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Freitag, 29. März 2024
Editor's ChoiceDie Welt inmitten der ersten globalen Energiekrise

World Energy Outlook: Erneuerbare bilden Basis der Energiezukunft

Photovoltaik Energiezukunft | Wolfgang Schalko | 21.12.2022 | Downloads | |  Wissen
Vizekanzler Werner Kogler (li.) und Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur. Vizekanzler Werner Kogler (li.) und Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur. (© Klima- und Energiefonds/Juhasz) Anfang der Woche wurde der diesjährige „World Energy Outlook“ (WEO) von Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA), im Kuppelsaal der TU Wien vor knapp 300 Gästen vorgestellt. Der im Oktober veröffentlichte Weltenergieausblick gilt als die maßgeblichste Quelle für Analysen und Prognosen in der Energiewelt. Birol war auf Einladung des Austrian Chapter des Club of Rome, des World Energy Council Austria, der TU Wien, des Klima- und Energiefonds und des Klimaschutzministeriums in Wien zu Gast.

Die Daten und Analysen der IEA liefern Einblicke in die weltweite Energieversorgung und -nachfrage und die Auswirkungen auf Energiesicherheit, Klimaziele und wirtschaftliche Entwicklung. Heuer beantwortet der WEO auf Basis neuester Energiedaten und Marktentwicklungen Schlüsselfragen zur Krise: Wird sie ein Rückschlag für die Umstellung auf saubere Energie oder ein Katalysator für größere Maßnahmen sein? Wie könnten staatliche Maßnahmen die Energiemärkte beeinflussen? Welche Energiesicherheitsrisiken liegen auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen?

Exekutivdirektor Fatih Birol machte deutlich, dass die Energiezukunft auf kohlenstoffarmen Energiequellen basieren wird: „Wir müssen auf erneuerbare Energieträger, Energieeffizienz, Wärmepumpen und alle klimaneutralen Technologien setzen, also so schnell wie möglich aus den fossilen Energien aussteigen.“ Die Welt befindet sich laut Birol seit der Invasion Russlands in der Ukraine mitten in ihrer ersten globalen Energiekrise. „Dies ist eine Krise, in der die Energiewende die Lösung und nicht das Problem ist. Aber nach wie vor bestehen große Unsicherheiten darüber, wie sich diese Krise entwickeln wird.“

Vizekanzler Werner Kogler eröffnete die Veranstaltung und wies in seinem Statement auf den engen Zusammenhang zwischen der fossilen Energieabhängigkeit und der Wirtschafts- und Energiekrise hin: „Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns deutlich vor Augen geführt, welche Folgen die hohe Abhängigkeit von fossiler Energie auch geo- und sicherheitspolitisch hat. Wir befinden uns in einem Zeitenbruch. Der Weg aus der Krise in eine sichere Energiezukunft ist uns aber klar vorgezeichnet. Klimaschutz, Energiesicherheit und die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern sind dabei zentral. Mit dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien in Österreich und Europa können wir nicht nur einen Beitrag dazu leisten, die Pariser Klimaziele zu erreichen, sondern auch eine positive wirtschaftliche Entwicklung forcieren. Der heute in Wien von IEA-Direktor Fatih Birol vorgestellte World Energy Outlook bietet die Gelegenheit, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen, und den Blick in die Zukunft für eine krisensichere, nachhaltige und klimaneutrale Energieversorgung zu richten.“

Auszug aus dem World Energy Outlook

Die Energiemärkte bleiben überaus störanfällig und der Energieschock führt uns die Fragilität und fehlende Nachhaltigkeit unseres Energiesystems klar vor Augen. Ob die Umstellung auf saubere Energien durch die Krise einen Rückschlag erleidet oder beschleunigt wird, ist eine zentrale Frage, für Politikverantwortliche ebenso wie für diesen Ausblick. In manchen Kreisen werden die Klimapolitik und Netto-Null-Emissionsziele für den Anstieg der Energiepreise mitverantwortlich gemacht, doch Belege gibt es dafür kaum. In den am stärksten betroffenen Regionen korreliert ein höherer Beitrag der Erneuerbaren zur Stromerzeugung mit niedrigeren Preisen; einigen – allerdings deutlich zu wenigen – Verbrauchern bringen energieeffiziente Wohnungen und Wärme aus Strom wichtige Entlastungen.

