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Freitag, 29. März 2024
Editorial E&W 5/2023

Mentaler Frühjahrsputz

Wolfgang Schalko | 07.05.2023 | Bilder | |  Meinung
Ich muss zugeben, dass ich hochgradig irritiert bin. Allein wegen der Themen, die momentan Länge mal Breite diskutiert werden und sich zum Teil völlig unverdienterweise mit jeder Menge Aufmerksamkeit schmücken dürfen. Mehr aber noch wegen der Art und Weise, wie diese Themen durchgekaut werden, denn vom Menschen als vernunftbegabtes Wesen scheinen hier oft nur noch marginale Reste übrig geblieben zu sein. Einige besondere Leckerbissen betreffen auch die Elektrobranche, wie etwa bei der Energiewende, der Speichermedienvergütung, der ORF-Finanzierung, dem Wettstreit zwischen Elektrobilität und eFuels oder dem Arbeitsmarkt/Fachkräftemangel – und die ihren Niederschlag in der aktuellen E&W-Printausgabe finden.

Verfolgt man die Debatten und die Argumentationslinien, die hüben wie drüben vorgebracht werden, dann erscheinen zumeist beide Seiten halbwegs plausibel. Und das ist mitunter schon ausreichend, um einen grundlegenden Wandel zu verhindern oder notwendige Entwicklungen zumindest zu bremsen. Um bei den oben genannten Beispielen zu bleiben: Wenn also der MFG Landtagsklub OÖ in einer Presseaussendung mit der Frage titelt „Teuer, unsicher und nicht durchdacht: Ist die Energiewende eine Harakiri-Aktion?” und dann ausführt „Nur wenn wir Wind- und Solarenergie in einem entsprechenden Umfang und kostengünstig speichern können, ist die Energiewende ohne Kollateralschäden an der Bevölkerung und der Wirtschaft zu schaffen”, dann verleitet das zum Glauben, dass es tatsächlich „nicht ohne Kohle und Gas geht” bzw. „nicht das Tempo, sondern die Versorgungssicherheit im Vordergrund stehen muss” – wie ebenfalls in der Presseaussendung genannt. Dass wir angesichts der fortschreitenden Erderwärmung genau eines nicht haben, nämlich Zeit, bleibt hingegen unerwähnt.

Unabhängig vom spezifischen Thema geht es im Kern der Sache immer um die Veränderung – manchmal schleichend, manchmal abrupt, manchmal marginal. manchmal radikal. Der problematischste Faktor dabei ist stets der Mensch: Denn dieser ist bekanntermaßen ein Gewohnheitstier und verharrt somit wesentlich lieber in seinen althergebrachten Denkmustern, als sich dem Neuen zuzuwenden, das zumeist erst erarbeitet werden will – wohl wissend, dass in vielen Bereichen die Veränderung unumgänglich ist und dass diese heute leichter zu bewerkstelligen wäre als morgen. Wie lassen sich also Menschen „mitnehmen” bzw. für eine Sache gewinnen? Ich glaube ja, dass wir hier oft die falschen (Ausgangs-)Fragen stellen: Anstelle darüber zu grübeln, wie eine Veränderung in der Praxis aussehen oder umgesetzt werden könnte, sollte man sich vielleicht fragen, was passieren muss, damit sich nichts ändert. Auch dazu ein Beispiel: Das Bundesgremium des Elektro- und Einrichtungsfachhandels hat kürzlich eine Neuaufstellung der Speichermedienvergütung gefordert und eine Abkehr von produktbezogenen Abgaben mit den Ergebnissen einer Studie untermauert. Hauptargumente: Das aktuelle System sei ineffizient, belaste den Handel über Gebühr und könne die adäquate Abgeltung der Künstler auf Sicht nicht sicherstellen. Die Verwertungsgesellschaften reagierten quasi reflexartig – nicht im Sinne des Bundesgremiums, versteht sich: Es handle sich um ein hervorragend funktionierendes, treffsicheres Modell, sei für den Handel ohnehin nur ein Durchlaufposten, jedoch eine wesentliche Existenzgrundlage heimischer Kunstschaffender und „dass Streaming die Privatkopie ablöst, kann aus den regelmäßig durchgeführten Studien nicht abgeleitet werden.” Der gemeinsame Nenner ist in diesem Fall die faire Unterstützung der Künstler – die Auffassungsunterschiede beziehen sich darauf, ob bzw. was passieren muss, damit sich für die Künstler nichts ändert.

