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Freitag, 26. April 2024
Recht im Handel – Handeln im Recht

Lockdown II, Schutzmaßnahmenverordnung & Co.

Hintergrund | Dr. Nina Ollinger | 13.12.2020 | |  
Nun haben wir also den zweiten Lockdown hinter uns, diesen in zwei Versionen, light und hart; zur Zeit des Redaktionsschlusses sind wir mit der 2. COVID-Schutzmaßnahmenverordnung konfrontiert. Was hat es mit all diesen Verordnungen auf sich? Hat der Verordnungsgesetzgeber aus der Kritik der letzten Monate gelernt? Gibt es Gesetzes-/Verordnungslücken? Alles spannende Fragen für Juristen, aus meiner Sicht auch für Unternehmer.

Leider lässt uns das Thema Corona noch nicht los, juristisch wird es uns wohl noch sehr lange begleiten. Vieles, was in der letzten Zeit passiert ist, wird wohl noch juristisch aufzuarbeiten sein. Man hört von vielen, die den Verfassungsgerichtshof anrufen, von Rechtsmittel gegen erfolgte Strafen und man liest auch von einigen Seiten, wo die Verordnungen, die unser Leben seit 9 Monaten bestimmen, ihre Tücken haben (sollen).

Das größte Verordnungswerk, das uns im Wesentlichen bestimmt, stammt vom Sozialministerium. Wir sehen uns einem regelrechten Verordnungs-Dschungel gegenüber; zunächst wurden wir – jeweils in mehreren Versionen – mit der 96. und der 98. Verordnung in den ersten Lockdown geschickt, davon „erholten“ wir uns mit den diversen Versionen der Lockerungsverordnung und schließlich mussten wir uns mit der COVID-19-Maßnahmenverordnung und deren Versionen auseinandersetzen, bis schließlich die Schutzmaßnahmen-Verordnung nach nur zwei Wochen von der COVID-Notmaßnahmenverordnung abgelöst wurde, die den zweiten Lockdown einläutete. Derzeit analysieren wir die 2. COVID-Schutzmaßnahmen-Verordnung, die unser Leben seit 7.12.2020 bestimmt.

Was haben diese Verordnungen gemeinsam? Sie basieren alle auf dem COVID-19-Maßnahmengesetz, das dem Sozialministerium die Möglichkeit einräumt, das Betreten bestimmter oder öffentlicher Orte, das Verlassen des privaten Wohnbereiches und Ähnliches Regelungen zu unterwerfen. Das Epidemiegesetz sieht vor, dass das Zusammenströmen größerer Menschenmengen durch Maßnahmen verhindert werden kann (§ 15) und regelt die Absonderung Kranker (§ 7), dh die mittlerweile bestens bekannte Quarantäne. Das haben die Verordnungen wohl alle gemeinsam: Deren Rechtsgrundlagen, deren Basis, sind theoretisch klar, oder auch wieder nicht. Die Verordnungen wurden bekanntermaßen vom Verfassungsgerichtshof bereits überprüft, in vielen Punkten aufgehoben und als (teilweise) nicht gesetzeskonform angesehen. Insbesondere fehlte es in den ersten Monaten überhaupt einmal an einer rechtlichen Begründung dafür, weshalb in Grundrechte eingegriffen wird. Das muss aus epidemiologischer und natürlich auch aus grundrechtlicher Sicht erst einmal argumentiert werden bzw argumentierbar sein. Diese rechtlichen Begründungen kennen wir nun seit einigen Wochen. In eine inhaltliche Überprüfung der einzelnen Bestimmungen ist der Verfassungsgerichtshof meistens noch gar nicht eingetreten, da schon im Vorfeld Probleme mit den Verordnungen bestanden und diese in gewissen Bestimmungen aufgehoben wurden. Warum, nur in gewissen Bestimmungen? Der Verfassungsgerichtshof prüft nur einen konkreten Teil, der zu ihm getragen wurde, und nicht per se eine ganze Verordnung.

Was haben die Verordnungen nun nicht gemeinsam: Insbesondere deren Namen, vor allen Dingen deren Systematik. Für Rechtsanwender ist es mittlerweile nahezu unüberblickbar geworden, wann was gemacht werden darf oder durfte. Die Verordnungen tragen unterschiedliche Namen, sehen die unterschiedlichsten Beschränkungen bzw Vorschriften vor was dazu führt, dass eine – ohnehin zu spät kommende mangels Eilverfahren – Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof Verordnungen betrifft, die in dieser Form zum Zeitpunkt der Entscheidung durch diesen gar nicht mehr in Kraft sind.