In Krisenzeiten rücken die Regierungen und ihre Gegenmaßnahmen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Viele ergreifen nicht nur kurzfristige Maßnahmen: Manche bemühen sich, ihre Versorgung mit Öl und Erdgas längerfristig zu verbessern oder zu diversifizieren, und häufig wird versucht, strukturelle Veränderungen zu beschleunigen. Die drei Szenarien dieses World Energy Outlook (WEO – „Weltenergieausblick“) unterscheiden sich in erster Linie hinsichtlich ihrer Annahmen in Bezug auf die politische Maßnahmen der Regierungen. Das Stated Policies Scenario (STEPS) zeichnet einen Entwicklungspfad auf der Grundlage des aktuellen politischen Handlungsrahmens. Das Announced Pledges Scenario (APS) basiert auf der Annahme, dass alle ambitionierten Zielsetzungen der Regierungen – auch ihre langfristigen Klimaneutralitäts- und Energiesicherheitsziele – komplett und zeitgerecht umgesetzt werden. Das Net Zero Emissions by 2050 (NZE) Scenario skizziert einen Weg, um den mittleren globalen Temperaturanstieg auf 1,5 °C zu begrenzen und gleichzeitig den Zugang zu modernen Energiequellen bis zum Jahr 2030 weltweit allgemein verfügbar zu machen.

Die Investitionen in saubere Energien werden bis 2030 massiv steigen – die Abbildung zeigt das STEPS-Szenario.

Im STEPS helfen neue politische Maßnahmen auf großen Energiemärkten, die jährlichen Investitionen in saubere Energien bis 2030 um mehr als 50% auf über 2 Billionen USD anzuheben. Der Bereich saubere Energie birgt immense Chancen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze und wird zu einem wichtigen Feld des internationalen wirtschaftlichen Wettbewerbs. In den Vereinigten Staaten trägt der Inflation Reduction Act wesentlich dazu bei, dass 2030 der jährliche Zubau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen das heutige Niveau um das 2,5-Fache übertrifft und siebenmal so viele Elektroautos verkauft werden. In China wird die massive Förderung sauberer Energiequellen weiter vorangetrieben, sodass sowohl der Kohle- als auch der Ölverbrauch des Landes noch vor Ende des laufenden Jahrzehnts seinen Scheitelpunkt erreicht. In der Europäischen Union geht die Erdgas- und Ölnachfrage angesichts des beschleunigten Ausbaus der Erneuerbaren und großer Effizienzsteigerungen noch in diesem Jahrzehnt um 20% und der Kohlebedarf sogar um 50% zurück. Dass russisches Erdgas durch andere Energiequellen für Industrie und Wirtschaft ersetzt werden muss, erhöht die Dringlichkeit dieser Bemühungen zusätzlich. Japan möchte im Rahmen seiner Strategie für grüne Transformation (GX) bestimmte Technologien, u. a. die Kernkraft sowie den Einsatz von emissionsarmem Wasserstoff und Ammoniak, deutlich stärker fördern. Auch in Korea sollen die Anteile der Kernenergie und der Erneuerbaren am Energiemix steigen. Indien macht weitere Fortschritte bei der Umsetzung seines Ziels, 2030 mit eigenen Anlagen 500 GW aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen. Die erneuerbaren Energien decken fast zwei Drittel seines schnell ansteigenden Strombedarfs ab.

Wenn die Märkte wieder ins Gleichgewicht kommen, verzeichnen die Erneuerbaren und die Kernkraft langfristige Zuwächse; die krisenbedingte Renaissance der Kohle ist nicht von Dauer. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien steigt schneller als die Stromerzeugung insgesamt; dementsprechend geht der Beitrag der fossilen Energieträger zurück. Die Krise treibt die Auslastung bestehender Kohlekraftwerke nur kurzzeitig nach oben und löst keine größeren Investitionen in neue Anlagen aus. Entschlossene politische Maßnahmen, eingetrübte Konjunkturaussichten und das auf kurze Sicht hohe Preisniveau bremsen den Anstieg der Gesamtenergienachfrage. Deutlichere Zuwächse werden vor allem Indien, Südostasien, Afrika und der Mittlere Osten verzeichnen. Der Energieverbrauch Chinas, dessen Wachstum in den letzten beiden Jahrzehnten die globalen Energietrends ganz wesentlich beeinflusste, stagniert angesichts der zunehmenden Dienstleistungsorientierung der chinesischen Wirtschaft zusehends und erreicht noch vor 2030 ein Plateau.

