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Samstag, 20. April 2024
Andreas Rockenbauer: Über mein Leben danach

Bekenntnisse eines Glücklichen

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 11.07.2022 | |  Menschen
Ich liebe Tiere und ganz besonders unseren jungen Labradorrüden Lenny, der im vergangenen Jahr den Platz des 13jährig verstorbenen Bobby eingenommen hat und nun der Chef in der Familie ist. Ich liebe Tiere und ganz besonders unseren jungen Labradorrüden Lenny, der im vergangenen Jahr den Platz des 13jährig verstorbenen Bobby eingenommen hat und nun der Chef in der Familie ist. Immer wieder würden Leute von ihm wissen wollen, was aus dem Rockenbauer geworden sei, was der denn jetzt so mache, teilte mir Wolfgang Schalko bei einem unserer regelmäßigen Telefonate vor kurzem mit. Das war – so stellte sich rasch heraus – die Einleitung zur Frage gewesen, ob ich denn eine Wortspende beisteuern wolle zur Jubiläumsausgabe der E&W. So ein bisserl was Persönliches sollte es sein, zusammen mit meinem Blick von außen auf eine Branche, die mehr als ein Vierteljahrhundert meines Lebens maßgeblich bestimmte und der ich im Frühjahr 2020 den Rücken gekehrt hatte.

Das möchte ich hiermit gerne tun und ein wenig laut darüber nachdenken, warum ich E&W und elektro.at verkauft und meinen Herausgeberjob an den Nagel gehängt habe, was ich über diesen Schritt gut zwei Jahre später denke und wie mein Leben nach E&W aussieht. Als kleines Service für jene, die die Lektüre von Texten gerne nach dem ersten oder zweiten Absatz beenden, sei hier Zeit sparend gespoilert: Ich bereue nichts und betrachte meine einschneidende Entscheidung auch rückwirkend noch als eine der besten, die ich jemals getroffen habe. Ich arbeite heute kaum weniger als noch vor drei Jahren, habe aber im Zuge meiner Neuorientierung etwa 80% des negativen Stresses hinter mir gelassen und mache fast ausschließlich Dinge, die mir richtig Spaß machen.

Wahrscheinlich hatte mein Schritt etwas von dem, was der berühmte österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter als Schöpferische Zerstörung bezeichnete: Das Alte auf intelligente Weise über Bord werfen, um Platz für Neues zu schaffen. Dass mein Rücktritt ins neue Leben mit der allerersten Corona-Welle zusammenfiel und mir damit jede Menge unternehmerischen Ärger ersparte, sieht retrospektiv wie eine Regieanweisung von einem Schicksal aus, das es gut mit mir meinte.

Phantomschmerzen

Sandra und ich kennen einander seit 40 Jahren, sind seit 30 Jahren verheiratet und durften im Herbst 2020 die Hochzeit unserer Tochter Lisa feiern. Und wenn alles klappt, werden wir Ende Oktober Großeltern…

Ich bin im Allgemeinen kein Mensch von raschen Entschlüssen und eher unterdurchschnittlich mit der Fähigkeit ausgestattet, loslassen zu können. Das bedeutet, dass eine einmal getroffene Entscheidung nicht weiter zu hinterfragen und mich mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen abzufinden nicht zu meinen Stärken zählt. Ganz anders in diesem Fall: Meine Entscheidung, der E&W (und meinem jüngsten und prächtig gedeihenden Baby elektro.at) auf Nimmerwiedersehen den Rücken zu kehren und fortan in den Händen fähiger Pflegeeltern zu wissen, fühlte sich damals genauso richtig an, wie sie das heute noch tut. Zweifel? Nicht eine Sekunde!

