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Samstag, 20. April 2024
Zahlungsmoral-Studie in der Corona-Krise

Atradius: Jede zweite Firma in Österreich kämpft mit Liquiditätsengpässen

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 26.11.2020 | |  Wissen
Die Corona-Wirtschaftskrise hat mittlerweile bei jedem zweiten österreichischen Lieferanten oder Dienstleister zu Liquiditätsengpässen geführt. Das zeigt das jetzt veröffentlichte Zahlungsmoralbarometer von Atradius. In der aktuellen Studie gaben 49% der befragten Firmen in Österreich an, dass sie in den vergangenen Monaten Schwierigkeiten hatten, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen – deutlich mehr als die durchschnittlich 38% der Unternehmen in den anderen zwölf Ländern Westeuropas, in denen der internationale Kreditversicherer die Befragung zum Zahlungsverhalten im Firmengeschäft ebenfalls durchgeführt hat.

Hauptursache für die Liquiditätsengpässe waren vor allem schwindende Umsätze: 58% der österreichischen Umfrageteilnehmer meldeten spürbare Verkaufseinbrüche infolge der Pandemie. Dagegen ist der Anteil an den Gesamtforderungen, bei denen es zu verspäteten Zahlungen gekommen ist, bei Österreichs Firmen mit 33% relativ gering (Vorjahresstudie: 28%), und liegt deutlich unter dem westeuropäischen Durchschnitt von zuletzt 47%. Gleichzeitig geben 47% der Unternehmen in Österreich an, dass sie in der Corona-Krise Lieferungen mit Zahlungsziel gewährt haben, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

„In der jetzigen Situation ist die Strategie vieler österreichischer Firmen, ihre Angebote mit Zahlungszielen wettbewerbsfähiger zu machen, sehr gut”, sagt Franz Maier, Generaldirektor Österreich, Ungarn und Südosteuropa von Atradius. „Das sichert einige der momentan so wichtigen Umsätze. Angesichts der großen Unsicherheiten, die derzeit auf allen Märkten herrschen, sollten solche Lieferantenkredite jedoch nach Möglichkeit immer abgesichert sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Kredite zum Beispiel aufgrund von Insolvenzen ausfallen, steigt in der aktuellen Krise. Darauf weisen die zunehmenden verspäteten Zahlungseingänge hin. In den kommenden Monaten werden weitere Anstrengungen und Ideen nötig sein, damit genügend Umsätze erwirtschaftet werden können und Liquidität generiert wird.”

Österreich ragt bei Zahlungsausfällen positiv heraus

Auch bei der durchschnittlichen Zahlungsziellänge räumten Österreichs Lieferanten ihren Kunden zuletzt mehr Spielraum ein. Das durchschnittliche Zahlungsziel lag in den vergangenen Monaten bei 42 Tagen, was eine deutliche Verlängerung gegenüber dem Wert der Vorjahresstudie von 31 Tagen darstellt. Wenn Zahlungsziele abgelehnt wurden, so betraf dies meistens Abnehmer aus dem KMU-Segment, bei denen Informationen über den Geschäftsverlauf fehlten, oder die aufgrund einer auffälligen Zahlungshistorie durchs Raster fielen. Die Zahlungsausfälle von Österreichs Firmen ragen im westeuropäischen Vergleich positiv heraus und lagen während der Corona-Krise bislang bei nur 3% (gegenüber 7% im regionalen Durchschnitt).

Hoher Aufwand für Forderungseintreibung in Chemie-, Baustoff- und Papierbranche

Die Kosten für die Eintreibung offener Forderungen sind trotz des relativ geringen Ausfallrisikos bei vielen österreichischen Firmen stark gestiegen. 41% gaben an, dass sie hierfür zuletzt deutlich mehr Kapazitäten bereitgestellt haben. Um die Forderungsrisiken weiter einzudämmen, planen 53% der befragten Firmen, in den kommenden Monaten verstärkt auf Sofortzahlungen oder Vorkasse zu bestehen, 48% wollen in die Selbstversicherung gehen, 42% eine Kreditversicherung abschließen.

Die hohen Eintreibungskosten der österreichischen Firmen spiegelt auch der stark gestiegene DSO-Wert (Days Sales Outstanding, durchschnittliche Forderungslaufzeit in Tagen) in einigen Branchen wider. Dieser misst den Zeitraum zwischen der Rechnungsstellung und dem Zahlungseingang. Je kürzer diese Spanne ist, desto effizienter können Firmen ihre Außenstände einziehen und Liquidität generieren. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie stieg der DSO-Wert bei 71% der Unternehmen der chemischen Industrie um 49% an und liegt nun bei 94 Tagen. In der Baustoffbranche betrug er zuletzt 130 Tage, in der Papierbranche 140 Tage.

Corona: Massive Auswirkungen auf die Liquidität von Europas Unternehmen

Die aktuelle Studie des internationalen Kreditversicherers zeigt die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf dem gesamten Kontinent. In Westeuropa stieg der Anteil der am Fälligkeitstag noch nicht bezahlten Rechnungen in den vergangenen Monaten auf 47% – eine Steigerung um zwei Drittel gegenüber der Vorjahresbefragung (29%). In Osteuropa stiegen die verspäteten Zahlungen gar um mehr als drei Viertel auf 45% (Vorjahresbefragung: 24%). Der Anteil der Außenstände am Gesamtumsatzvolumen, der nicht eingetrieben werden konnte und abgeschrieben werden musste, lag in Westeuropa in den vergangenen Monaten bei 7%, nach 2% im vergangenen Jahr. In Osteuropa kam es bei 6% des Umsatzes zu Forderungsausfällen, im vergangenen Jahr lag dieser Wert noch bei 1%.

Auch die durchschnittliche Forderungslaufzeit hat sich auf dem gesamten Kontinent dramatisch erhöht: In Osteuropa liegt der durchschnittliche DSO-Wert der Firmen bei 103 Tagen, 89% der befragten Firmen berichteten hier zuletzt von einem Anstieg ihrer Forderungslaufzeit. In Westeuropa liegt der durchschnittliche DSO-Wert bei 98 Tagen, hier stieg er zuletzt bei mehr als 90% der Unternehmen an.

Das Atradius Zahlungsmoralbarometer für West- und Osteuropa enthält die Befragungsergebnisse zum Zahlungsverhalten im Firmengeschäft in 20 Ländern aus den vergangenen zwölf Monaten. In Westeuropa wurden insgesamt mehr als 2.600 Firmen in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz, Spanien und dem Vereinigten Königreich befragt; in Osteuropa mehr als 1.400 Firmen in Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, der Tschechischen Republik, der Türkei und Ungarn.

Alle Ergebnisse des Atradius Zahlungsmoralbarometers können auf www.atradius.at im Menüpunkt Publikationen kostenlos heruntergeladen werden.

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