Der internationale Energiehandel erfährt in den 2020er Jahren eine tiefgreifende Neuorientierung, weil sich die Länder auf eine permanente Störung der Versorgung Europas mit russischer Energie einstellen. Die bisher für Europa vorgesehenen russischen Lieferungen finden nur z. T. Abnehmer auf anderen Märkten, sodass die russische Energieproduktion zurückgeht, und mit ihr das globale Energieaufkommen. Auf den Märkten für Rohöl und Mineralölerzeugnisse, insbesondere für Diesel, ist angesichts des EU-Ölembargos gegen Russland mit Turbulenzen zu rechnen. Bei Erdgas wird die Anpassung länger dauern. Den Gasmärkten steht im kommenden Winter auf der Nordhalbkugel eine risikoreiche Zeit bevor, die die Solidarität unter den EU-Ländern auf eine harte Probe stellt – und der Winter 2023–‍2024 könnte noch schwieriger werden. Eine deutliche Steigerung der Flüssigerdgaslieferungen – hauptsächlich aus Nordamerika, Katar und Afrika – tritt erst ungefähr zur Mitte des Jahrzehnts ein.

Erstmals zeigt ein WEO-Szenario auf der Grundlage der herrschenden politischen Rahmenbedingungen, dass die weltweite Nachfrage nach den verschiedenen fossilen Energieträgern auf einen Höhepunkt zusteuert oder ein Plateau erreicht. Im STEPS wird die Kohleverstromung in den nächsten Jahren wieder reduziert und der Erdgasverbrauch ist spätestens zum Ende des Jahrzehnts stabil. Das Absatzwachstum bei Elektroautos führt Mitte der 2030er Jahre zu einer schwächeren Ölnachfrage, gefolgt von einer leicht fallenden Tendenz bis Mitte des Jahrhunderts. Insgesamt geht die Nachfrage nach fossilen Energieträgern ab Mitte der 2020er Jahre kontinuierlich zurück, und zwar bis 2050 um durch­schnittlich ungefähr 2 Exajoule pro Jahr. Dies entspricht in etwa der Energiemenge, die ein großes Ölfeld während seiner gesamten Lebensdauer abwirft.

Seit Beginn der Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert ist mit der globalen Wirtschaftsleistung auch stets die Nutzung fossiler Energieträger angestiegen. Die Umkehr dieses Trends bei fortgesetzter Expansion der Weltwirtschaft wird einen entscheidenden Wendepunkt der Energiegeschichte darstellen. Seit Jahrzehnten hält sich der Anteil der fossilen Energieträger am globalen Energiemix hartnäckig bei rd. 80%. Bis 2030 allerdings sinkt er laut dem STEPS unter die Marke von 75% und zwanzig Jahre später liegt er nur noch knapp über 60%. Die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen erreichen demnach 2025 bei 37 Gigatonnen (Gt) pro Jahr ihren Höhepunkt und gehen dann bis 2050 auf 32 Gt zurück. Dies würde mit einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen um rd. 2,5°C bis 2100 einhergehen. Das ist eine bessere Prognose als noch vor ein paar Jahren: Neue politische Initiativen und seit 2015 erreichte technologische Fortschritte haben die langfristige Erderwärmung um rund 1°C gesenkt. Doch die jährlichen CO2-Emissionen fallen damit laut STEPS bis 2050 nur um 13%; das reicht bei Weitem nicht aus, um schwerwiegende Folgen des Klimawandels zu verhindern.

Eine vollständige Umsetzung aller Klimaverpflichtungen wäre ein Beitrag zu einer zukunftssicheren Welt, allerdings klafft weiterhin eine große Lücke zwischen den heutigen Bestrebungen und dem 1,5-Grad-Ziel. Im APS erreichen die jährlichen Emissionen schon bald ihren Scheitelpunkt, sinken dann schneller und liegen 2050 nur noch bei 12 Gt. Der Rückgang fällt deutlicher aus als noch im APS des WEO 2021, weil weitere Verpflichtungen im letzten Jahr angekündigt wurden, insbesondere von Indien und Indonesien. Wenn diese neuen nationalen Zusagen – ebenso wie die (im diesjährigen APS erstmals berücksichtigten) Selbstverpflichtungen bestimmter Sektoren und Zielvorgaben von Unternehmen – zeitgerecht und vollständig realisiert werden, kann der Temperaturanstieg bis 2100 gemäß dem APS auf rund 1,7°C begrenzt werden. Allerdings ist es einfacher, Verpflichtungen anzukündigen, als ihnen nachzukommen, und selbst wenn sie erfüllt werden, bleibt das Ergebnis noch weit hinter dem NZE-Szenario zurück, in dem das 1,5-Grad-Ziel durch die Senkung der Emissionen bis 2030 auf 23 Gt und bis 2050 auf netto null erreicht wird.

