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Donnerstag, 25. April 2024
Von Ausgangssperre bis Zweitimpfung

Jede Krise spricht ihre eigene Sprache

Über den Rand | Stefanie Bruckbauer | 31.10.2021 | Bilder | |  Meinung

Stefanie Bruckbauer
Corona - seit mehr als eineinhalb Jahren dominiert dieses Thema das gesellschaftliche Leben in einem Ausmaß, wie es in den vergangenen Jahrzehnten wohl kaum ein anderes Thema geschafft hat. Die Pandemie, ihr Ursprung, ihre Hintergründe, Umstände und Auswirkungen, haben den Status einer vorübergehenden Phase längst hinter sich gelassen. „Schei... Euch nicht an wegen ein paar hustenden Chinesen, das ist nach ein paar Wochen wieder alles vorbei!“- diese anfängliche Einschätzung musste schnell revidiert werden, um stattdessen festzustellen, dass Corona unser Leben, unseren Alltag verändert hat – bis hin zu unserer Sprache.

Inzidenz, Immunisierung, Risikogruppe, Todesrate, Infektionsketten, Aerosole, Herdenimmunität. Hätte ein ganz normales Gespräch von heute vor zwei Jahren stattgefunden, dann wären die Zuhörer fix davon ausgegangen, dass sich zwei Wissenschaftler unterhalten. Begriffe, die vor zwei Jahren bei Otto-Normalbürger zum Teil gänzlich unbekannt waren, finden sich heute ganz natürlich in unserer Alltagssprache. Wir jonglieren mit Inzidenzen, Aerosolen, Clustern und Mutanten als wäre es nie anders gewesen. Diese Worte sind heute kaum wegzudenken. Corona hat uns eine veränderte Lebenswirklichkeit beschert und alles, was eine Lebenswirklichkeit bestimmt, verändert oder dominiert, hinterlässt Spuren in der alltäglichen Sprache.

Aber nicht nur Worte, die es in der – meist wissenschaftlichen bzw medizinischen – Sprache bereits gegeben hat, prägen unsere „neue“ Redeart. Auch Wortneuschöpfungen gibt es – und zwar eine ganze Menge. Rund 1.500 sogenannte Neologismen, also Wortneuschöpfungen, sind in der Pandemie bislang entstanden, wie Forscher festgestellt haben. Impfneid, Maskenmuffel, Maskenzwang, Balkonien, Immunitätspass, Superspreader, Ellbogengruß, Abstandsregel oder neue Normalität. Apropos: In „normalen“ Jahren entstehen pro Jahr nur rund 200 dieser Neologismen. Corona hat die Entwicklung mehr als versiebenfacht.

Sprachwissenschaftler stellten fest: Kaum ein anderes Ereignis hat unsere Sprache derart durcheinandergewirbelt. Die Betonung liegt auf „kaum“, denn auch die Cholera und die Pest haben die deutsche Sprache beeinflusst und es gibt Begriffe, die wir heute noch aus dieser Zeit verwenden. Prominente Beispiele aus der Zeit der Pest-Epidemie sind zB Quarantäne und Lazarett. Quarantäne geht auf das italienische Wort „quaranta“ zurück, also 40, denn 40 Tage dauerte es damals, bis Schiffe in den italienischen Häfen anlanden durften bzw. bis überprüft werden konnte, ob es Kranke unter der Besatzung gibt. Interessant ist auch die Geschichte hinter dem Wort „Lazarett“. Der Begriff wurde damals für „Auffanglager“ geprägt, wo Epidemiekranke gepflegt und vor allem isoliert werden konnten. Das erste dieser „Auffanglager“ befand sich neben einer Kirche, die dem heiligen Lazarus gewidmet war – deshalb Lazarett.

