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Donnerstag, 25. April 2024
Recht im Handel – Handeln im Recht

Bald drei Jahre Corona – ein Rück- und Ausblick aus juristischer Sicht

Dr. Nina Ollinger | 11.12.2022 | Bilder | |  Meinung
Corona-Krise oder Corona-Situation – jeder hat die Zeit anders erlebt, anders wahrgenommen und ist anders davon betroffen. Die Auswirkungen, das war wohl recht rasch klar, werden wir lange spüren, genauso wie den Riss durch die Gesellschaft. Immer noch haben wir Maßnahmen in Österreich und sorgen uns wohl darüber, was noch auf uns zukommen wird, vor allen Dingen aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht. Der Jurist stellt sich hauptsächlich die Frage: War das, was wir erlebt haben, und ist das, was uns noch bevorsteht, verhältnismäßig? Was lernen wir daraus für die Zukunft?

Viel haben wir erlebt in den beinahe drei Jahren, in denen eine Ausnahmesituation unsere Gesellschaft gefordert hat, auch aus juristischer Sicht. Eigentlich haben alle Gesetzgebungsakte der sog. Verhältnismäßigkeitsprüfung standzuhalten; es hat sich jedoch gezeigt, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit auch im Recht eine dehnbare ist und von der Einstellung der handelnden Personen sowie sehr stark auch von der Politik abhängt. Die rechtsstaatliche Demokratie geht von der Verhältnismäßigkeit aus und soll auch durch den Grundrechtsschutz dafür sorgen, dass immer nur das gelindeste Mittel angewandt wird und der einzelne Staatsbürger vor Willkür geschützt wird. Es zeigt sich aber auch, und so kritisch darf man aus meiner Sicht sein, dass sehr rasch ab März 2020 Entscheidungen getroffen wurden, ohne zu Grunde liegende Fakten und Evidenzen zu kennen – die Grundvoraussetzung jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung. Eine solche setzt nämlich voraus, dass die tatsächlichen Gegebenheiten des Regelungsgegenstandes, dh worüber ein Gesetz/eine Verordnung erlassen wird, bekannt sind. Man darf wohl behaupten, dass im März 2020 das Wissen zu gering war, um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie eine rechtsstaatliche Demokratie erfordert, ordnungsgemäß durchführen zu können.

Kritisch darf man auch die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes beleuchten. Viele Regelungen, wie etwa Lockdown für Ungeimpfte im November 2021 oder Jänner 2022 oder auch die 2G Regel in der Nachtgastro wurden vom Verfassungsgerichtshof für verfassungsmäßig angesehen, dies hauptsächlich aus formellen Gründen; eine detaillierte Grundrechtsprüfung ist in den meisten Entscheidungen nicht enthalten. Auch das Impfpflichtgesetz darf kritisch hinterfragt werden, ob dieses einer Verhältnismäßigkeitsprüfung tatsächlich entsprochen hätte; hierzu meinte der Verfassungsgerichtshof, dass gewichtige öffentliche Interessen des Schutzes des Lebens und der Gesundheit vorgelegen wären und dass die Aussetzung des Impfpflichtgesetzes dazu geführt hätte, dass das Gesetz selbst verfassungsmäßig sei. Eine detaillierte Prüfung der tatsächlichen Situation basierend auf Evidenzen, wissenschaftlicher Erkenntnisse und letztlich die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist aber auch hier nicht erfolgt – in dem Fall wohl juristisch korrekt, da das Gesetz ja ausgesetzt wurde.

Bleibt zu hoffen, dass die juristische Aufarbeitung zumindest auf anderer Ebene adäquat erfolgt. Sieht man sich die vielen Verwaltungsverfahren an, zB bezüglich Quarantäne Verletzungen, so liegt es tatsächlich an jedem einzelnen, derartige Strafen zu bekämpfen und die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes überprüfen zu lassen. Das ist mit Aufwand und, bei Konsultation eines Rechtsanwaltes, auch noch mit Kosten verbunden, die im Regelfall nicht ersatzfähig sind. Wenn sich dies nicht jeder antut, so ist das nachvollziehbar. Eine Aufarbeitung auf größerer Ebene ist bislang zu vermissen, ob diese kommt, ist eine politische Entscheidung.

