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Donnerstag, 25. April 2024
Der Handel nach 22 Monaten Corona-Pandemie. Status Update & Ausblick auf 2022

„Die Situation ist ernst!“

Hintergrund | Stefanie Bruckbauer | 12.01.2022 | |  
22 harte Corona-Monate liegen hinter uns und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Bereits vier bundesweite Lockdowns mussten die heimischen Geschäfte verkraften. Die staatlichen Corona-Entschädigungen decken nur einen Bruchteil der entstandenen Umsatzverluste ab und immer mehr Unternehmen geraten in grobe Liquiditätsprobleme. Der Handelsverband nahm diese Situation zum Anlass, um im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz ein Status Update sowie einen Ausblick auf das Geschäftsjahr 2022 zu geben. Zudem wurden die politischen Forderungen der Handelsbranche nochmals unterstrichen.

Der Handel ist für die österreichische Wirtschaft von zentraler Bedeutung. 77.700 Unternehmen mit insgesamt 598.600 unselbstständig Beschäftigten sind in der Handelsbranche (Einzelhandel, Großhandel, Kfz-Handel) tätig. Gemeinsam erzielen sie einen Umsatz von mehr als 266 Milliarden Euro und eine Bruttowertschöpfung von 39 Milliarden Euro, so das Ergebnis der letzten Strukturerhebung der KMU Forschung Austria im Auftrag des Handelsverbandes.

„Der heimische Handel ist der Beschäftigungs- und Wirtschaftsmotor der Republik Österreich. Die Händler stellen fast ein Viertel aller Betriebe der österreichischen Volkswirtschaft. Unsere Branche ist der zweitgrößte Arbeitgeber und der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich des Landes. Allein im Einzelhandel sind mehr als 330.000 Mitarbeitende beschäftigt. Im Vergleich mit der Industrie sind wir ein wirtschaftlicher Riese, aber in der politischen Wertschätzung noch immer ein Zwerg“, sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Die Politik und vor allem die Bundesregierung sei aufgerufen, dies rasch neu zu bewerten und neu zu leben. „Konkret bestehen pandemiebedingte und strategische Handlungserfordernisse, die umzusetzen sind, um die Branche zu stabilisieren, Arbeitsplätze zu sichern und künftig wettbewerbsfähiger zu machen“, so Will.

Von 2015 bis 2019 habe sich der Handel dynamisch entwickelt und wesentlich zum Wachstum der österreichischen Wirtschaft beigetragen. Mit Beginn der Corona-Pandemie habe dieser positive Trend ein abruptes Ende gefunden. Die Anzahl der Handelsunternehmen sei allein 2020 um 4.040 (-5%) gesunken, wenn man die Neueröffnungen von den Schließungen abzieht. Die Umsätze seien branchenübergreifend um 4% zurückgegangen.

Jahresumsatz 2021 im Einzelhandel bei rund 74,5 Milliarden Euro

Der Handelsverband und das WIFO haben eine Gesamtjahresprognose 2021 für den stationären österreichischen Einzelhandel von 74,4 Milliarden Euro brutto abgeleitet. Eine moderate Steigerung von rund 3% gegenüber dem Krisenjahr 2020. Bereinigt man allerdings um die durchschnittlichen Preissteigerungen im Gesamtjahr, ist der stationäre Handel im Vorjahr real mit ca. 1,5% nur halb so viel gewachsen.

Aber: „Handel ist nicht gleich Handel. Manche profitieren von der Krise, insbesondere der internationale Onlinehandel. Andere verlieren massiv, etwa der Mode- und Schuhhandel, Juweliere oder stationäre Retail-Formate von Generalisten. Viele Non-Food-Händler, kleine Einzelkämpfer aber auch große Traditionshäuser, existieren nur mehr auf dem Papier. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Diversität der Handelslandschaft, Stadt- und Ortskerne sind absehbar negativ“, so Will.