Das große Problem an dieser Situation: Zum einen müssen Unternehmen vieles selbst beurteilen und entscheiden, sie müssen sich mit den Inhalten der Bestimmungen auseinandersetzen und dann für sich die Abwägung treffen: Besser Vorschriften einhalten, die vielleicht einmal als gesetzwidrig oder verfassungswidrig aufgehoben werden oder es einfach riskieren, die Verhängung von Strafen in Kauf zu nehmen und für die Bekämpfung derer Geld in die Hand nehmen? Die Situation ist unbefriedigend. Aus juristischer Sicht darf die Vorgehensweise der vielen Verordnungen und der unterschiedlichen Systeme der Verordnungen wohl zurecht kritisiert werden; die Rechtsstaatlichkeit leidet, die Vorhersehbarkeit von Gesetzen und deren Gültigkeit ist nicht zuletzt aufgrund der sich ständig ändernden Rechtslage problematisch.

Insbesondere, was die Regelung von Zusammenkünften betrifft, regt sich Kritik, da das Epidemiegesetz „Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen“ ermöglicht. Beinhaltet das auch eine Reduktion auf sechs Personen? Eine Reduktion auf private Zusammenkünfte, Feierlichkeiten zu Weihnachten oder wie viele Personen man bei sich zu Hause zu Besuch empfangen darf? Aus dem zweiten Lockdown kennen wir die Vorschrift, dass mobile Dienstleister ihre Dienstleistungen nicht beim Kunden erbringen durften; das COVID-19-Maßnahmengesetz sieht jedoch nur vor, dass Kundenanzahl und Zeitraum bei der Betretung von Betriebsstätten durch eine Verordnung geregelt werden darf (§ 3 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz); Mobil-Frisösen betreten keine Betriebsstätte sondern den privaten Wohnbereich ihrer Kunden. Sieht man sich einzelne Bestimmungen an bzw muss man gegen einzelne Bestimmungen vorgehen, finden sich (leider) genug Anhaltspunkte, um allfällige Strafen zu bekämpfen und wahrscheinlich auch Recht zu bekommen.

Aus diesem Gesichtspunkt ist auch nachvollziehbar, dass Handelsunternehmen im ersten aber auch im zweiten Lockdown nicht nur Lebensmittel sondern ihr gesamtes Sortiment zum Verkauf angeboten haben. Aus rechtlicher Sicht lassen sich die medial propagierten Wünsche/Vorschriften aus den entsprechenden Verordnungen mit guten Argumenten bekämpfen oder aber gar nicht einmal ableiten. In dem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage, ob der Gleichheitsgrundsatz ausreichend berücksichtigt wurde. Wir sprechen in diesem und in allen anderen Fragestellungen von elementaren Grundrechten, deren Beschränkung die meisten von uns am eigenen Leib vor 16.3.2020 nicht erlebt haben. Aus diesem Grund darf es aus juristischer Sicht wohl kritische Stimmen geben und ein Hinterfragen von Verordnungen, die ein einzelner Minister erlässt und die derart weitreichend in unser Leben eingreifen, wohl zulässigerweise erfolgen. Ein entsprechender Diskurs diesbezüglich wäre nicht nur wünschenswert, sondern wohl geboten. Auch die vermehrte Einbindung des Parlaments bei derartigen Vorgehensweisen hätte zu erfolgen; die Dringlichkeit, aber vor allem die Unvorhersehbarkeit, wie im März 2020 ist mittlerweile nicht mehr begründbar.

Rasche und situationsbedingte Gesetzgebung hat ihren Preis; nicht umsonst sieht der Gesetzgebungsprozess Lesungen und Stellungnahme-Möglichkeiten vor, um letztlich ein bestmöglich durchdachtes Gesetz zu erschaffen. All das ist in der Kürze der Zeit, wie derzeit Verordnungen erlassen werden, nicht umsetzbar. Aus diesem Grund wird man bei den erlassenen Verordnungen leicht irgendwelche Lücken, Gesetzwidrigkeiten oder unzulässige Eingriffe in diverse Grundrechte finden und diese bzw erhaltene Strafen in vielen Fällen erfolgreich bekämpfen können.

RA Dr. Nina Ollinger, LL.M
02231 / 22365
office@ra-ollinger.at
www.ra-ollinger.at

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