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Donnerstag, 25. April 2024
Editorial E&W 6/2022

Shopping trifft Lebensgefühl

Hintergrund | Dominik Schebach | 05.06.2022 | Bilder | |  Meinung

Dominik Schebach
Kongresse sind immer eine zweischneidige Sache. Man muss sich Zeit nehmen, aus dem Tagesgeschäft heraustreten und bewusst einen oder zwei Tage für ein Thema aufbringen. Meistens, indem man in einem abgedunkelten Konferenzsaal den Ausführungen der Redner auf der Bühne folgt. Das kann furchtbar daneben gehen. So ein Kongress kann aber genauso eine höchst bereichernde und interessante Erfahrung sein.

Wenn es dem Veranstalter nicht gelungen ist, Top-Sprecher einzuladen, wenn die Probleme der Branche ignoriert werden, oder das Publikum von den Präsentationen überfordert wird, dann kann schon einmal das Aufmerksamkeitsdefizit aus dem Hinterhalt zuschlagen. – Andererseits: Wenn Vortragende von internationalem Kaliber über neue Ansätze, ungewöhnliche Blickwinkel und interessante Lösungsmöglichkeiten drängender Probleme berichten, dann ist man hellwach. Mitte Mai hatte ich die Möglichkeit, den 8. International TCG Retail Summit in Wien zu besuchen – und ich muss sagen, diese Veranstaltung war den Aufwand wert. Die Veranstalter von Retail Plus haben es wieder geschafft, Sprecher mit internationalem Format auf die Bühne zu bringen, die viele wertvolle Einsichten in die Evolution des Handels geben konnten. Einiges war zwar bekannt, andere Informationen waren zumindest mir vollkommen neu, und in vielen Fällen wurden Lösungsmöglichkeiten zu drängenden Problemen aus interessanten Blickwinkeln aufgezeigt. Deswegen vergingen für mich die zwei Tage auch wie im Flug und mein Block füllte sich mit Notizen, die außer mir wohl keiner entziffern kann. Was aber angesichts der Fülle an Informationen nicht wirklich verwunderlich ist. Einziger Kritikpunkt: Bei den Rednern waren die Vertreter des Vereinigten Königreichs in der Überzahl. Das sorgte zwar für einen äußerst angenehmen BBC-Klang auf der Bühne. Manchmal hätte man sich allerdings einen noch weiteren, eher kontinentaleuropäischen Blickwinkel gewünscht.

Was habe ich mir von der Veranstaltung mitgenommen? Vieles, u.a. wie man als Influencer 25 Mio. Dollar im Monat einnimmt. Mehr zu den Highlights des TCG Retail Summit finden Sie ab Seite 28 in dieser Juni-Ausgabe. Eines aber vorneweg: Die Nachricht vom Ableben der physischen Stores ist verfrüht und das haben die unterschiedlichen Redner auch durchaus mit Zahlen hinterlegt oder aufgrund eigener Erhebungen überzeugend argumentiert. Das Überraschende dabei war allerdings, dass das Modell des inhabergeführten, kooperierten Fachhandels auf internationaler Ebene durchaus als ein Erfolgsrezept gesehen wird – vorausgesetzt der EFH bringt seine Stärken entsprechend zum Tragen. Denn die Herausforderungen für die gesamte Branche sind – wie ausführlich besprochen wurde – immens und sie werden größer.

Der inhabergeführte Fachhandel bringt eine Zutat mit, ohne die man in Social Commerce oder Liveshopping nicht auskommt: ­Authentizität.

So muss sich der Handel mit neuen Mitspielern und neuen Technologien auseinandersetzen. Liveshopping und Social Commerce sind schon längst keine Modeerscheinungen mehr, sondern haben sich in den vergangenen Jahren zu bedeutenden Kanälen entwickelt. Neben Influencern mit oftmals sehr großen Communities sind in diesem Bereich auch einige recht große Player aktiv, die einiges an Professionalität mitbringen. Hier erwächst eine neue Konkurrenz, welche das Potenzial hat, Umsatzströme am Fachhandel vorbeizuleiten. Gleichzeitig ist Liveshopping aber auch ein Tool, mit dem sich der Handel online direkt an seine Kunden wenden kann. Wir haben deswegen für unser Cover-Thema einen genauen Blick auf den neuen Trend Liveshopping geworfen und auch mit Ina Bauer, GF MediaShop, gesprochen (ab Seite 16). Schließlich ist das heimische Teleshopping- bzw. Omnichannel-Unternehmen überall dort aktiv, wo Bewegtbild im Verkauf für Emotionen sorgen soll.

Zusätzlich werden neue Technologien wie Augmented Reality reif. Leistungsfähigere Datennetze – mobil und fest – sowie die entsprechenden Smartphones, Tablets oder Notebooks stehen nun umfassend zur Verfügung. Es ist daher meiner Einschätzung nach nur eine Frage der Zeit, bis die bisherigen Schlagworte wie eben AR und VR in der Branche umfassend mit Leben erfüllt werden. Keine Frage, mit den neuen technischen Möglichkeiten wird sich das Verkaufen weiter verändern. Die spannende Frage bleibt, wie kann der Fachhandel von all diesen Veränderungen profitieren? Vielleicht hören wir darüber auf dem nächsten oder übernächsten TCG Retail Summit. Aber vielleicht experimentiert die Branche auch selbst mit den neuen technischen Möglichkeiten und schafft ihre eigenen Kanäle. Dass es im Handel einfacher wird, davon kann man nicht ausgehen. Aber wir sehen gerade, wie die Karten neu verteilt werden.

Wird Liveshopping ein Gegengewicht zu der immer größeren Macht der Online-Marktplätze oder werden die Riesen die aufstrebende Konkurrenz einfach schlucken? Keine Ahnung. Aber es wäre falsch, branchenfremden Influencern und Online-Marktplätzen das neue Feld einfach so zu überlassen. Denn der inhabergeführte Fachhandel bringt in diesem Fall eine Zutat mit, ohne die man in Social Commerce, Liveshopping, oder wie immer man diese neuen Vertriebsformen nennen will, nicht auskommt: Authentizität.

Diese ist der Schlüssel zum Erfolg – online wie offline. Denn die Endkunden suchen Orientierung und Bestätigung von einer vertrauenswürdigen Person. In einer Zeit der Informationsüberlastung will man ein Gefühl der Sicherheit, Kontrolle und vielleicht auch Coolness zurückgewinnen. Das trifft sich: Viele Elektrofachhändler verfügen bereits über reichweitenstarke Social Media-Kanäle. Sie sind in ihrer Community verankert und sie können – mit dem richtigen Content – im besten Fall ihr eigener Influencer sein, solange sie authentisch sind. Aus eigener Erfahrung weiß ich allerdings, wie schwierig es ist, einen Kanal laufend zu bespielen. Und da haben wir noch gar nicht über die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Einbindung von Liveshopping in die eigenen E-Commerce-Aktivitäten gesprochen. Allein wegen dieser Herausforderungen wird nicht jeder Händler sofort seinen eigenen Verkaufs-Stream für Liveshopping einrichten. In der Gruppe kann es allerdings gelingen.

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