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Samstag, 20. April 2024
 Editorial E&W 10/2021 – Wie gewinnt die Branche den benötigten Nachwuchs?

Bullshit-Bingo überwinden

Hintergrund | Dominik Schebach | 10.10.2021 | Bilder | |  Meinung

Dominik Schebach
Auf DerStandard.at gibt es eine besondere Form des Bullshit-Bingos. Unter jedem Bericht über Arbeitskräfte- oder Lehrlingsmangel wird in der Kommentarsektion innerhalb kürzester Zeit „händeringend“ ergänzt, sollten die  Interviewpartner aus Politik oder Wirtschaft dieses Wort in ihren Statements NICHT verwendet haben. Für manchen Standard-Leser mag dies ein Scherz sein, für mich ist es das Zeichen eines tieferliegenden Problems: Die Kommunikation zwischen Wirtschaft und breiten Teilen der Bevölkerung funktioniert nicht. Die Verbindung ist abgerissen.

Mag sein, dass sich viele Wirtschaftsvertreter in Gesprächen mit den österreichischen Publikumsmedien immer wieder derselben Wortwahl bedient haben. Das Problem, das sie dabei ansprachen, hat allerdings ganz reale Auswirkungen und betrifft uns alle. Wir finden derzeit nicht genügend gut ausgebildete und motivierte Menschen für die anspruchsvollen Jobs in den heimischen Betrieben – dabei ist es nebensächlich, ob es um den Verkauf, das Service oder die Installation geht. Und die derzeitige Pandemie macht die Lage nicht leichter.

Schon in der Vergangenheit gab es auf Arbeitskräftemangel immer drei mögliche Antworten: höhere Löhne, ein neuer Pool von Arbeitskräften oder technische Innovation. Variante eins ist klar: Die  Hand des Marktes greift ein, Angebot und Nachfrage wirken und die Löhne steigen, um Mitarbeiter anzuziehen. Die Alternative ist, die Arbeitgeber erschließen einen neuen Pool an potenziellen Mitarbeitern. Als letzte Möglichkeit hilft Innovation – die Unternehmen erzielen dieselbe oder höhere Wertschöpfung mit weniger Mitarbeitern. Bestes Beispiel dafür ist die Entwicklung des Telefons (in grob verkürzter Form): Als die ersten Telefone in Betrieb gingen, die nicht mehr reine Gegensprechanlagen waren, konnten die manuellen Vermittlungsstellen noch von den Post- und Telegrafen-Mitarbeitern mitbedient werden. Doch das rasche Wachstum der neuen Kommunikationsform schuf einen zusätzlichen Bedarf von gut ausgebildeten Mitarbeitern mit guten Umgangsformen. Da gut ausgebildete Männer bereits in der Verwaltung und den leitenden Positionen der Unternehmen beschäftigt waren, ergab sich hier ein Flaschenhals. Die Telefongesellschaften hatten damals zu Beginn des 20. Jhds. und in der Zwischenkriegszeit das Glück, dass eine neue Bevölkerungsgruppe auf den Arbeitsmarkt drängte – junge Frauen aus bürgerlichen Haushalten. Das Fräulein vom Amt gab sein Debüt. Da allerdings der Bedarf nach Telefonen weiterhin exponentiell wuchs, ergab dies nur einen kurzen Aufschub. Der US-Telekom-Konzern AT&T soll damals – so geht die Fama – schon den Zeitpunkt berechnet haben, wann alle Frauen der USA an seinen Switchboards gesessen wären. Der Ausweg für AT&T war die Einführung von automatisierten Vermittlungen ab den 1940ern – zuerst für Ortsgespräche, dann auch für nationale und internationale Anrufe.

Gute Verkäufer sind heute gesuchte Mitarbeiter, aber trotzdem können die Löhne in der Branche nicht ins Unendliche steigen – das ist wirtschaftlich nicht drinnen. Zumal die meisten Unternehmen schon heute deutlich höher als der Kollektivvertrag zahlen. D.h., dieser Weg ist für die Branche nicht gangbar. Der Weg der Innovation ist für beratenden Fachhandel ebenfalls nur begrenzt nutzbar. Schließlich kommen die Kunden in den Fachhandel, weil sie eine Beratung durch ausgebildete Verkäufer haben wollen – sonst hätten sie ja schon online gekauft. Technische Hilfsmittel, welche den Verkaufsprozess vereinfachen, können da nur eine Ergänzung sein. Ein wichtiges Werkzeug, aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Bleibt die Suche nach neuen Mitarbeitern. Doch ein Pool an frei verfügbaren Mitarbeitern ist nicht in Sicht. Bleibt der heimische Nachwuchs. Hier stehen Handel, Service und Installation allerdings im beinharten Wettbewerb mit einem Angebot an immer weiter ausdifferenzierten Lehrberufen sowie den Universitäten, die alle im demselben begrenzten Teich fischen.

In dieser Situation muss sich die Branche und hier ganz besonders der Handel auf seine Stärken besinnen und verkaufen. Diesmal allerdings nicht seine Produkte, sondern sein Berufsbild. Natürlich hat der Handel nicht immer die besten Karten: Die Arbeitszeiten in der Branche schrecken viele ab. Andererseits hat der EFH viel zu bieten: Das beginnt bei den spannenden Produkten, womit der Handel immer an der Spitze der technischen Entwicklung dabei ist, über wirtschaftliches Verständnis bis hin zum Umgang mit Menschen und dem Verkaufen selbst.

Daneben muss der Handel noch viel mehr als bisher den interessierten Jugendlichen und deren Eltern vermitteln, dass die Lehre keine Sackgasse ist. Entwicklungs- und Kombinationsmöglichkeiten müssen besser kommuniziert werden. Karrierewege wie Lehre mit Matura werden zwar oft erwähnt, aber viel zu selten beschritten. Ich fürchte, dieses „Wir gegen Sie“, wie es im eingangs erwähnten Bullshit-Bingo zum Ausdruck kommt, ist in vielen Köpfen noch immer fest verankert. Hier kommt man mit der Botschaft von der Attraktivität der Lehre und Wertschätzung für die Auszubildenden mit konventionellen Mitteln nur schwer durch. Dabei stehen viele Jugendliche Lehrberufen durchaus offen gegenüber. Davon konnte sich das Team der E&W bei den EuroSkills in Graz überzeugen. Schließlich wurde die Veranstaltung nicht nur von vielen Auszubildenden besucht, sondern auch von zahlreichen Schülern der siebten und achten Schulstufe. Damit man diese Jugendlichen und deren Eltern auch erreicht, sollte der Handel auch die besten Botschafter aktivieren, die ihm zur Verfügung stehen: erfolgreiche Lehrlinge. Wie Christine Kühr, Vorsitzende des Fachausschusses für Lehrlingsausbildung und Weiterbildung richtig anmerkte: Sie sprechen die Sprache der Zielgruppe und sie haben die Street Credebility, um die Botschaft authentisch zu vermitteln.

 

 

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