In diesem Jahrzehnt muss die Welt die Weichen stellen, damit das Energiesystem sicherer, nachhaltiger und bezahlbarer wird – und wenn sofort und entschieden gehandelt wird, sind deutlich schnellere Fortschritte möglich. Investitionen in sauberen Strom und Elektrifizierung sowie der Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze bieten klare und kostengünstige Möglichkeiten, Emissionen schneller zu reduzieren und die hohen Stromkosten wieder zu senken. Wenn der Einsatz von Photovoltaik- und Windkraftanlagen, Elektroautos und Batterien weiter zunimmt wie bisher, geht die Transformation deutlich schneller vonstatten als im STEPS prognostiziert. Voraussetzung dafür sind allerdings unterstützende politische Maßnahmen, und zwar nicht nur auf den führenden Märkten für diese Technologien, sondern weltweit. Wenn die Länder ihre Klimaverpflichtungen einhalten, ist 2030 jeder zweite Neuwagen, der in der Europäischen Union, in China und den Vereinigten Staaten verkauft wird, ein Elektroauto.

Das Entwicklungstempo der Lieferketten für einige Schlüsseltechnologien – z. B. für Batterien, Solarmodule und Elektrolyseure – birgt neue Chancen auf den Weltmärkten. Wenn die Fertigungskapazitäten für Solarmodule wie angekündigt ausgebaut werden, übersteigen sie 2030 das für den Zubau gemäß APS benötigte Niveau um 75% und nähern sich den Bedingungen des NZE-Szenarios an. Was den Einsatz von Elektrolyseuren für die Wasserstoffgewinnung betrifft, führt die Umsetzung aller bis 2030 angekündigten Projekte im APS zu einem potenziellen Kapazitätsüberschuss von rd. 50%. Der Ausbau der Batterieproduktion für Elektroautos spiegelt den derzeitigen Wandel der Automobilindustrie wider, die zeitweise Zielvorgaben für Elektromobilität früher aufgestellt hat als die Regierungen. Gemeinsam leisten diese verschiedenen Lieferketten für saubere Energie einen enormen Beschäftigungsbeitrag: Derzeit arbeiten weltweit rd. 33 Millionen Menschen in diesem Bereich und damit schon jetzt mehr als in der fossilen Energiebranche. Laut APS steigt diese Zahl bis 2030 auf fast 55 Millionen.

Die derzeit hohen Energiepreise zeigen die Vorteile einer größeren Energieeffizienz und führen in einigen Ländern zu Verhaltens- und Technologieänderungen, um den Energieverbrauch zu senken. Effizienzmaßnahmen können dramatische Effekte haben – vor zwanzig Jahren benötigten Glühbirnen noch mindestens viermal so viel Strom wie die heutigen Energiesparlampen – es muss jedoch noch viel mehr getan werden. Die Nachfrage nach Kühlung sollte ein besonderer Schwerpunkt der Politikverantwortlichen sein, da sie in den kommenden Jahrzehnten den zweitgrößten Beitrag zum Gesamtanstieg der globalen Stromnachfrage leisten wird (nach Elektroautos). Viele der heute genutzten Klimaanlagen unterliegen nur geringen Effizienzstandards und in den aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern wird ein Fünftel der Stromnachfrage für Kühlung von gar keinen Standards erfasst. Im STEPS steigt der Kühlbedarf in diesen Ländern bis 2050 um 2.800 Terawattstunden. Das entspricht einer Zunahme um den heutigen Verbrauch der Europäischen Union. Im APS fällt dieses Wachstum aufgrund strengerer Effizienzstandards und einer besseren Bauplanung und Wärmedämmung um die Hälfte niedriger aus – und im NZE-Szenario wird es noch einmal halbiert.

