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Donnerstag, 25. April 2024
Ein fast Corona-freier Ausblick

Das Shoppen von morgen

Über den Rand | Wolfgang Schalko | 21.02.2021 | Bilder | |  Meinung

Wolfgang Schalko
Es hat eine Zeit vor Corona gegeben und es wird eine Zeit – nein, nicht nach – aber mit Corona geben. Vermutlich sogar eine etwas längere, denn selbst die Regierung hat mittlerweile verkündet, dass das Virus „Teil unseres Lebens bleiben“ bleiben werde. Die Frage, die uns alle bewegt, lautet also, wie es weitergehen wird. In einem Teilbereich liefert darauf die Studie „Westfield How We Shop: The Next Decade” eine Antwort – nämlich wie Konsumenten in Österreich und ganz Europa bis 2029 einkaufen werden.

Soviel vorweg: In einer Zeit, die von Vorhersagen, Prognosen und Möchtegern-Erkenntnissen nur so wimmelt, mag die besagte Studie wie eine von vielen anmuten. Allerdings hebt sie sich durch zwei Aspekte ab: Erstens stammt sie nicht von irgendwem, sondern von Unibail-Rodamco-Westfield, einem weltweit führenden Entwickler und Betreiber von Flagship Shoppingzentren und Eigentümer der beiden größten österreichischen Einkaufszentren Shopping City Süd und Donau Zentrum . Für diese bislang umfangreichste repräsentative Studie zur Zukunft des Einzelhandels in Europa des Unternehmens wurden 15.700 Konsumenten in zehn europäischen Staaten, darunter Österreich, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Deutschland, Schweden, Polen, Tschechien, Italien und den Niederlanden zu ihren Bedürfnissen und Wünschen in Sachen Einkaufen befragt.

Zum zweiten Aspekt dann etwas später…

Studienergebnis: Experience Economy krempelt Handelslandschaft um

Laut dem „Westfield How We Shop: The Next Decade”-Report wird in den kommenden Jahren in puncto Shopping kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Experience Economy steht vor einem Siegeszug und wird ab 2025 den stationären Handel auf den Kopf stellen.

Dabei weist die Studie fünf große Trends aus, die das Einkaufen im stationären Handel in Österreich und Europa in der Dekade der 2020er-Jahre prägen werden:

Upside-Down Retail: Das gesamte Geschäftsmodell des Einzelhandels sowie die Einkaufsgewohnheiten der Menschen werden auf den Kopf gestellt. Mit dem Jahr 2025 kommt die Trendwende, ab der mehr als die Hälfte der Retailflächen nicht länger Produkten, sondern Erlebnissen gewidmet sein wird. Davon sind 53 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher überzeugt. Schon jetzt sind die österreichischen Konsumenten der Meinung, dass mehr als ein Drittel der Fläche für das Angebot von Erlebnissen (Experience Economy) vorgesehen sein sollte. 81 Prozent aller Befragten geben an bereit zu sein, für Erlebnisse mehr zu bezahlen. Die Österreicher sind vor allem an kreativen, gesundheitsorientierten und sportlichen Erlebnissen interessiert.

Anti-Prescription: Enttäuschte Konsumenten lehnen jene Retail-Erfahrungen ab, die ihre Auswahlmöglichkeiten einschränken und bevorzugen Impulskäufe und die Möglichkeit, ungehindert im gesamten Sortiment zu Stöbern und zu Schmökern. Österreichische Kunden zeigen sich frustriert, wenn es um vorgeschriebene Einkaufserlebnisse geht. Mehr als 60 Prozent der Befragten sind enttäuscht von ungenauen, durch Algorithmen vorgegebenen Online-Empfehlungen. Das ist mehr als im europäischen Durchschnitt (56 Prozent). Fast die Hälfte zieht es vor, das gesamte Sortiment zu durchstöbern als lediglich vorausgewählte Kollektionen. Die überwältigende Mehrheit (87 Prozent) der österreichischen Käufer schätzt und genießt die Atmosphäre des stationären Einkaufens. Lediglich die Niederlande hat von den zehn untersuchten Ländern mit 89 Prozent einen noch höheren Wert. Rund drei Viertel (74 Prozent) der Österreicher haben Spaß am Bummeln und Schmökern – ein weiterer Spitzenwert im europäischen Vergleich. Wenn sie in physischen Geschäften einkaufen, tätigen mehr als drei Viertel (76 Prozent) Impulskäufe. Auch dieser Wert liegt über dem europäischen Marktdurchschnitt. Gleichzeitig wünschen sich die österreichischen Konsumenten stationäre Läden ihrer liebsten Onlinemarken wie Youtube, Google, Otto und anderen.