Auch Gerichtsverfahren werden geführt, aus den unterschiedlichsten Gründen, als Ausfluss aus der Corona Zeit. Seien es besondere Streitigkeiten wie etwa den medial bekannten Entscheidungen zur Mietzinsaussetzung während Lockdowns, sei es auf kleinerer Ebene. Vieles war und ist noch unklar und juristisch zu bewerten. Letztlich wurde eine Situation geschaffen, die dazu geführt hat, dass jeder einzelne von uns auf die unterschiedlichste Art betroffen war und ist. Die Aufarbeitung, auch auf juristischer Ebene, wird bestimmt noch einige Zeit dauern, bei vielen Fragestellungen, wohl auch bei Impfnebenwirkungen oÄ, stehen wir juristisch wohl ziemlich am Anfang. Hier ist jeder einzelne von uns gefragt; bei juristischen Unklarheiten gilt es die Gerichtsbarkeit zu bemühen und allenfalls auch selbst neue Rechtsprechung zu schaffen. Weitere höchstgerichtliche Entscheidungen zu sämtlichen Fragestellungen rund um Corona wird es auch in den nächsten Jahren noch geben.

Meine Hoffnung besteht darin, dass wir aus dieser Zeit und auch aus der juristischen Aufarbeitung, die hoffentlich noch in einem gewissen Ausmaß erfolgen wird, für die Zukunft lernen. Aus rechtsstaatlicher Sicht wäre es wünschenswert, dass Verhältnismäßigkeitsprüfungen, so wie es sein sollte, immer nur auf Basis von Wissen und nicht auf Basis von – von individueller Meinung geprägter – Annahmen erfolgen, sowohl im Kleinen, dh in der Familie und im Freundschaftskreis, als auch auch im Großen, dh in der Politik, in der Gesetzgebung und auch in der Rechtsprechung.

RA Dr. Nina Ollinger, LL.M
02231 / 22365
office@ra-ollinger.at
www.ra-ollinger.at

Diskussionsabend: Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen

Auf Initiative von RA Nina Ollinger fand am 10.11. im Stadtsaal Purkersdorf ein Vortrags- und Diskussionsabend zum Thema „Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen aus gesundheitlicher und rechtlicher Perspektive” statt.  Nina Ollinger diskutierte mit Arzt und Gesundheitswissenschaftler Martin Sprenger über die zwei verschiedenen Perspektiven vor und mit interessierten und engagierten zweihundert Teilnehmern. Gleich zu Beginn wies Purkersdorfs Bürgermeister Stefan Steinbichler in seiner Begrüßungsrede auf die Wichtigkeit, wenn nicht sogar Notwendigkeit des Miteinander Redens zu diesem Thema hin – das eigentliche Motto der Veranstaltung. „Es wird Zeit das Klima der Einschüchterung zu beenden und zu einer offenen Debattenkultur zurückzukehren“, sagte der Public Health Experte Martin Sprenger – und genau dieses Ziel verfolgte man auch an diesem Abend. 

„Mir war es ein Anliegen, das Thema Corona aus juristischer Sicht zu beleuchten, eine Aufarbeitung vorzunehmen und auch die Möglichkeit zu geben, darüber zu reden und zu diskutieren. Das Angebot von Martin Sprenger an alle Interessierten, für einen Vortrag und das auch noch kostenfrei anzureisen, haben wir sehr gerne aufgegriffen und diesen Wunsch damit verbunden. Vielfach wurde ich im Nachhinein darauf angesprochen, dass das Durchführen dieser Veranstaltungen ‚mutig‘ sei; so sehe ich es nicht und es ist aus meiner Sicht alarmierend, dass man die Durchführung einer solchen Veranstaltung in unserer Gesellschaft tatsächlich mit dem Wort ‚mutig‘ belegt. Genau das Gegenteil sollte aus meiner Sicht stattfinden, nämlich dass wir alle dazu bereit sind, auch über Dinge, die nicht so gut gelaufen sind, miteinander zu reden, zu diskutieren, Fehler einzugestehen, diese auch direkt ansprechen zu dürfen und daraus für die Zukunft zu lernen. Einen kleinen Beitrag dazu wollte ich mit der Veranstaltung leisten”, beschreibt Ollinger ihre Intention.

Eine kurze Video-Rückschau finden Sie hier.

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