Die Besorgnis über Brennstoffpreise, Energiesicherheit und Emissionen – und eine stärkere politische Unterstützung – verbessern die Aussichten für viele emissionsarme Energiequellen. Die Investitionen in emissionsarme Gase dürften in den kommenden Jahren stark zunehmen. Im APS steigt die globale Produktion von emissionsarmem Wasserstoff bis 2030 vom heute noch sehr niedrigen Niveau auf über 30 Mio. Tonnen (Mt) pro Jahr; dies entspricht mehr als 100 Mrd. m3 Erdgas (wobei allerdings nicht der gesamte emissionsarme Wasserstoff als direkter Ersatz für Erdgas eingesetzt würde). Ein großer Teil dieses Wasserstoffs wird in der Nähe des Verbrauchsorts produziert, der internationale Handel mit Wasserstoff und wasserstoffbasierten Brennstoffen entwickelt sich jedoch dynamisch. Projekte mit einer potenziellen Exportkapazität von 12 Mt sind in Planung, wenngleich sie zahlreicher und weiter fortgeschritten sind als die entsprechenden Vorhaben, die die Importinfrastruktur und die Nachfrage stützen sollen. Die Projekte im Bereich der CO2-Abscheidung, -Nutzung und -‍Speicherung schreiten ebenfalls schneller voran als früher, weil sie verstärkt gefördert werden, um die Dekarbonisierung der Industrie zu unterstützen, emissionsarme oder -‍ärmere Brennstoffe zu produzieren und CO2 mit dem Direct-Air-Capture-Verfahren direkt aus der Umgebungsluft ziehen zu können.

Um das Risiko künftiger Preissteigerungen und Preisvolatilität zu reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, ist ein starker Anstieg der Energieinvestitionen erforderlich. Die Investitionen in saubere Energie steigen im STEPS von heute 1,3 Billionen USD auf über 2 Billionen USD im Jahr 2030, müssten im NZE-Szenario zu diesem Zeitpunkt jedoch mehr als 4 Billionen USD betragen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, neue Investoren im Energiesektor anzuziehen. Die Regierungen sollten eine Führungsrolle einnehmen und die strategische Richtung vorgeben. Die erforderlichen Investitionen gehen jedoch weit über die Möglichkeiten der öffentlichen Finanzen hinaus. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, auch die enormen Ressourcen der Märkte zu nutzen und privaten Akteuren Anreize zu bieten, ebenfalls einen Beitrag zu leisten. Für jeden weltweit für fossile Brennstoffe ausgegebenen US-Dollar werden heute 1,5 USD für saubere Energietechnologien aufgewendet. 2030 werden im NZE-Szenario für jeden US-Dollar, der weltweit für fossile Energieträger ausgegeben wird, 5 USD für saubere Energieversorgung und weitere 4 USD für Effizienz und Maßnahmen im Endverbrauch aufgewendet.

Fossile Energieträger dürften ihren Zenit schon sehr bald erreicht haben.

 Die Defizite bei den Investitionen in saubere Energie sind in den aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern am größten, ein besorgniserregendes Signal angesichts des projizierten raschen Anstiegs ihrer Nachfrage nach Energiedienstleistungen. Mit Ausnahme von China ist der jedes Jahr in saubere Energie investierte Betrag in den aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern seit dem Abschluss des Pariser Abkommens 2015 konstant geblieben. Die Kapitalkosten einer Photovoltaikanlage waren 2021 in den wichtigsten aufstrebenden Volkswirtschaften zwei- bis dreimal so hoch wie in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und China. Der derzeitige Anstieg der Kreditkosten könnte die mit solchen Projekten verbundenen Finanzierungsherausforderungen trotz der günstigen Kostenstruktur der Projekte noch verschärfen. Um die Klimafinanzierung zu erhöhen und die verschiedenen gesamtwirtschaftlichen oder projektspezifischen Risiken, die Investoren abschrecken, anzugehen, sind verstärkte internationale Anstrengungen erforder­lich. Breit angelegte nationale Transformationsstrategien haben einen enormen Wert. Das gilt beispielsweise für die Just Energy Transition Partnerships mit Indonesien, Südafrika und anderen Ländern, die internationale Unterstützung und ambitionierte nationale politische Maßnahmen verbinden und dabei die Energiesicherheit und die sozialen Auswirkungen des Wandels berücksichtigen.