Allerdings möchte ich nicht verschweigen, dass ich ein paar Monate lang eine Art Phantomschmerz erlebte: Immer dann nämlich, wenn in mir in den unterschiedlichsten Situationen der jahrzehntelang trainierte Journalisten-Reflex die Kontrolle übernahm und ich euphorisch dachte: „Das muss ich mir unbedingt aufschreiben, das ist ein perfektes Editorial-Thema!” Um im nächsten Moment festzustellen: Fehlalarm! Da war keine monatliche Seite, die darauf wartete, mit meinem Editorial-Text gefüllt zu werden. Ob mich das traurig stimmte? Nein. Es war bloß ein merkwürdiges Gefühl, das nach und nach verschwand und jetzt – nach über zwei Jahren – eher einem Gefühl der Distanz und der Fremdartigkeit gewichen ist.

Bevor ich eine Antwort auf die oft gestellte Frage gebe, womit ich denn nun meine Brötchen verdiene, möchte ich noch einen kurzen Blick zurückwerfen, weil darin ein Teil meiner Motivation zu finden ist, „meiner” Branche und meinem Medium den Rücken zu kehren. Wenn ich zurückdenke und mich nicht nur an die vielen schönen Momente meiner E&W-Zeit erinnere, von denen ich keinen einzigen missen möchte und die allesamt mit besonderen Menschen zu tun haben, sondern darüber reflektiere, warum mir der Abschied derart leichtgefallen ist, muss ich immer wieder an eine Geschichte denken. Sie ist unspektakulär und mag vielen unbedeutend scheinen, steht für mich jedoch exemplarisch für die schleichende Entfremdung zwischen mir und dieser Branche, die sich zunächst nahezu unmerklich, in den vergangenen zehn Jahren jedoch radikal verändert hat.

In der Retrospektive ist es ein bemerkenswertes Paradoxon, dass ich den Mut zu meiner wohl größten Lebensveränderung (sieht man von der Geburt unserer Tochter ab) der Tatsache zu verdanken habe, dass ich Veränderungen leidenschaftlich hasse und ich am liebsten habe, wenn alles beim Alten bleibt.

Der Abschied wirft seine Schatten

Aber nun zu meiner kleinen Geschichte: Es war etwa ein dreiviertel Jahr vor meinem Abschied, als ich zusammen mit Steffi Bruckbauer ein Erstgespräch mit einer – in der Branche neuen – Marketingleiterin führte. Wobei das Unternehmen, für das die Dame die Marketingleitung übernommen hatte, seit Jahrzehnten eine enge Partnerschaft mit E&W pflegte. Ich erwartete eines von diesen Gesprächen, wie ich sie schon hunderte Male zuvor geführt hatte und die zu meiner liebgewonnenen Routine gehörten. Doch es kam ganz anders.

Denn während ich mit Verve erzählte, wofür E&W stand, was mich und mein Team bewegte und seit Jahrzehnten derart eng mit dieser Branche verband, sah mich die Dame die meiste Zeit über ausdruckslos an und hämmerte dazwischen immer wieder auf die Tastatur ihres Notebooks ein, dessen Bildschirm wie eine Mauer zwischen uns stand. Anstelle von interessierten Rückfragen kamen ausschließlich Routinefragen nach Kennzahlen, von denen ich einige nicht beantworten konnte, weil sie im Fachzeitschriftenbereich keine Rolle spielen. Hard Facts, das war das Einzige, was sie zu interessieren schien. Nichts Persönliches. Bloß Zahlen.

Mich irritierte nicht nur, dass sie sich offenbar einen Dreck für das interessierte, was ich zu sagen hatte, sondern vor allem, dass sie keinen Hehl daraus machte. Als das „Gespräch” nach nicht einmal 30 Minuten beendet war und wir hinauskomplimentiert worden waren, wusste ich: Das war nicht mehr meine geliebte Branche, nicht mehr jene Branche, die mehr als zweieinhalb Jahrzehnte lang zu meinem Leben gehört hatte, wie das tägliche Zähneputzen. Das alles war mir seltsam fremd geworden und ich vermisste die schönen persönlichen Gespräche, Freundschaften und Veranstaltungen, die einem das heimelige Gefühl gaben, Teil einer großen Familie zu sein.

