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Donnerstag, 28. März 2024
Die Sprache bestimmt das Mindset

Verniedlichung hilft nur bedingt

Hintergrund | Dominik Schebach | 31.10.2021 | Bilder | |  Meinung

Dominik Schebach
In den vergangenen Jahren konnte ich immer wieder beobachten, dass Unternehmen – besonders aus dem angelsächsischen Raum – sich einer seltsamen Sprach-Policy verschrieben haben: Probleme hießen auf einmal Herausforderungen. Herausforderung oder Challenge klingt gut. Das hat einen sportlichen Anstrich – und geht oft an der Wirklichkeit vorbei.

Bei einer Herausforderung wird auf einem abgesteckten Feld nach abgestimmten Regeln gerungen. Oder ich messe mich mit der Natur und gehe ein kalkuliertes Wagnis ein. Da kann man zwar schon hin und wieder mal sein Leben aufs Spiel setzen, aber im Endeffekt ist eine Herausforderung kontrollierbar. Vor allem wird durch das Sprachbild impliziert, dass man die Herausforderungen selbstbestimmt annimmt. Und wenn man sich nur richtig anstrengt, dann kann man sie auch meistern. Man wächst mit den Herausforderungen usw usf.

Aber man gibt nicht zu, dass man eigentlich ein Problem hat. Denn ein Problem ist etwas Existenzielles. Es ist bedrohlich, unkontrolliert und zwingt uns auch einmal in die dunklen Ecken zu blicken, uns dem Unbekannten, Neuen zu stellen. Scheitern hat auf einmal bedrohliche Konsequenzen. Angst wird ein Faktor, weswegen man ungern über Probleme spricht – im privaten ebenso wie im beruflichen Umfeld.

Im Endeffekt zwingt uns ein Problem auf einer ganz persönlichen Ebene, uns zu ändern, die Angst zu überwinden, aktiv zu werden und zu agieren. Ist es ein langanhhaltendes Problem, müssen wir Gewohnheiten über Bord werfen. Zumindest müssen wir die berühmte Komfortzone verlassen und alles daransetzen, die Initiative zurückzugewinnen. Manchmal verlangen Probleme aber auch, unser ganzes Koordinatensystem neu auszurichten. Das geht an die Identität, tut weh, weckt Zweifel und verunsichert, womit sich wieder die Ängste potenzieren. Das tut sich niemand gerne an – weder als Einzelner, noch wir als Gesellschaft.

Eine Reaktion auf ein Problem ist daher oft die Verdrängung. Probleme werden geleugnet, oder weggeschoben. Die Verniedlichung eines Problems zur Herausforderung mag in diesem Fall eine Strategie zur Umgehung dieser Sperre sein. Sie bringt allerdings auf die Dauer nichts, denn wir operieren in diesem Fall unter einer falschen Prämisse. Der Unterschied ist im schlechtesten Fall jener zwischen einem sportlichen Wettkampf und einer Selbstverteidigungssituation. In einem sportlichen Wettkampf gibt es Regeln, Ringrichter und einen Ringarzt. Man ist austrainiert, ausgeschlafen, das Kräfteverhältnis ist ungefähr ausgeglichen, die Matte ist perfekt ausgeleuchtet und wenn man nicht mehr kann oder will, sagt man „Aus“. In einer Selbstverteidigungssituation ist man überrascht, übermüdet, der unebene Boden ist mit Glasscherben übersät und man ist sicher nicht in der Überzahl – Angreifer sind schließlich nicht blöd. (Wer mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich „Facing Violence“ von Rory Miller).

Dh, ein Problem hat eine andere Dynamik. Das erfordert ein anderes Mindset – und vor allem viel mehr Konsequenz. Denn man kann eine Bedrohung wie eine Selbstverteidigungssituation nicht mit einer sportlichen Einstellung lösen, sondern nur mit der Mobilisierung aller Ressourcen. Dazu muss man allerdings das Problem anerkennen und vor allem bereit sein, sich ehrlich damit auseinanderzusetzen, anstatt es auf irgendwelche Sündenböcke abzuschieben oder als „Herausforderung“ abzutun. Das gilt ganz besonders, wenn es um eine reale Bedrohung geht, denn die haben schwerwiegende Auswirkungen. Dabei ist es egal, ob es sich bei dem Problem um eine Pandemie, den Veränderungsdruck durch die Digitalisierung, Klimawandel oder eine Horde Hooligans handelt.

Dafür kann man einmal identifizierte Probleme in der Regel analysieren (wenn man die Zeit dazu hat), dementsprechend als Ärgernis, potenzielle Bedrohung oder absolute Gefahr klassifizieren, priorisieren, Hilfe holen und schließlich mit dem angemessenen Einsatz bewältigen oder überhaupt vermeiden. Was in vielen Situationen die eleganteste Vorgehensweise ist.

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