Das Tempo, in dem Investoren auf umfassende und glaubwürdige Transformationskonzepte reagieren, hängt in der Praxis von zahlreichen Detailfragen ab. Lieferketten sind störanfällig, und Infrastruktur und Fachkräfte sind nicht immer verfügbar. Genehmigungsvorschriften und -fristen sind häufig komplex und ihre Einhaltung kostet Zeit. Klare Verfahren für die Projektgenehmigung mit ausreichenden Verwaltungskapazitäten sind von entscheidender Bedeutung, um die Durchführung tragfähiger investierbarer Projekte – sowohl für saubere Energie als auch für Effizienzsteigerung und Elektrifizierung – zu beschleunigen. Unsere Analyse hat ergeben, dass die Genehmigung und der Bau einer einzigen elektrischen Freileitung im Übertragungsnetz 13 Jahre dauern kann, wobei einige der längsten Vorlaufzeiten in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften verzeichnet werden. Die Erschließung neuer Lagerstätten von kritischen Mineralien nimmt durchschnittlich mehr als 16 Jahre in Anspruch, wobei die Genehmigungs- und Finanzierungsaspekte 12 Jahre dauern und der Bau 4–5 Jahre.

Wenn die Investitionen in saubere Energien nicht beschleunigt werden, wie dies im NZE-Szenario vorgesehen ist, sind höhere Investitionen in Öl und Gas notwendig, um erneute Preisschwankungen zu vermeiden. Dies würde allerdings das 1,5-Grad-Ziel gefährden. Im STEPS werden bis 2030 im Durchschnitt jährlich fast 650 Mrd. USD für Upstream-Investitionen in Öl und Erdgas ausgegeben, ein Anstieg um mehr als 50% gegenüber den letzten Jahren. Diese Investitionen sind mit wirtschaftlichen und ökologischen Risiken verbunden und können nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Trotz der in diesem Jahr verzeichneten hohen Sondergewinne investieren heute nur einige Produzenten im Mittleren Osten mehr in den Upstream-Bereich als vor der Coronapandemie. Angesichts der Sorgen über steigende Kosten legt die Schieferöl- und Schiefergasindustrie in den Vereinigten Staaten heute mehr Wert auf Kapitaldisziplin als auf Produktionswachstum. Das bedeutet, dass die Hauptquelle des jüngsten Wachstums der Öl- und Gasförderung an Dynamik verliert.

Der Ausfall der fossilen Brennstoffe aus Russland muss kurzfristig durch Produktion anderswo ersetzt werden – selbst in einer Welt, die bis 2050 Klimaneutralität erreichen will. Die beste kurzfristige Lösung besteht darin, Projekte mit kurzen Vorlaufzeiten einzuleiten, die Öl und Gas rasch auf den Markt bringen, sowie einen Teil der 260 Mrd. m3 Gas abzufangen, die jedes Jahr durch Abfackeln und Methanlecks verschwendet und an die Atmosphäre abgegeben werden. Doch um die heutige Krise dauerhaft zu überwinden, muss die Nachfrage nach fossilen Energieträgern sinken. Viele Finanzorganisationen haben sich Ziele gesetzt und Pläne ausgearbeitet, um ihre Investitionen in diese Brennstoffe zu reduzieren. Deutlich zu wenig Bedeutung wird aber Zielen und Plänen zur Steigerung der Investitionen in saubere Energien beigemessen, ebenso wie der Frage, welche Anreize der Staat diesbezüglich setzen kann.

