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Donnerstag, 18. April 2024
Unternehmensinsolvenzen sinken auf Niveau von 1990

Creditreform: Größte Rückgänge bei Firmen- und Privatinsolvenzen seit Jahrzehnten

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 14.12.2020 | |  Wissen
Der Gläubigerschutzverband Creditreform hat die Zahlen der aktuellen Insolvenzentwicklung in Österreich im Jahr 2020 erhoben. Der Gläubigerschutzverband Creditreform hat die Zahlen der aktuellen Insolvenzentwicklung in Österreich im Jahr 2020 erhoben. (© Creditreform) Das Insolvenzgeschehen als Seismograph für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat sich vom wirklichen Zustand der österreichischen Unternehmen entkoppelt. Trotz der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg und eines massiven Konjunktureinbruchs im Zuge der Covid-19-Pandemie ist die Zahl der Firmeninsolvenzen um 41,5% auf etwas mehr als 3.000 Verfahren zurückgegangen. So wenige Insolvenzen gab es in Österreich zuletzt vor 30 Jahren.

Der Gläubigerschutzverband Creditreform hat den aktuellen Trend bei den Firmeninsolvenzen für das Jahr 2020 in Österreich im Detail analysiert: Die Zahl der eröffneten Verfahren ging um rund 42% auf 1.800 Fälle zurück. Die mangels Vermögen abgewiesenen Verfahren sanken um knapp 40% auf etwa 1.200 Fälle. Die Insolvenzursachen liegen erstmals nicht hauptsächlich in Managementfehlern sondern im Kapitalmangel. Bei allen Insolvenzverfahren waren in Summe rund 14.000 Arbeitsplätze betroffen. Die Insolvenzverbindlichkeiten werden auf ca. 2,2 Mrd. Euro geschätzt.

Dazu Gerhard M. Weinhofer, Geschäftsführer des Gläubigerschutzverbandes Österreichischer Verband Creditreform: „Die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung waren angesichts der Wucht, mit der Covid-19 die heimische wie auch die Weltbevölkerung getroffen hat und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems befürchten ließ, anfangs richtig. Um die wirtschaftlichen Folgen der zahlreichen Tätigkeitsverbote ganzer Branchen abzumildern, wurden massive wirtschaftspolitische Eingriffe verordnet, z.B. das teilweise Aussetzen der Insolvenzantragspflicht, das Moratorium hinsichtlich der Insolvenzanträge durch die ÖGK und die Finanzämter. Diese sind aber auch verantwortlich für die abnormale Insolvenzentwicklung, in der sich die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Unternehmen nicht widerspiegelt. Es wäre aber nun an der Zeit, das Insolvenzrecht mit seinem bewährten Sanierungsinstrumentarium wieder uneingeschränkt und damit eine Marktbereinigung zuzulassen. Eine Prolongierung der Hilfsmaßnahmen und dadurch weitere Verschuldung des Staates würde nur den Überlebenskampf vieler Unternehmen hinauszögern, den letztlich alle Steuerzahler bezahlen müssten.“

Bundesländer– und Branchenvergleich

Den stärksten Rückgang verzeichneten die westlichen Bundesländer Tirol (-57,5%), Vorarlberg (-51,5%) und Salzburg (-50,6%). Die höchste Insolvenzbetroffenheit herrschte in der Bundeshauptstadt mit knapp 11 Insolvenzen pro 1.000 Unternehmen, die geringste in Vorarlberg mit 3,5 von 1.000 Unternehmen. Österreichweit mussten etwas mehr als 6 von 1.000 Unternehmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten.

Der Rückgang erfolgte quer über alle Branchen, am meisten im Transportwesen („Verkehr- und Nachrichtenübermittlung“) mit Minus 48,3%, gefolgt von den „Unternehmensbezogenen Dienstleistungen“ (-47,6%) und dem Handel (-46,3%).

Vergleich zu Deutschland

Eine deutlich andere Situation verzeichnete der wichtigste heimische Wirtschafts- und Handelspartner Deutschland. Dort nahm die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auch ab, aber deutlich weniger stark, nämlich nur um 13,4%. 16.300 Insolvenzen bedeuten den niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999. Die Gründe für die weniger drastische Situation liegen darin, dass die staatlichen Eingriffe nicht ganz so stark waren. Die Corona-Krise hat zu einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Großinsolvenzen geführt, z.B. GALERIA KARSTADT KAUFHOF und die bekannten Modeeinzelhändler „Esprit“ und „BONITA“. Spürbare erhöht haben sich dadurch die Schäden für die Gläubiger auf schätzungsweise 34 Mrd. Euro. Es besteht zu befürchten, dass es hier in Österreich im kommenden Jahr zu einem Nachholeffekt kommen kann.

