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Samstag, 20. April 2024
Editorial E&W 11/2020

Auf der Welle

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 15.11.2020 | Bilder | | 1  Meinung

Wolfgang Schalko
Es läuft. Kürzer und prägnanter lässt sich die aktuelle Situation im Elektrohandel wohl nicht ausdrücken. Während man sich im EFH sonst um diese Zeit den Kopf darüber zerbrach, wie das Jahresendgeschäft werden würde und welche Hebel man noch in Bewegung setzten könnte, um die Kauflaune zu wecken, stellt sich heuer als einzige Frage, wo sich ausreichend Ware beschaffen lässt.

Man kann und muss es offen sagen: Die Befürchtungen, die mit dem Einsetzen der Covid-19-Pandemie einhergingen, haben sich bestenfalls dahingehend bewahrheitet, als dass ihr krasses Gegenteil eingetreten ist. Statt eines Umsatzeinbruches ist kein Ende des Booms in Sicht. Ein Umstand, der in unserer Branche gar seltsame Blüten treibt: Wurde man als Journalist zuvor mit fadenscheinigen Argumenten abgeschasselt oder belanglosem Material abgespeist, wenn es wieder einmal das Ausmaß einer Misere zu beziffern galt, so werden solche Auskünfte dieser Tage aus einem völlig anderen Grund nicht bzw nicht offiziell (nur „off the records”) erteilt: Die Zahlen sind zu gut, als dass man sie gerne abgedruckt in der Zeitschrift oder im Internet lesen will. Selbst jene, die einer gewissen Form der Selbstinszenierung sonst nicht unbedingt abgeneigt sind, beginnen nun zu zögern. Häufigstes Argument: Man wolle keine Neiddebatte lostreten – als hätten gewisse Entwicklungen der Vergangenheit jemals für Wellen an Mitleidsbekundungen gesorgt…

Es gibt einen Satz, der mir aufgrund seiner Konnotation bis in die letzte Pore zuwider ist, aber in diesem Fall dennoch den Kern der Sache trifft: „Das wird man wohl noch sagen dürfen.” Wenn es um das Bereitstellen von Informationen und das Kommunizieren von Fakten (und nichts Anderes sind diese Zahlen) geht, erachte ich es nicht nur für erlaubt, sondern sogar für notwendig, mit der Wahrheit nicht hinterm Berg zu halten. Früher oder später wird jeder Einzelne sowieso Farbe bekennen und die Zahlen auf den Tisch legen müssen – bzw werden die in der „Corona-Zeit” erzielten Ergebnisse auch ungewollt ans Licht kommen. Was also wird mit dieser Strategie des (Ver-)Schweigens bezweckt? Welche Erwartung geht damit einher?

Diese letzte Frage haben wir für diese E&W-Ausgabe sehr häufig gestellt, in Richtung Industrie ebenso wie an den Handel, bezogen auf das bevorstehende Weihnachtsgeschäft. Die Antwort war durch die Bank die Zukunftsform des Einleitungssatzes: Es wird laufen. Zusatz: gut. Oder sehr gut. Eine klare Ansage der Branche, von der ich im Sinne aller Beteiligten nur hoffen kann, dass sie in dieser Form auch eintritt.

Mit der Erwartung bzw der Erwartungshaltung ist es nämlich so eine Sache. Eine durchaus heikle, wie ich erst kürzlich wieder schmerzlich erfahren musste. Ein Unternehmen, das sich mit der Analyse und Optmierung von Websites und -shops befasst, veranstaltete ein ganztägiges Online-Event zu verschiedensten Aspekten des E-Commerce. Klang spannend und versprach eine gute Story zu werden. Dass Sie diese nicht in dieser Ausgabe finden, ist dem Umstand geschuldet, dass die Vorträge inhaltlich leider in keinster Weise den Erwartungen entsprachen. Eine echte Enttäuschung. Warum ich den Event an dieser Stelle dennoch erwähne, ist jener Aspekt, der als einziger noch enttäuschender war als der Inhalt: die Technik. Von wirklich vielen Online-Formaten, die ich seit Beginn der Covid-19-Pandemie erleben durfte, war das mit Abstand das schlechteste – angefangen von der bescheidenen Übertragungsqualität über die in jedem Vortrag gleichen Soundprobleme (Ton funktionierte stets erst nach De- und Reaktivieren) bis hin zum Umstand, dass das Zuschalten zu den einzelnen Vorträgen immer erst möglich war, nachdem der Vortragende „drin” war (blöderweise nie genau zu dem Zeitpunkt, der auf der Agenda stand). Ich habe an diesem Tag jede Anfangssequenz verpasst. Im Anschluss ärgerte ich mich natürlich über dieses Ausmaß an digitalen Dilettantismus von einem Veranstalter, der sich selbst als hoch professionell auf diesem Gebiet rühmt. Heute, mit etwas Abstand, betrachte ich diesen Event nicht mehr (nur) als Zeitverschwendung, sondern durchaus als lehrreich: Es ist keineswegs falsch, sondern um das Interesse bei einem Adressaten zu schüren – egal, ob potenzieller Veranstaltungsbesucher oder Kunde – sogar äußerst hilfreich und bisweilen unumgänglich, gewisse Erwartungen zu schüren. Es ist jedoch fatal, wenn man diese nicht oder nur sehr unzureichend erfüllen kann.

Eine nahe Verwandte der Erwartung ist die Prognose. Der Zukunftsforscher Andreas Reiter (Schwerpunkt Tourismus) äußerte kürzlich in einem Standard-Interview in Bezug auf die weitere Entwicklung der Hotellerie und die Frage, ob ein Covid-19-Impfstoff wieder Normalität bringen würde, das Folgende: „Ich würde davor warnen, die Impfung als Allheilmittel zu sehen. (…) Meiner Ansicht nach wird im zweiten, dritten Quartal 2021 so oder so die Wende erfolgen. Entweder wir haben bis dahin einen Impfstoff, der funktioniert, oder die Gesellschaft wird eine andere Koexistenz mit dem Virus finden müssen. Weiter so wie bisher geht nicht, das hält niemand durch. Überall baut sich schon ein Gegendruck auf.”

Ja, der Elektrohandel ist momentan in einer relativ komfortablen Situation. Den Menschen fehlt es aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen an Möglichkeiten, ihr Geld für die gewohnten Aktivitäten auszugeben. Wer mehr Zeit zu Hause verbringt, will sich‘s naturgemäß hübsch und gemütlich machen. Gerade wegen der vielen Einschränkungen suchen die Leute aber auch nach einem Ventil – um ihre Konsumgelüste zu befriedigen oder um einfach einmal „raus” zu kommen. Für all das steht der Elektrohandel bereit und empfängt die Kauflaunigen – no na – mit offenen Armen. Es ist ein für den EFH wohlverdientes Hochgefühl, auf dieser Welle zu reiten – das es auszunutzen und -kosten gilt, denn auch dieser Ritt wird irgendwann zu Ende gehen.

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Kommentare (1)

  1. Nur eine Frage: Haben da manche vielleicht Kurzarbeit und andere Beihilfen kassiert und wissen jetzt nicht so recht wie sie das bei einem Wachstum argumentieren sollen? Vielleicht paar Ausfall Stunden zu viel angegeben? Tiefgestapelt und Gewinne zur Seite geräumt? Mit der Rechtfertigung ‚das machen doch alle‘? Uh, heisses Pflaster, wünsche einen schönen Sonntag

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