Russlands Invasion in die Ukraine führt zu einer weitreichenden Neuorientierung des globalen Energiehandels, die die Position Russlands deutlich schwächt. Alle auf fossilen Brennstoffen basierenden Handelsverbindungen Russlands mit Europa wurden letztendlich in unseren früheren Szenarien durch das europäische Netto-Null-Emissionsziel beeinträchtigt. Infolge seiner relativ niedrigen Lieferkosten verlor Russland jedoch nur allmählich an Boden. Jetzt ist der Bruch in einer Geschwindigkeit eingetreten, die nur wenige für möglich gehalten haben. Dieser Ausblick geht davon aus, dass mehr russische Ressourcen nach Osten zu asiatischen Märkten geleitet werden, dass Russland jedoch nicht dazu in der Lage ist, Märkte für alle Handelsströme zu finden, die früher nach Europa gingen. Die Prognose für Russlands Ölförderung im Jahr 2025 fällt nun um 2 Mio. Barrel pro Tag niedriger aus als im WEO 2021 und die Gasförderung geht um 200 Mrd. m3 zurück. Die längerfristigen Aussichten werden nicht nur durch die unsichere Nachfrageentwicklung eingetrübt, sondern auch durch den begrenzten Zugang zu internationalem Kapital und Technologien, die für schwerer zu­gängliche Felder und anspruchsvolle LNG-Projekte erforderlich sind. Die russischen Exporte von fossilen Brennstoffen erreichen in keinem unserer Szenarien wieder das Niveau von 2021 und der Anteil des Landes am internationalen Handel mit Öl und Gas geht im STEPS bis 2030 um die Hälfte zurück.

Russlands Neuorientierung auf asiatische Märkte ist im Fall von Erdgas besonders herausfordernd, weil die Marktchancen für umfangreiche zusätzliche Lieferungen an China begrenzt sind. Russland plant neue Pipelineverbindungen nach China, insbesondere die mit einer hohen Transportkapazität ausgestattete Pipeline „Kraft Sibiriens 2“ durch die Mongolei. Unsere Nachfrageprojektionen für China lassen jedoch erhebliche Zweifel an der Tragfähigkeit einer weiteren groß angelegten Erdgasverbindung mit Russland aufkommen, sobald die bereits bestehende Kraft Sibiriens-Pipeline ihre volle Kapazität erreicht hat. Im STEPS verlangsamt sich das Wachstum der chinesischen Gasnachfrage zwischen 2021 und 2030 auf 2% pro Jahr, im Vergleich zu einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 12% seit 2010. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Politik bei der Strom- und Wärmeerzeugung zunehmend auf erneuerbare Energien und Elektrifizierung anstelle von Gas setzt. Die chinesischen Importeure haben sich bereits erfolgreich um neue langfristige Verträge über LNG-Lieferungen bemüht und die vereinbarten Liefermengen reichen im STEPS aus, um die projizierte Nachfrage Chinas bis in die 2030er Jahre zu decken.

Einer der Effekte von Russlands Vorgehen besteht darin, dass die Phase des raschen Wachstums der Erdgasnachfrage zu Ende geht. Selbst im STEPS, dem Szenario, das den höchsten Gasverbrauch projiziert, steigt die globale Nachfrage zwischen 2021 und 2030 um weniger als 5% und stagniert anschließend bis 2050 unverändert bei rd. 4.400 Mrd. m3. Folgende Faktoren dämpfen den Ausblick: kurzfristig höhere Preise, eine schnellere Einführung von Wärmepumpen und sonstigen Effizienzmaßnahmen, ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien und sonstiger flexibler Lösungen im Stromsektor sowie in einigen Fällen ein etwas längerer Einsatz von Kohle. Im STEPS wird die für 2030 projizierte Erdgasnachfrage in den Vereinigten Staaten durch den Inflation Reduction Act im Vergleich zu den letztjährigen Projektionen um mehr als 40 Mrd. m3 gesenkt, wodurch Kapazitäten für den Export frei werden. Eine strengere Klimapolitik beschleunigt Europas Strukturwandel weg vom Gas. Die Preise werden Mitte der 2020er Jahre durch neue Versorgungsquellen gesenkt und LNG wird für die Gasversorgungssicherheit noch wichtiger. Die Wachstums­dynamik des Erdgasverbrauchs hat sich in den Entwicklungsländern jedoch verlangsamt, insbesondere in Süd- und Südostasien, was die Bedeutung von Gas als Übergangsbrennstoff verringert. Die im STEPS dieses Jahres vorgenommene Abwärtskorrektur der Gasnachfrage bis 2030 ist zum größten Teil auf einen schnelleren Übergang zu sauberer Energie zurückzuführen; wobei etwa ein Viertel daraus resultiert, dass Gas durch Kohle und Öl ersetzt wird.