Stattdessen spürte ich ein Unbehagen, das unter anderem von dem Verdacht herrührte, dass Handschlags Qualität und persönliche Beziehungen plötzlich ähnlich anachronistisch schienen wie Wählscheibentelefone am Festnetzkabel, und das Zeigen von Emotion sukzessive mit Schwäche gleichgesetzt wurde. Auch das Primat der Kurzfristigkeit, das von Denken wie Handeln allerorts Besitz zu ergreifen schien, irritierte mich.

Immer öfter hatte ich das Gefühl, in die leeren Gesichter entseelter Konzerne zu schauen, in denen Excel-Tabellen alles und persönliche Verbundenheit nichts mehr zählten. Konzerne, die Loyalität von Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern vehement einforderten und selbst auf diesem Ohr taub waren. Die ihren Lieferanten utopische Zahlungsziele abpressten und ihren Kunden nach zehn Tagen eine Mahnung schickten. Und die – das schien das Perfide daran – in eben diesem Verhalten eine Art Naturgesetz sahen, blind für die unethischen Aspekte ihres Handelns.
Bei aller Kritik muss man jedoch zwischen Konzernen als abstrakten Einheiten und den vielen Menschen unterscheiden, die an vorderster Front stehen, und oft gegen ihre persönliche Überzeugung knallharte Direktiven weit entfernter Zentralen umzusetzen haben. Liebenswerte Menschen, die nicht selten zwischen zwei Sesseln sitzen und enorm darunter leiden.

Ich glaube es nicht, aber vielleicht ist die Art und Weise, wie heute Geschäfte gemacht werden, jene, die am besten zur aktuellen Zeit und ihren besonderen Herausforderungen passt. Ganz sicher ist es jedoch nicht jene Art, die zu mir und meiner Auffassung passt, wie sich „Geschäfte machen” bzw. leidenschaftliche Arbeit anfühlen sollte. Mag sein, dass ich diesbezüglich zu naiv oder aus der Zeit gefallen bin, aber ich schäme mich nicht dafür. Von den Menschen dieser – meiner – Branche vermisse ich einige, wobei ich mit vielen noch in Kontakt, mit einigen gar freundschaftlich verbunden bin. Aber die Branche in ihrer abstrakten Gesamtheit, die vermisse ich nicht, wenngleich ich das Geschehen über E&W und elektro.at interessiert verfolge.

Über die faktische Macht des Jetzt

Sind wir ehrlich: Der Rockenbauer, der gerade diese Zeilen schreibt, geht niemandem in der Branche ernsthaft ab. Und das ist gut so. Denn mit der Tatsache, dass Bedeutung rasend schnell vergänglich ist, haben nur jene Menschen ein Problem, deren Lebenssinn sich ausschließlich auf eben diese Bedeutung stützt. Man mag traurig darüber sein, dass man keine Lücke hinterlassen hat. Man kann aber auch wie ich stolz darauf sein, dass jene Menschen, die man über viele Jahre gefördert (und gefordert) hat, mit ihrer plötzlichen Eigenverantwortung fantastisch umgehen und einen derart tollen Job machen, sodass die Lücke des eigenen Abschieds eben keine ist. Mit der Konsequenz, dass alles seinen gewohnten Lauf geht – und irgendwann Erinnerungen verblassen und von der faktischen Macht des Jetzt für alle Zeiten überlagert werden.

Mit Alois Tanzer, den ich 1995 im Büro von Christian Blumberger kennengelernt habe, verbindet mich bis heute eine tiefe Freundschaft.

