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Dienstag, 16. April 2024
Hintergrund-Kommentar E&W 4/2021

A Single Point of Failure

Hintergrund | Dominik Schebach | 04.04.2021 | Bilder | |  Meinung

Dominik Schebach
Der Kahn schwimmt wieder. Beim Verfassen dieser Zeilen hat eine Flottille von Schleppern und Schwimmbaggern das derzeit berühmteste Containerschiff nach knapp sechs Tagen teilweise wieder flott bekommen. Trotzdem kommt man an der Ever Given nicht so leicht vorbei. Weder physisch – der Suez-Kanal ist nun einmal nicht so breit – noch als Journalist.

Mit einem Schlag wurde damit die Verwundbarkeit unseres Just-in-Time-Wirtschaftssystems demonstriert. Verwunderlich ist dabei eigentlich nur, dass das System doch so lange funktioniert hat. Doch die Ever Given zeigt auf, dass man es mit guten Ideen auch übertreiben kann. Das gilt einmal für die Containerschiffe selbst. Transportierten die größten Schiffe vor 20 Jahren noch rund 5000 Container, so kann ein Gigant wie die Ever Given heute mehr als 20.000 dieser Metallschachteln mit sich führen. Mit einer Länge von knapp 400 Metern und einem Gewicht von mehr als 220.000 Tonnen sind diese Frachter in solchen Engstellen wie dem Suez-Kanal kaum mehr beherrschbar. Und selbst wenn das Nadelöhr wieder frei ist, so werden sich die Verzögerungen in den ansonsten durchgetakteten Lieferketten von den Häfen, über die Transportmittel bis zu den Distributionszentren und Fabriken fortsetzen. Auch in einem Binnenland wie Österreich wird man diese Verwerfungen spüren.

Nach den Corona-bedingten Turbulenzen in der internationalen Logistik – wegen geschlossener Werke, fehlender Container oder verspäteter Komponenten – hat die Ever Given den Fahrplan zur wirtschaftlichen Erholung von Europa zusätzlich durcheinander gebracht. Spätestens jetzt muss uns allen bewusst sein, dass unser heutiges Wirtschaftssystem auf einen reibungslosen Nachschub an Waren aus aller Herren Länder angewiesen ist. An erster Stelle ist hier natürlich der Warenstrom aus Fernost zu nennen. Selbst während der Corona-Pandemie ist dieser stetige Nachschub von TV-Geräten, Kühlschränken, aber auch Vorprodukten für Elektrogeräte aller Art nie für mehrere Tage versiegt. Das hat erst die Ever Given geschafft.

Damit hat das Missgeschick der Ever Given einen „Single Point of Failure“ in unserem Wirtschaftssystem aufgedeckt – ein Fehler, der den Bestand des gesamten Just-in-Time-Wirtschaftssystems gefährdet. Das ist auch so eine Idee, mit der wir es offensichtlich übertrieben haben. Die Corona-Krise hat schon bewiesen, dass der freie Warenverkehr im Falle einer Pandemie massiv eingeschränkt wird. Jetzt hat die Ever Given gezeigt, dass dafür schon ein Sandsturm in Ägypten, ein technisches Gebrechen an einem Frachter oder die Unaufmerksamkeit eines Steuermanns ausreicht.

Für die Industrie, welche von einer funktionierenden globalen Lieferkette abhängt, stellt sich die Frage nach Alternativen. Aber auch der Handel muss sich fragen, wie er sein Risiko in den Lieferketten streuen kann. Das fängt mit einem kritischen Blick auf die eigenen Lieferanten, die Sortimentsgestaltung und die eigene Strategie im Lager an. Die Corona-Pandemie hat dem Endkunden den Wert des Fachhandels als kompetenter Partner vor Ort vor Augen geführt. Es wäre zu dumm, wenn der EFH diese neu geweckten Erwartungen wegen eines steckengebliebenen Kahns nicht erfüllen könnte.

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