Um die Zuverlässigkeit und Bezahlbarkeit zu bewahren und zugleich die Emissionen zu reduzieren, ist ein neues Energiesicherheitskonzept erforderlich. Der Ausblick enthält zehn Grundsätze als Leitfaden für Politikverantwortliche in der Periode, in der die Bedeutung des fossilen Brennstoffsystems sinkt und gleichzeitig das nachhaltige Energiesystem expandiert. Obwohl sich der jeweilige Beitrag der beiden Systeme im Verlauf der Energiewende ändert, müssen sie gut nebeneinander funktionieren, um die von den Verbrauchern benötigten Energiedienstleistungen zu erbringen. Die Energiesicherheit in den Stromsystemen der Zukunft erfordert neue Instrumente und flexiblere Ansätze und Mechanismen, um ausreichende Kapazitäten zu gewährleisten. Die Stromerzeuger müssen schneller reagieren, die Verbraucher müssen stärker vernetzt und anpassungsfähiger sein und die Netzinfrastruktur muss ausgebaut und digitalisiert werden. Inklusive, am Menschen orientierte Ansätze sind entscheidend, damit vulnerable Bevölkerungsgruppen die mit sauberen Technologien verbundenen Vorlaufkosten bewältigen können und die Vorteile der Transformation breiten Teilen der Gesellschaft zugutekommen. Selbst wenn die Transformation den Verbrauch fossiler Energieträger reduziert, bleiben Teile des fossilen Brennstoffsystems für die Energiesicherheit wichtig, wie beispielsweise Gaskraftwerke für Spitzenlaststrom oder Raffinerien für die verbliebenen Nutzer von Verkehrskraftstoffen. Ein ungeplanter oder vorzeitiger Abbau dieser Infrastruktur könnte negative Folgen für die Energiesicherheit haben.

Bei der Überwindung der heutigen Energiekrise müssen neue Schwachpunkte vermieden werden, die sich aus hohen und volatilen Rohstoffpreisen oder stark konzentrierten Lieferketten für saubere Energie ergeben. Wenn diese Fragen nicht angemessen angegangen werden, könnten sie die Energiewende verzögern oder verteuern. Die Nachfrage nach kritischen Mineralien für saubere Energietechnologien dürfte stark steigen; dem APS zufolge wird sie sich bis 2030 mehr als verdoppeln. Kupfer weist in absoluten Zahlen den größten Anstieg auf, andere Rohstoffe verzeichnen jedoch viel größere Wachstumsraten, insbesondere Silizium und Silber für Photovoltaik, seltene Erden für Windgeneratoren und Lithium für Batterien. Kontinuierliche technische Innovation und Recycling sind von ent­scheidender Bedeutung, um die Märkte für kritische Mineralien zu entlasten. Die starke Abhängigkeit von einzelnen Ländern wie China bei der Lieferung dieser Rohstoffe und bei vielen Lieferketten für saubere Technologien stellt ein Risiko für die Transformation dar. Das Gleiche gilt jedoch auch für bestimmte Diversifizierungsoptionen, die die Vorteile des Handels beseitigen.

Die Energiemärkte und energiepolitischen Maßnahmen haben sich als Reaktion auf Russlands Invasion in die Ukraine verändert, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern für Jahrzehnte. Die ökologischen Gründe für saubere Energie brauchten nicht bekräftigt zu werden, doch die wirtschaftlichen Argumente für bezahlbare saubere Technologien mit wettbewerbsfähigen Kosten haben jetzt mehr Gewicht – ebenso wie der Aspekt der Energiesicherheit. Die gemeinsame Ausrichtung von wirtschaftlichen, klima- und sicherheitspolitischen Prioritäten bewegt sich aktuell in eine positive Richtung für die Weltbevölkerung und den Planeten. Es muss jedoch noch viel mehr getan werden und es ist von entscheidender Bedeutung, alle in diese dynamische Ent­wicklung einzubeziehen, insbesondere in einer Zeit, in der geopolitische Spannungen im Energie- und Klimabereich immer deutlicher zutage treten. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, um sicherzustellen, dass eine breite Koalition von Ländern ein Interesse an der neuen Energiewirtschaft hat. Es ist möglich, dass der Übergang zu einem sichereren und nachhaltigeren Energiesystem nicht reibungslos verläuft. Die heutige Krise macht jedoch eindeutig klar, weshalb wir die Entwicklung vorantreiben müssen.

Den kompletten World Energy Outlook 2022 sowie die detaillierte Analyse des Erneuerbaren-Sektors finden Sie beigefügt als PDF zum Download.

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Renewables-Analyse 2022
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