Conclusio 2020 – Ausblick 2021

Die gravierenden Eingriffe der Wirtschaftspolitik erklären das Paradoxon stark sinkender Firmeninsolvenzen in der größten Wirtschaftskrise. Man fragt sich nun, was für 2021 zu erwarten ist? Creditreform hat dazu seine Bilanzdatenbank mit den rund 150.000 hinterlegungspflichtigen Unternehmensbilanzen analysiert. Berücksichtigt man dazu die aktuelle Wirtschaftsentwicklung mit einem geschätzten Rückgang des BIP um mindestens 8%, ergibt sich eine Zahl von rund 50.000 Unternehmen, die insolvenzgefährdet sind und lediglich aufgrund der jahrelangen Niedrigzinsen überleben konnten und aufgrund der aktuellen Hilfsmaßnahmen weiter überleben können. Wann kommt nun die Insolvenzwelle? Das dürfte spätestens dann der Fall sein, wenn wieder das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte zugelassen wird und staatliche Regulierungen – seien sie noch so gut gemeint – zurückgefahren werden. Diese Entwicklung wird maßgeblich davon abhängen, wann man die gesundheitlichen Risiken der Pandemie durch wirksame Impfstoffe in Griff bekommt. Klar ist aber, dass einmal der Zahltag kommen wird, für die Unternehmen und für alle Bürger als Steuerzahler.

Privatkonkurse sinken auf 14jähriges Rekordtief

Auch bei den Privatinsolvenzen für das Jahr 2020 zeichnet sich ein ähnliches Bild wie im betrieblichen Bereich: Trotz einer hohen Arbeitslosigkeit ist die Zahl der eröffneten Schuldenregulierungsverfahren um knapp 27% auf rund 7.300 Verfahren gesunken. So wenig Insolvenzen gab es zuletzt im Jahr 2006.

Zu den Gründen meint Weinhofer: „Die Österreicherinnen und Österreicher sparen angesichts der unsicheren Wirtschaftslage und aus Angst um einen möglichen Jobverlust mehr als sonst. Das zeigt auch der bisher schwach anlaufende Weihnachtskonsum. Auch haben das großzügige Kurzarbeitsmodell sowie die Kredit- und Zinsmoratorien den finanziellen Druck bei manchen etwas entschärft.“ Die Hauptursachen für die Privatinsolvenz liegen wie immer im Arbeitsplatzverlust, in der gescheiterten Selbständigkeit sowie im generell sorglosen Umgang mit Geld.

Bis Jahresende rechnet das Arbeitsministerium mit rund 500.000 Arbeitslosen. Dazu kommt, dass immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Obwohl es somit angesichts der größten Wirtschaftskrise um die Finanzen der Österreicherinnen und Österreicher schlecht bestellt zu sein scheint, sinken die Privatinsolvenzen auf den niedrigsten Stand seit 14 Jahren. Während des ersten Lockdown haben sich die Menschen zuallererst um ihre Gesundheit und die ihrer Nächsten und weniger um finanzielle Angelegenheiten gekümmert. Spätestens seit dem zweiten Lockdown hat sich verfestigt, dass die Wirtschaft nicht so schnell und einfach hochgefahren werden kann, wie sich am 16. März zurückgefahren wurde. So wird angesichts der unsicheren Lage mehr denn je gespart. Auch von den möglichen Zins- und Kreditmoratorien wurde kräftig Gebrauch gemacht. Zu spüren bekommt das der Handel, wie sich zuletzt beim mäßigen Konsum zu Maria Empfängnis gezeigt hat. Sollte der Wintertourismus nicht in die Gänge kommen und dadurch weiter viele Jobs verloren gehen, die Wirtschaft und der Binnenkonsum nicht schnellstmöglich nach der erhofften Impfmöglichkeit anspringen, wird der finanzielle Druck auf die Menschen steigen und mehr in die Schuldenregulierung führen. Dann werden die Privatinsolvenzen sicher wieder auf mehr als 10.000 Fälle p.a. steigen. Aus konsumentenpolitischer Sicht ist es daher nachvollziehbar, dass die Bundesregierung Pläne schmiedet, die Entschuldungsdauer auch für Privatpersonen von fünf auf drei Jahre zu senken und diesen damit schneller die Rückkehr in den Wirtschaftskreislauf zu ermöglichen. Gläubiger seien hingegen gewarnt, dass damit zu rechnen sein wird, dass aufgrund der Kürze der Rückzahlungsfrist die Quoten sinken und damit die Gläubigerbelastung durch Forderungsverluste steigen werden.

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