Diesmal ist alles anders
Dominik Schebach Liebe Leser – Man könnte ja meinen, dass wir inzwischen genügend Erfahrungen mit Krisen haben. Und doch ist dieses Mal alles anders. Jede Krise hat ihre eigenen Gesetze und das gilt auch für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine sowie den Folgen, welche dieser Konflikt weltweit hat bzw. haben wird.
Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gelernt, dass vieles bisher Unvorstellbares möglich ist – und das oft in einem Zeitrahmen, den man davor für unmöglich gehalten hat. Wir hatten aber während der gesamten COVID-Pandemie eine Sicherheit: Wenn der Sturm vorüber ist, dann ist die eigentlich gesunde Struktur der Wirtschaft noch immer vorhanden und wir können im Großen und Ganzen dort weiter machen, wo wir unterbrochen haben – ein paar Anpassungen wegen Home Office hier, ein paar Überlegungen zum veränderten Konsumverhalten dort tun da nichts zur Sache. Selbst ein Stottern der Logistik, der ewige Personalmangel oder auch der Stress, weil man keine langfristigen Pläne machen konnte, erscheinen rückblickend als ein geringes Übel. Diese Pandemie konnten die meisten Unternehmen durchtauchen, weil danach auch eine Erholungsphase praktisch fix eingeplant war. Und der Elektrofachhandel zählte als Branche zu den Gewinnern.
Mit dem Überfall auf die Ukraine hat sich die Gleichung grundlegend geändert. Das gilt einmal für das menschliche Leid, welches dieser sinnlose Krieg verursacht. Das sehen wir unmittelbar täglich in den Medien – und belastet zumindest mich emotional sehr. Daneben dürfen wir aber die wirtschaftlichen Folgen nicht aus den Augen verlieren. Diesmal geht es nicht um gestoppte Produktionen oder verlegte Container, sondern um fehlende Vorprodukte sowie teure Rohstoffe und Energie. Damit frisst sich diese Krise in die Lieferketten von fast jeder Industrie in Europa, wie das Beispiel der inzwischen berühmten Kabelbäume aus der Ukraine für die Autoindustrie gezeigt hat.
„Mit dem Überfall auf die Ukraine hat sich die Gleichung grundlegend geändert.“
Aber es wurde nicht einfach auf die Pause-Taste gedrückt. Wenn jetzt ein Vorlieferant in der Ukraine ausfällt, dann gibt es dieses Unternehmen oft nicht mehr, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind vielleicht auf der Flucht. Diese Radikalität muss man erst einmal verdauen. Nun haben die wenigsten Handelsunternehmen direkte Beziehungen in die Ukraine. Sprich diese Krise berührt sie nicht direkt. Aber das Baunebengewerbe trifft es bereits voll. Vergangene Woche schilderte mir ein Bekannter, der in der Bauaufsicht tätig ist, dass auf einer seiner Großbaustellen alles stehe, weil die maßgefertigten Stahlbauteile aus der Ukraine nun nicht mehr kommen werden. Das mag ein Extrembeispiel sein, aber fehlende Teile und teure Rohstoffe werden in der gesamten Wirtschaft in den kommenden Wochen und Monaten für Probleme sorgen.
Um solche Ausfälle auszugleichen, müssen viele Produzenten erst ihre Lieferketten neu organisieren, unter Zeitdruck verlässliche Zulieferer finden, Geschäftsbeziehungen aufnehmen oder vielleicht überhaupt eigene Produktionskapazitäten schaffen. Das alles braucht Zeit. Und kommt zusätzlich zu den schon bestehenden Verwerfungen in den internationalen Lieferketten hinzu. Ähnlich trüb ist die Situation bei der Energie. Russland ist weltweit einer der größten Exporteure fossiler Brennstoffe. Jetzt ist die Versorgungssicherheit aber nicht mehr gegeben. Während ich diese Zeilen schreibe, haben sowohl Österreich als auch Deutschland die Vorwarnstufe wegen der unsicheren Liefersituation bei russischem Erdgas ausgelöst. Wer darunter gelitten hat, dass mit der COVID-Krise jede Planbarkeit verloren gegangen ist, der muss sich nun auf eine noch schlimmere Achterbahnfahrt einstellen. Denn wir wissen nicht, ob die Krise in wenigen Monaten vorüber sein wird, ein kalter Friede einkehrt, dem niemand traut und der jede weitere Entwicklung lähmt, oder – und das wäre das schlimmste Szenario – sich der Krieg noch einige Jahre weiter dahinschleppt. So gesehen geht diese Krise an die Substanz.
Soll man angesichts des Zustandes der Welt nun in eine abgrundtiefe Depression verfallen und nur noch die Decke über den Kopf ziehen? Ehrlich gesagt, das Problem zu ignorieren oder zu verdrängen, ist für mich keine Lösung. Vor dem Problem zu kapitulieren und nichts zu tun, mag ich für mich ebenfalls nicht akzeptieren. Und sich im „Doomscrolling“ zu verlieren, kann’s auch nicht sein. Wir müssen Wege finden, mit dieser Katastrophe vor unserer Haustür umzugehen. – Und das heißt nicht, jetzt hyperaktiv zu sein und später abzustumpfen.
Da muss man sich vor Augen halten, dass wir dem Geschehen nicht hilflos ausgeliefert sind. Es gibt immer etwas zu tun und vor allem müssen nun ein paar Fragen beantwortet werden. Eine Analyse des eigenen Unternehmens, der Finanzen und der Lieferanten sowie ihrer Lieferketten steht an. Aus „Wer liefert was und zu welchen Kosten?“ wird ein „Wer liefert überhaupt etwas, wie und woher?“ Wie reagieren die Konsumenten auf die neue Krise? Ziehen sich die Endkunden noch mehr in ihr privates Umfeld zurück, investieren sie oder sind sie verunsichert? Wenden sich die Käufer weiter dem Internet zu oder suchen sie verstärkt die Sicherheit des lokalen Kontakts, jetzt wo keine Lockdowns mehr drohen? Schließlich: Wie sieht es mit meinen Mitarbeitern aus? Und wie geht es mir selbst?
Hier kann jeder direkt ansetzen: Gehen Sie pfleglich mit sich um. Sie und Ihre Mitarbeiter sind tatsächlich die wichtigste Ressource Ihres Unternehmens. Vermeiden Sie das tägliche Doomscrolling und gönnen Sie sich jeden Tag auch Ihre positiven Nachrichten. Halten Sie Ihre guten Ideen schriftlich fest. Denn diese Krise ist anders wie die vergangene. Das heißt aber nicht, dass alle Lehren aus den letzten zwei Jahren Pandemie umsonst waren.
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