2G Regelung drückt Umsätze in vielen Handelsbranchen massiv und spaltet Gesellschaft

Zwar hatte sich die wirtschaftliche Lage in den ersten drei Quartalen des Vorjahres deutlich verbessert, doch der neuerliche bundesweite „harte Lockdown“ im November und Dezember sowie der seit 16. November geltende „Lockdown für Ungeimpfte“ drücken auf die Handelsumsätze, wie Will sagt. „Von Normalbetrieb kann im Handel also bei weitem nicht die Rede sein, Shoppen ist in den Geschäften abseits der Grundversorgung weiterhin nur mit gültigem 2G-Nachweis möglich. Menschen ohne Corona-Impfung oder Genesungsnachweis dürfen selbst mit einem negativen PCR-Test nicht mehr im nicht-lebensnotwendigen Handel einkaufen. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung kann seither beispielsweise keine Schuhe oder Winterjacken mehr im stationären Handel einkaufen.“

Deren Kaufkraft hat sich in der wichtigsten Zeit des Geschäftsjahres für den Handel hin zu den digitalen Giganten verschoben. Neben dem volkswirtschaftlichen Schaden verstärkt die 2G-Regelung im Handel auch die Spaltung in der Bevölkerung, ohne das Infektionsgeschehen zu beeinflussen. Denn der Lebensmittelhandel beweist täglich, dass sicheres Shopping für alle Menschen in unserem Land aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauern, des losen Kundenkontaktes und bestehender Sicherheitsmaßnahmen garantiert ist.

„Schließungen des Handels haben keine signifikanten Auswirkungen auf Infektionsgeschehen“

Will berichtet: „Letzte Woche hat auch Christian Drosten (Charité Berlin), der bekannteste Virologe Deutschlands, in seinem Podcast bestätigt, dass eine Schließung des Handels keine signifikanten Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen hat. Zahlreiche nationale wie internationale Studie (u.a. US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften; Conseil scientifique COVID-19 in Frankreich; Stanford University; Epidemiologische Abklärung der AGES) belegen dies.“

„Der Handel ist einer der sichersten Aufenthaltsorte, weder der dritte noch der vierte harte Lockdown waren gerechtfertigt. Daher darf es künftig keine behördlichen Schließungen der Geschäfte mehr geben! Die Politik muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass Kontakt nicht gleich Kontakt ist, und Infektionen dort bekämpfen, wo sie  wirklich entstehen“, erklärt Martin Wäg, Geschäftsführer von Kastner & Öhler.

Faktor Saisonalität muss berücksichtigt werden

„Auch die Saisonalität der verkauften Waren muss als Faktor stärker mitberücksichtigt werden. Der Lockdown hat diesmal mit November und Dezember punktgenau die Zeit des Weihnachtsgeschäfts betroffen, in der viele Händler normalerweise den Großteil ihrer Erträge erwirtschaften. Die massiven Umsatzverluste werden durch die Entschädigungen der Regierung nicht im Ansatz gemindert, weil der monatsüberlappende Lockdown sich besonders ungünstig auf ihre Berechnung auswirkt. Deshalb unser dringender Appell an die Entscheidungsträger, die Hilfszahlungen exakt an den Lockdown-Zeiträumen auszurichten und nicht, wie bisher, auf den jeweils betroffenen Monat zu beziehen“, ergänzt Andrea Heumann, Geschäftsführerin von Thalia Österreich.

„Wir dürfen aber auch die negativen Auswirkungen der Pandemie auf unsere Stadt- und Ortskerne nicht vergessen. Eine Mariahilfer Straße ohne Geschäfte wäre unvorstellbar – das gilt nicht nur für den Handel, sondern auch für den Tourismus und die Gastronomie. Wir Händler sorgen für Standortsicherheit und Lebensqualität bei den Menschen, das kann der Onlinehandel nicht ersetzen“, ist Fussl Modestraße-Geschäftsführer Ernst Mayr überzeugt.

