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Freitag, 29. März 2024
Vom Zuschauen, Wegschauen und Wundern

Alles ist relativ

Wolfgang Schalko | 20.03.2022 | |  
Diesen kurzen Satz im Titel habe ich schon in meiner Jugend zu so etwas wie meinem Lebensmotto erklärt – zurecht, wie ich seither schon unzählige Male erfahren durfte. Auch in diesen Tagen passt die plötzlich völlig in den Hintergrund gedrängte Covid-Pandemie in dieses Bild. Dass die Ursache dafür tragisch und erschütternd ist, steht außer Zweifel – zugleich ist der Krieg in der Ukraine aber auch symptomatisch für eine Reihe von Entwicklungen, lokal ebenso wie national und global.

Wenn mir jemand vor vier Wochen gesagt hätte, dass Corona heute kein Thema mehr sein würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern aus einem Gespräch, das ich kürzlich führte. Aber er spricht mir aus der Seele, denn er zeigt, dass die Dinge nicht nur für sich eine Bedeutung haben. Es zählt oft auch – oder gar mehr noch – die Beziehung der Dinge zueinander. Im Fall von Corona brauchte es einen alten, sehr mächtigen weißen Mann mit einem gestörten Welt- und Selbstbild, der durch seinen Überfall auf einen Nachbarstaat plötzlich vieles neu gewichtete. Menschen begannen, ihre Situation zu überdenken – auch ich. Bei allen vermeintlichen Widrigkeiten, die uns die Pandemie und das politische Krisenmanagement in den letzten beiden Jahren beschert haben: Bei uns in Österreich herrscht glücklicherweise kein Krieg. Die Industrie mag mit hohen Energiepreisen und weiteren Lücken in der Lieferkette zu kämpfen haben, die Bevölkerung mit teurem Diesel und steigender Inflation –  was ist das schon im Vergleich zur Lage der Menschen in der Ukraine?      

Ja, das Leben – unser Leben, mit all seinem gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Tun und Treiben – geht hierzulande im Grunde weiter. Man sollte also vieles zu schätzen und manches neu einzuordnen wissen. 

Ich möchte hier gar nicht weiter auf die Entwicklungen in Russland und der Ukraine sowie die Folgen für Europa eingehen, weil mir dafür schlichtweg die Expertise fehlt. Eines aber lässt sich nicht von der Hand weisen: Wir alle – Sie, ich, und der Rest der Welt – haben seit acht Jahren tatenlos zugesehen bei dem, was Putin da vor unserer Haustür treibt. Wir können nicht so tun, als wären wir überrascht. Die Ukraine ist de facto seit der Annexion der Krim im Krieg, aber die Geschäfte waren vielfach einfach zu gut, die Abhängigkeiten, vor allem von der billigen Energie, zu groß, und die Auswüchse der Unmenschlichkeit zu gering, um irgendwelche Konsequenzen folgen zu lassen. Es ist natürlich keine einfache Frage, was man auf EU-Ebene, als Nationalstaat oder gar als  Einzelner zu erreichen vermag. Mit dem Nichtstun jedenfalls nicht viel.

Das Problem ist, dass wir grundsätzlich zu lange einfach zusehen, bevor wir einschreiten bzw. Maßnahmen ergreifen. Und je weniger Distanz man zu den änderungsbedürftigen Dingen hat, desto schwerer fällt es einem, aktiv zu werden. Das kennt wohl jeder aus seinem persönlichen Umfeld, oftmals aus dem Kreis der Familie. Aber auch in einem weit größeren Maßstab stoßen wir darauf – am augenscheinlichsten in der Frage des Klimaschutzes und der Energiewende. Wir – als Gesellschaft – wissen seit Jahrzehnten (!!) um die Notwendigkeit, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und das System grundlegend zu ändern, um nicht die Zukunft des gesamten Planeten zu gefährden. Dennoch kommen wir nicht und nicht in die Gänge und steuern sehenden Auges auf die Katastrophe zu. Ein anderes Beispiel für dieses ausgeprägte „Trägheitsmoment“ bildet das Geschäftsleben: Wie viele Unternehmen agieren genau so, wie sie es tun, nur deshalb, weil sie es immer schon so getan haben? Wie viele (auch Elektro-)Händler halten starr an ihren althergebrachten Geschäftsmodellen fest, nur weil es bequemer ist und es eh irgendwie geht? 

Zugegeben, all das mag ziemlich drastisch klingen. Noch dazu an einem Sonntagmorgen. Aber was hat passieren müssen, damit wir in Hinblick auf Putins Russland endlich aufgewacht sind?

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