Die emotionale Landkarte

Spannend sind ja nicht nur die neuen Begriffe, sondern auch, dass vieles, was ursprünglich streng und trocken wissenschaftlich war, nun in der Alltagssprache angekommen mit einer emotionalen Note verknüpft wird. Für Experten ist das ganz logisch. Sie sagen, dass die sprachliche Sensibilität der Menschen gerade in Krisen höher werde. Begriffe und Worte würden die emotionale Landkarte beschreiben, sie würden schneller abgewogen und vor allem mit der eigenen Haltung und deren Idealen abgeglichen. So können beispielsweise bereits beim Verb „impfen“ Emotionen entstehen, die unter Umständen eine angeheizte Stimmung verursachen können.

Speziell in den letzten Monaten sei diese Entwicklung eklatant spürbar. Sprachexperte Stefan Häseli sagt: „Die Sprache wird zu einer Art Freund- und Feind-Sprache. Selbst unverdächtige Aussagen wie ‚Ferien machen‘ tragen bereits den Keim fundamentaler Diskussionen in sich.“ „Darf man denn jetzt Ferien machen?“ oder „Ohne Impfung geht hier nichts mehr“ seien Beispiele dafür. Man laufe seit einiger Zeit Gefahr, dass die Stimmung oft quer durch Familien Konfliktkeile zwängt. Experten wie Häseli sagen übrigens auch, dass unsere Alltagsprache durch Corona nie mehr so sein wird, wie vor der Pandemie. Logisch, denn Sprache ist etwas dynamisches und immer auch Abbild ihrer Zeit. Aber das ist doch auch ein positives Zeichen, dass eine Sprache lebt – finde ich.

Neologismen-Feuerwerk

Aber zurück zum Thema. Der deutsche Wortschatz erlebte durch Corona seit März 2020 also ein unglaubliches Neologismen-Feuerwerk! Wir erleben seit über einem Jahr eine rasante Veränderung der Sprache, ganz neue Wörter tauchen auf, andere treten aus ihren Nischen heraus und verändern ihre Bedeutung. Das muss festgehalten werden, dachten sich wohl die Redakteure der Zeitschrift Business Spotlight und verfassten ein Online-Glossar für krisenfestes Englisch. Während früher wohl nur von „challenges“ oder maximal von „pain points“ die Rede war, lernen Manager nun alarmistische Vokabeln wie „to go stir-crazy“ („einen Lagerkoller haben“) oder „panic-buying“ („hamstern“).

PONS hat sogar ein eigenes „Corona-Vokabeln international“-Register (mit den, wie PONS sagt „allerwichtigsten Corona-Vokabeln für Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch“) erstellt, damit man „auch bei fremdsprachlichen Texten nicht komplett im Regen steht“, wie der bekannte Wörterbücher- und Sprachlernmaterialien-Verlag erklärt. Darin finden sich Begriffe wie Lockdown, Shutdown, Ampelregelung, Anti-Corona-Demo, Ausgangsbeschränkung, Coronaleugner, Pandemie, Mund-Nasen-Schutz, Gesichtsmaske, Herdenimmunität, Impfzentrum, Kontaktnachverfolgung, Maskenpflicht, Quarantäne, R-Faktor, Schnelltest, Selbsttest, Social Distancing oder Spuckschutz übersetzt in vier Sprachen.

Und auch das Leipnitz Institut für deutsche Sprache hat sich dran gemacht und unter dem Titel „Neuer Wortschatz rund um die Coronapandemie“ ein Verzeichnis der (oben erwähnten) 1.500 Neologismen zusammengestellt. Von „Abstandsbier“ bis „Zweitimpfung“.