Dieser – mein – kritischer Blick auf die Branche zeigt, wie richtig es war, das Steuer des wichtigsten Branchenmediums an Menschen zu übergeben, die außergewöhnliche Kompetenz mit unbedingter Zuneigung zu dieser Art von Medien-Arbeit und ihren Lesern und Leserinnen empfinden. Die sich den Herausforderungen dieser stürmischen Zeiten weit besser stellen, als ich das nach mehr als 25 Jahren noch gekonnt hätte. Die viele kreative Ideen haben und mit ihrer unverbrauchten Leidenschaft ein Werk fortsetzen, das mein Vater (mit großer Unterstützung durch meine Mutter) mit viel Herzblut vor 40 Jahren begonnen hat und das über all die Jahrzehnte stets weit mehr war, als „bloß ein Magazin herauszugeben”. An dieser Stelle gilt mein großer Respekt und Dank Wolfgang Schalko, Dominik Schebach und Steffi Bruckbauer, sowie meinem langjährigen und engen Freund Alois Tanzer, der sich im vergangenen Jahr gerade zur rechten Zeit an Bord von E&W geschwungen hat. Und natürlich Praktikantin Julia Jamy, die innerhalb kürzester Zeit ein wichtiger Teil des Teams wurde.

Ich freue ich mich über den Erfolg meiner Ex-Kollegen genauso wie über mein neues Leben, das leben zu dürfen ich als nicht zu überschätzendes Privileg betrachte. Aber woraus besteht es?

Langeweile? Niemals!

Eine gute Hälfte meiner Zeit ist mit der Tätigkeit für mein Unternehmen, der Motopress Werbe- und VerlagsgesmbH, ausgefüllt, dessen Hauptaufgabe es ist, die Veröffentlichung der Jahresabschlüsse von über 300 der größten österreichischen Aktienunternehmen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu managen. Das ist ein Geschäft, das meine Mutter vor 35 Jahren mit einer sensationellen Idee und viel Fleiß aufgebaut hat und das ich seit einigen Jahren mit großer Freude weiterführen darf.

Und weil mich seit meiner Jugend der Traum einer Karriere als Naturwissenschaftler und der brennende Wunsch verfolgt, möglichst viel von dem zu verstehen, was „unsere Welt im Innersten zusammenhält”, verbringe ich die andere Hälfte meiner Arbeitszeit mit dem Masterstudium der Philosophie. Das bedeutet, dass ich mich auf der Uni in Seminaren, Vorlesungen oder Symposien herumtreibe oder mit dem Lesen von Fachliteratur bzw. dem Schreiben von philosophischen Arbeiten und dem Halten von Vorträgen beschäftigt bin.
Für Menschen, denen die Philosophie unbekanntes Terrain ist, mag das weltfremd und versponnen klingen, aber große Teile der Philosophie zeichnen sich durch starken Praxis- und Weltbezug aus. Für mich sind Philosophie und Naturwissenschaft mit den damit verbundenen Perspektivenwechseln hervorragende Mittel, um unsere Welt, die Mechanismen der Gesellschaft und uns selbst besser zu verstehen – also hinter die Kulissen des Welttheaters zu blicken. Meine Interessensgebiete dabei sind Erkenntnistheorie, Technikphilosophie, Wissenschaftsphilosophie und Philosophie des Geistes bzw. die Spezialgebiete Künstliche Intelligenz, Bewusstseinsforschung und Philosophische Logik.

Vielleicht werde ich mich in Zukunft auch wieder meiner ursprünglichen Profession als Informatiker erinnern und ein wenig ins Programmiergeschäft einsteigen. Und mein Roman… ja, der liegt auch noch ziemlich unfertig in einer Schublade meines Schreibtisches. Zeit zum Nachdenken habe ich genug – unter anderem bei den ausgedehnten Spaziergängen durch den Wienerwald oder rund um den Altausseeer-See mit unserem jungen Labrador-Rüden Lenny.

Routine hat ihre guten Seiten. Aber sie kann auch sehr gefährlich – gar zerstörerisch – werden, wenn Sie die Leidenschaft verdrängt und einem den Blick auf das verstellt, was heute gemacht werden muss, um morgen noch erfolgreich zu sein. Ich bin froh, dass ich das rechtzeitig erkannt und einen völlig neuen Weg gewählt habe.

Ich wünsche dem fantastischen E&W-Team alles Gute für die nächsten Jahre und weiß – ganz im Sinne meines 2016 viel zu früh verstorbenen Vaters, E&W-Gründers und ausgezeichneten Lehrers – E&W und elektro.at in den besten Händen.

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