Planungsunsicherheit belastet Arbeitgeber & Arbeitnehmer. Negativwirkung auf Kaufkraft & Konsum.

„Viele Handelsbetriebe leiden seit 22 Monaten unter der pandemiebedingten Planungsunsicherheit. Immerhin sind sowohl das Weihnachtsgeschäft als auch das Ostergeschäft bereits zweimal in Folge einem harten Lockdown zum Opfer gefallen. Das sorgt auch für Unsicherheiten auf Seite der Mitarbeitenden, denn jeder Lockdown geht mit Kurzarbeit einher – und damit leider auch mit Gehaltseinbußen. Zur Kaufkraftstärkung hat zumindest der verkaufsoffene Adventsonntag beigetragen“, bestätigt DEPOT Österreich Country Manager Rainer Gössl.

„Im ‚nicht-lebensnotwendigen‘ Handel und auch in anderen Branchen haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kurzarbeitsbedingt spürbar weniger verdient bei gleichzeitig steigenden Lebenshaltungskosten und höherer Inflation. Das und vor allem die Angst vor weiteren Lockdowns führt zu Umorientierung von vielen gut ausgebildeten Fachkräften und Abwanderung in andere Branchen. Hier muss die Politik reagieren. Sinnvoll wäre etwa ein einmaliger Corona Lohnsteuerfreibetrag in der Höhe von 1.000 Euro oder 1.000 Euro Einkaufsgutscheine für den betroffenen Handel mit Betriebsstätte in Österreich“, so der Vorschlag von Karin Saey, Handelsverband-Vizepräsidentin und Leiterin des Bereichs Handel bei Dorotheum.

Corona-Entschädigungen: Deutliche Nachbesserungen dringend erforderlich

„Der Handel war und ist ein konstruktiver Partner der Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung. Die gesamte Branche erfüllt sämtliche Hygienevorgaben, die FFP2 Maskenpflicht, das betriebliche Testen und Impfen sowie Homeoffice-Möglichkeiten. Im Gegenzug erwarten wir uns aber zumindest faire und treffsichere Entschädigungen“, so Norbert W. Scheele, C&A Geschäftsführer für AT / CEE / SEE und Vizepräsident des Handelsverbandes.

Ein Nachbessern der Bundesregierung bei den Corona-Entschädigungen sei mehr als erforderlich, denn viertausend Geschäfte hätten das Jahr 2021 nicht überlebt und mussten schließen, so Will. „Je kleiner der Betrieb, je weniger digital, je abhängiger vom Tourismus, desto dicker ist das Minus und der Schuldenberg. Aber auch viele beschäftigungsintensive Traditionshäuser sind bereits in Insolvenzgefahr.“

Jeder weitere Lockdown im Handel würde das Händlersterben massiv befeuern, obwohl man kaum wo sicherer ist als im Handel, der nachweislich ein Corona-Safespot ist. Wir müssen sicherstellen, dass die Hilfen endlich treffsicher ankommen. Die hohen Fixkosten drücken auf das Eigenkapital und die Liquidität. Wir müssen dafür sorgen, dass die Händler weder kurzfristig am Lockdown zugrunde gehen noch langfristig an Financial Long Covid“, appelliert auch Handelsverband-Präsident Stephan Mayer-Heinisch an die Bundesregierung.

3 Forderungen des österreichischen Handels an die Politik

  • Handel für alle„: Kein weiterer harter Lockdown und ehestmögliche Beendigung der 2G-Regelung im Handel!
  • Hilfen helfen nicht„: Es braucht Corona-Hilfen, die ihren Namen verdienen. Liquiditätskrisen & „Financial Long Covid“ bei den Betrieben verhindern!
  • Handel entlasten„: Lohnnebenkosten substanziell senken und Kaufkraft der Bevölkerung ankurbeln!

 

Mehr zum Thema lesen Sie in der kommenden E&W.

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