest der Welt. Selbst dann, wenn man seine Aufmerksamkeit eigentlich gerade seinem Gegenüber schenken sollte. Wie verlockend es doch ist, sofort aufs Display zu schauen, wenn es mitten im Gespräch in der (Hosen-)Tasche vibriert oder piepst. Wir wissen: Das ist unhöflich, heutzutage aber trotzdem allgegenwärtig. Wir haben uns angewöhnt, auch in der Gegenwart anderer Menschen häufig aufs Smartphone zu schauen. (So sehr angewöhnt, dass es – wie wir eingangs gelernt haben – mittlerweile auch hierfür einen eigenen Begriff gibt). Und auch wenn das Gegenüber den Blick aufs oder Griff zum Handy nicht weiter kommentiert, so geht das dennoch nur selten spurlos an uns vorüber. Inzwischen ist es sogar wissenschaftlich bestätigt: Phubbing hat Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen.

Eine US-Studie aus 2017 zeigt: Das Vertrauensverhältnis zum Vorgesetzten war bei jenen Angestellten am schlechtesten, deren Chef sich häufig in ihrer Anwesenheit mit dem Smartphone beschäftigte. In einer anderen Studie kam man zu dem Ergebnis, dass die Anwesenheit eines Smartphones Partnerschaften negativ beeinflussen kann. Soll heißen: Wenn der eine Partner während einer Unterhaltung aufs Handy schaut, dann empfindet der andere weniger Intimität. Und dann gibt es noch die unzähligen Studien, die sich darum drehen, was es bei Kleinkindern auslösen kann, wenn sich die Eltern in deren Gegenwart ständig mit dem Handy beschäftigen …

Also sollten wir etwas ändern und das Smartphone öfters mal weglegen, wenn wir nicht alleine sind. Ob Partner, Kollege, Kind, Freund oder eben Verkäufer, wer auch immer das Gegenüber ist – das Motto sollte lauten: Mensch vor Technik. Und sollte in dieser Zeit am Handy etwas Wichtiges passieren, werden wir es früh genug erfahren. Und wenn es nicht wichtig ist, müssen wir es ohnehin nicht sofort wissen 🙂

Bilder
Alles klar? Nein? War es bei mir auch nicht. (Bild: Thommy Weiss/ pixelio.de)
Alles klar? Nein? War es bei mir auch nicht. (Bild: Thommy Weiss/ pixelio.de)
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