In manchen Bereichen ist es dennoch unumgänglich, dass sich etwas ändert, und mitunter sogar angebracht, dies explizit zu benennen: Paradoxerweise betrifft dies einen meiner Ausgangspunkte für dieses Editorial: In einem „WELTjournal PLUS” des ORF ging es unlängst um die perfiden Methoden von Konzernen und Industrien, wider besseres Wissen mit gezielter Falschinformation über Missstände und Gefahren hinwegzutäuschen bzw. sich selbst in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Perfide deshalb, weil dafür wissenschaftliche Methoden angewandt und Studien durchgeführt werden, die auf den ersten Blick – und für den Otto-Normalverbraucher auch auf den zweiten und dritten – als profund erscheinen. So wird durch „Gegenwissenschaft” der ursprünglichen Forschung der Wind aus den Segeln genommen, was den Unternehmen zumeist Zeit und damit längerfristig Gewinne verschafft. Mein Problem daran: Diese hervorragend recherchierte und wirklich sehenswerte Dokumentation ist – wie alle dortigen Inhalte – nach einer Woche aus der ORF-TVthek verschwunden. Was für eine völlig irrationale Verschwendung, die der Gesetzgeber im Zuge der ORF-Gesetzesreform nun Gottseidank korrigiert – so wie übrigens auch den unsäglichen Missstand, dass sich manche (mittlerweile gar nicht wenige) der Finanzierung des Gemeinguts „Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk” entzogen haben.

Was mich zu einem weiteren – vielleicht sogar dem wichtigsten – Punkt bringt, wenn es darum geht, das eigene Oberstübchen von Altlasten zu befreien: „Scheinargumente”. Wie man diese erkennt und wie omnipräsent diese sind, machte der BOKU-Professor Reinhard Steurer beim diesjährigen PV-Kongress mit seinem Vortrag über „Scheinklimaschutz“ deutlich (Das Video finden Sie am Ende des Beitrags zum Nachsehen). Darin entlarvt er pointiert das „So-tun-als-ob“, dem Konzerne, Nationalstaaten, Gemeinden und jeder Einzelne von uns nur allzu gerne verfallen. Eine aktuelle Debatte, in der sich ebenfalls mindestens so viel Schein wie Sein findet, ist jene rund um die eFuels – von deren Verfechtern (u.a. Kanzler Nehammer) auch gerne als Basis für „grüne Verbrenner” bezeichnet. Wenn es um deren alternative Positionierung zur Elektromobilität geht (die immer noch beste Variante des grundsätzlich schlechten Individualverkehrs), dann sei auf meine vorigen Ausführungen zum Mensch als Gewohnheitstier verwiesen sowie auf Harald Lesch – jenen Mann, der in seinen nächtlichen Astro-Sendungen Schwarze Löcher verständlich erklären konnte und der nun in seinem YouTube-Kanal eFuels auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse sprichwörtlich „zerlegte” (ebenfalls am Ende des Beitrags zu finden). Man sollte sich also – ganz im Sinne des Achtsamkeitsprinzips – stets auch fragen, was wirklich sein muss. Und daran anknüpfend: Wie schmerzvoll ist eine Maßnahme bzw. Veränderung? Und wie schmerzvoll ist es, sie nicht zu ergreifen? Tipp bei der Beantwortung: Gerne auch längerfristig gedacht.

Reinhard Steurer über „Scheinklimaschutz“:

Harald Lesch über eFuels:

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