Verschwenden Sie keine Krise
Dominik Schebach Bei meinem Besuch der Schokoladenmanufaktur Zotter vor einigen Jahren hat mich nicht nur der Betrieb selbst beeindruckt. Besonders gefallen hat mir der kleine Friedhof der Ideen. Dieser liegt ein wenig versteckt im Freigelände, wo auf mehr oder weniger schönen Grabsteinen die entsorgten Geschmacksrichtungen verewigt sind. Und bei meinem Besuch damals waren wirklich einige verwegene Kreationen dabei.
Warum bin ich heute noch davon so angetan: Der Ideenfriedhof zeigt, dass man auch einmal Verwegenes probieren kann, und dass man aber ebenso vielversprechend klingende Ansätze oder überkommene Produkte aus dem Programm kippen kann, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Und anstatt den Misserfolg unter den Teppich zu kehren, wird ihm ein Denkmal gesetzt. Wir haben‘s probiert – in manchen Fällen mehrmals – und es hat nicht wie erwartet funktioniert. Entscheidung getroffen, Lektion gelernt, Strategie angepasst, nächster Versuch, wir sind offen für Neues – das ist die Botschaft des Ideenfriedhofs. Man könnte auch sagen, der Ideenfriedhof bei Zotter ist die Startrampe für die nächste Innovation bzw. Veränderung des Unternehmens.
Bei meinen Interviews für diese Ausgabe ist das Thema Veränderung immer wieder zur Sprache gekommen. Wie offen man für Veränderungen ist und wie man sie managt, und warum die Bereitschaft zur Veränderung oft erst eintritt, wenn es eigentlich zu spät ist. Dabei werden wir die Fähigkeit, uns zu verändern und diese Veränderungen aktiv zu gestalten, in Zukunft dringend brauchen. Mir ist schon klar, dass die jetzige Krise eine radikalere Veränderung darstellt, als die Entscheidung, ob man jetzt Fischgummi-Schokolade ins Sortiment nimmt, bzw. dann wieder absetzt. Aber hier geht es um den Prozess. Denn die Gefahr ist groß, dass wir wieder in unsere alten Muster zurückfallen. Bleibt die Frage: Warum tun wir uns einzeln oder als Gesellschaft mit Veränderungen so schwer? Wir wissen in der Regel rational, wo der Schuh drückt. Aber die daraus abgeleiteten notwendigen Veränderungen unsererseits bleiben oft aus. Damit meine ich die langfristigen, die nicht schleichend über uns kommen, sondern die eine bewusste Entscheidung eines jeden bedürfen, weil sie eben notwendig sind. Also, warum tun wir uns so schwer, unser Verhalten aufgrund äußerer Notwendigkeiten in einer planmäßigen, rationalen und für uns alle vorteilhaften Weise zu ändern?
Eine Antwort darauf liefert ua der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth in zwei – meiner Meinung nach sehr lesenswerten – Beiträgen im Spiegel in den vergangenen Wochen. Es geht um unsere Bindung an alte Gewohnheiten. Die Quintessenz der Beiträge ist, dass wir zwar oft wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist, wir leugnen allerdings das Problem, damit wir das Verharren in „unserer Normalität“ vor uns selbst vertreten können. Dieses Leugnen ist ein Schutzmechanismus, den wir alle schon einmal verwendet haben, damit wir uns nicht mit einem Problem emotional auseinandersetzen müssen, weil uns dieses zu groß, zu komplex oder zu bedrohlich erscheint. Dazu werden nach einem praktisch festgelegtem Muster zuerst die Fakten überhaupt geleugnet; bekommt dieser Panzer Risse, schiebt man das eigene Bauchgefühl vor, dass einem die Richtigkeit der bereits bewiesenen Zusammenhänge leugnen lässt; kann man auch die Auswirkungen der Krise nicht mehr abstreiten, werden diese verharmlost; hilft die Verharmlosung nichts mehr, wird schließlich die eigene Handlungsfähigkeit geleugnet, weil die Krise schon zu weit fortgeschritten sei. Man hat das Problem emotional nicht akzeptiert und deswegen rationale Gründe vorgeschoben bzw. erfunden, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen. Überwinden lässt sich diese Blockade oft nur mit Hilfe von außen.
Da wir als Gesellschaft allerdings keinen Psychoanalytiker haben, wie Wirth treffend feststellt, müssen wir uns selbst um die notwendigen Änderungen kümmern. Dh, nicht nur das Problem rational verstehen, sondern auch die damit verbundenen Emotionen annehmen. Sprich, wir müssen bereit sein, den Dingen ins Auge zu sehen, um die notwendigen Veränderung aktiv anzugehen. Denn die Realität lässt sich auf die Dauer nicht verleugnen. Dabei ist es allerdings meistens nicht mit einer kurzen Intervention getan. Damit die Veränderung auch verfängt, muss man nach der Initialzündung weiter daran arbeiten, auch wenn man gern wieder in den alten Trott zurückfallen möchte.
„Verschwenden Sie niemals eine gute Krise“, lautet ein Winston Churchill zugeschriebenes Zitat. Dass wir derzeit eine außergewöhnliche Krise haben, wird niemand bestreiten. Dabei hat uns die Krise bereits einiges gelehrt, wie mein Kollege Wolfgang Schalko in der vorhergegangenen Ausgabe an dieser Stelle beschrieben hat. Uns wurde drastisch die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft und unseres Wirtschaftssystems vor Augen geführt. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass wir eben nicht nach Belieben schalten und walten können, dass wir uns verändern müssen. Andererseits – und hier kommt das Bonmot von Churchill ins Spiel – wurde uns positiv vor Augen geführt, wie viel Improvisationsfähigkeit, Widerstandskraft und auch Eigenverantwortung in unserer Gesellschaft stecken. Das ist auch ein wesentlicher Unterschied zur letzten Wirtschaftskrise. Während wir nach der Lehmannpleite hilflos zum Handkuss gekommen sind, weil sich eine Kaste von Bankmanagern verzockt hat, sind wir diesmal alle im selben Boot. Dass man einiges bei der Bewältigung der Krise besser machen hätte können, ist klar. Aber jeder kann einmal stolz auf seine Leistungen unter diesen extremen Bedingungen sein. Damit befinden wir uns in einer, wie ich meine, außergewöhnlichen Situation: Es hat uns zwar aus unserer Komfortzone katapultiert, aber noch nicht umgeweht. Die Gefahr ist nicht gebannt. Der Abwehrmechanismus Leugnen ist allerdings ob der umfassenden Wucht der Corona-Krise fürs erste einmal ausgehebelt. Dass die nächsten Monate und Jahre zäh werden, wissen wir auf rationaler und zunehmend auch emotionaler Ebene. Jetzt kommt es darauf an, nicht in die alten Muster zurückzufallen, sondern diese Initialzündung positiv auszunutzen und jene komplexen Veränderungen anzugehen, die wir schon so lange vor uns herschieben.
Mag. Dominik Schebach
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