Self-Sustaining Stores: Einzelhändler werden ihr Geschäftsmodell von Grund auf neu erfinden müssen, denn die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und Lösungen wächst rasant. Das Thema Nachhaltigkeit spielt in Österreich eine große Rolle und Österreich ist einer jener Märkte, die diesen Trend in naher Zukunft am ehesten annehmen werden. Vier von fünf Österreichern (81 Prozent) fordern, dass der Einzelhandel zukünftig weitgehend autark agiert, indem die angebotenen Produkte direkt vor Ort oder in der unmittelbaren Nähe produziert werden. Ebenso viele sind der Meinung, dass die Geschäfte mehr für die Umwelt tun sollten. Auffallend stark äußern sich die Österreicher (71 Prozent) bezüglich des Verbots von Einwegplastik, welches sie europaweit am stärksten einfordern. Mehr als die Hälfte der Österreicher (57 Prozent) wollen, dass die Geschäfte vorrangig nachhaltigere Produkte verkaufen und mehr als zwei Drittel (69 Prozent) wünschen sich Abholstationen, an denen es Produkte von regionalen Bauern zu kaufen gibt.
Mieten wird zu einem neuen Lebensstil werden und nicht länger auf einzelne Lebensphasen begrenzt sein. Fast die Hälfte der Österreicher (45 Prozent) möchte Produkte zukünftig lieber mieten anstatt zu kaufen. Besonders stark ist das Interesse im Segment der Haushaltsgegenstände und Möbel, wo mehr als drei Viertel der Österreicher (78 Prozent) das Mieten von Produkten als bevorzugte Variante angeben. Damit liegt Österreich gemeinsam mit Großbritannien und Polen an der europäischen Spitze.

Retail Surgery: Einzelhändler heben das Thema Personalisierung auf ein neues Level und entwickeln sich angelehnt an Arztpraxen, um die genauen Bedürfnisse der Konsumenten auf Basis von Daten und nicht aufgrund von Vermutungen zu diagnostizieren. Das Potenzial dieses Marktes wird allein in Europa auf bis zu 4 Billionen Euro geschätzt. In Österreich ist das Interesse an Retail Surgery groß. Mehr als die Hälfte der Käufer aus Österreich (53 Prozent) wünscht sich persönliche Beratung durch den Fachhändler, um die für sie passenden Produkte zu finden. Hier liegt Österreich über dem europäischen Durchschnitt. Darüber hinaus besteht bei mehr als einem Drittel Interesse daran, dass der Einzelhandel DNA-Tests anbietet, um personalisierte Empfehlungen zu Ernährungsplänen und Gesundheitsempfehlungen geben zu können. Das Teilen von DNA- und Gesundheitstest zur Entwicklung von besseren Produkten und Services wollen jedoch nur ein Viertel der Österreicher (24 Prozent). Damit zählen die Österreicher im europäischen Vergleich zu den Skeptikern. Die höchsten Zustimmungswerte finden sich hierzu in Polen, Italien und Großbritannien mit jeweils über 35 Prozent.

Locally-Morphed: Die Einzelhandelsflächen von morgen werden sich an ihre lokale Umgebung und Gemeinschaft (Community) anpassen und dabei die gesamte Bandbreite von lokalen Marken bis hin zu Gemeinschaftserlebnissen abbilden. Die Österreicherinnen und Österreicher prägt eine starke Verbundenheit mit der lokalen Umgebung. 40 Prozent von ihnen äußern den Wunsch, sich stärker für ihre lokale Gemeinschaft zu engagieren. Gerade im Einzelhandel wünschen sich mehr als zwei Drittel (68 Prozent) von ihnen, dass sich die zukünftige Einzelhandelslandschaft an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientiert.
Einen besonders hohen Stellenwert haben für die Österreicher lokale Marken. Fast zwei Drittel (62 Prozent) der österreichischen Konsumenten geben an, dass sie in ihrer idealen Einkaufsumgebung lokale Marken gegenüber bekannten Marken bevorzugen würden. Damit ist Österreich gemeinsam mit Frankreich europäischer Spitzenreiter.

Der Clou und eine bemerkenswerte Erkenntnis

Hier nun der zweite Aspekt, durch den sich der „Westfield How We Shop: The Next Decade“-Report von anderen Studien unterscheidet: den Zusatz „2019”. Die Erhebung wurde im Juni und Juli 2019 durchgeführt und Anfang 2020 – also vor über einem Jahr – veröffentlicht. Und obwohl sich vieles liest als ob, so war das heute alles beherrschende Thema Corona damals noch keines.

Wer, wenn nicht ein Zukunftsforscher, wäre also dafür prädestiniert, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen und einen – umfassenden und die Corona-Krise berücksichtigenden – Blick in die Zukunft zu wagen? Matthias Horx hat genau das – wieder einmal – in seinem Zukunftsreport 2021 getan. Hinsichtlich der die prägenden Trends und Phänomene von morgen hält Horx dort fest: Das „neue Normal“ wird anders aussehen als das alte. Und auch ein Impfstoff wird den alten Zustand nicht wiederherstellen. Das „noch seltsamere Jahr 2021“ wird in vieler Hinsicht Entscheidungen bringen. Entscheidungen über Autokratie und Rebellion, über Demokratie, Freiheit und Globalisierung. Im Jahr 2021 wird sich langsam eine neue Welt(un-)ordnung enthüllen. Covid-19 hat uns auf drastische Weise das „große Zuviel“ gezeigt. Das Virus hat uns – oder sagen wir: sehr viele Menschen – mit der Wahrheit konfrontiert: Wir stecken in einer gigantischen Steigerungskrise. Und zwar schon lange. Die Pandemie ist ein Weckruf. Und vielleicht hat die Corona-Krise nur einen einzigen Sinn: der Menschheit unmissverständlich klarzumachen, dass es auch ohne sie nicht so weitergegangen wäre wie bisher. Dass das alte Normal schon ein Unnormal war.

Das ist zwar auch keine Antwort darauf, wie es weitergehen wird – rückt aber zumindest die Frage in ein anderes Licht…

Bilder
(© URW)
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