Lockdowns ohne Ende

Interessant finde ich ja auch die verschiedenen Bezeichnungen für die Quasi-Stilllegung des gesellschaftlichen Lebens., ich spreche vom „Lockdown“. Im Laufe der letzten Monate gab es die unterschiedlichsten Lockdowns in der österreichischen und bundesdeutschen Sprache. So zB der „Lockdown light“. Hier frage ich mich warum dem Lockdown in diesem Fall das Attribut „light“ verpasst wurde. Wollte man damit um Akzeptanz für maßvolle Einschränkungen werben? Dann gab’s da noch Armin Laschets „Brücken-Lockdown“, bei dem ich bis heute nicht wirklich verstehe was gemeint ist, wahrscheinlich sollte die „Brücke“ Zuversicht und Verbindlichkeit transportieren. Eine Erfindung unserer deutschen Nachbarn ist auch der sogenannte „Wellenbrecher-Lockdown“. Dann gab’s da noch den „General-Lockdown“, den „Weihnachtslockdown“, den „Osterlockdown“, die „Lockdowns I bis III“, den „End-Lockdown“, den „Übergangs-Lockdown“, den „Dauer-Lockdown“, den „Teil-Lockdown“ sowie das „Lockdown Jo-Jo“, was wahrscheinlich für die rasche Abfolge von Lockdowns steht. Warum so viele verschiedene Lockdowns? Keine Ahnung. Vielleicht weil differenzierte Bezeichnungen der Orientierung dienen? Später können wir uns dann also mal erzählen, dass wir im „Brücken-Lockdown“ Kochen gelernt haben, im „General-Lockdown“ die Wohnung neu eingerichtet, im „Mini-Lockdown“ Karten bzw Lego gespielt und im „Osterlockdown“ mittels Yoga zu uns selbst gefunden haben.

Phantasieanregend

Manche der neuen Begriffe regen ja meine Phantasie an. Zb das Wort „Herdenimmunität„, das für sich schon eine kleine Geschichte erzählt, von einer lang ignorierten Tatsache. Sie handelt von einer Menschheit, die sich auf einmal mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert sieht, Biologie nicht nur zu betreiben, sondern nach wie vor nicht viel mehr als eine Ansammlung von Tieren zu sein. Oder das Wort „Intensivplatz„. Sieht man mal von der existenziellen medizinischen Bedeutung ab, könnte man glauben, man würde nicht einfach bloß irgendwo (im Theater, auf einer Parkbank, an einem Tisch) Platz nehmen, sondern ganz bestimmt, ganz dezidiert, bewusst und vor allem ganz intensiv dort sitzen. Schön, oder?

Die Pandemie brachte stellenweise auch spielerische Elemente in unsere Sprache. So haben wir Österreicher die empfohlene Entfernung zu unseren Mitmenschen ja nicht einfach nur in schnöden Metern angegeben, nein, wir distanzierten uns in „Babyelefanten“-Abständen. Das neue, von den Werbern von Jung von Matt entwickelte Maß wurde sogar zum Wort des Jahres gekürt. „Unsere Aufgabe war es ein Symbol zu finden, das die Menschen lustig finden, sie aufregt, sich am Ende einfach bei ihnen auf eine Art und Weise festsetzt“, so die Agentur, laut der übrigens auch die Länge eines Besenstiels oder einer Riesenschildkröte als Babyelefanten-Alternative im Gespräch waren. Vielleicht hätten wir die Agentur weiter bemühen sollen, weil dann hätten statt panikmachenden „Dauer-Lockdowns“ und harten „Shutdowns“ (was mich immer irgendwie an eine Schießerei erinnert) vielleicht ein „Murmeltier“- oder ein „Faultier-Lockdown“ sanft zum kuscheligen Rückzug in die eigenen vier Wände eingeladen 😉

 

Bilder
In „normalen“ Jahren entstehen rund 200 Neologismen, also Wortneuschöpfungen, in der deutschen Sprache. In der Pandemie waren es mehr als 1.500. Corona verändert also nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Sprache nachhaltig.
In „normalen“ Jahren entstehen rund 200 Neologismen, also Wortneuschöpfungen, in der deutschen Sprache. In der Pandemie waren es mehr als 1.500. Corona verändert also nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Sprache nachhaltig.
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