Der Schein trügt nicht
Die Energiewende ist nicht nur das Gebot der Stunde, sie ist – leider – auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Obwohl spätestens seit der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges deutlich mehr getan wird als zuvor, so beschleicht einen immer noch das Gefühl, dass eigentlich wesentlich mehr möglich wäre und dass all das, was passiert, viel zu langsam geht.Die Problematik veranschaulicht der jüngste Bericht der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA): Mit einer Gesamtkapazität von 3.870 GW weltweit wurde im Jahr 2023 ein neuer Rekord bei erneuerbaren Energien im Stromsektor aufgestellt. Allerdings war dieses Wachstum sehr ungleichmäßig auf die Länder verteilt, womit das Ziel einer Verdreifachung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2030 ein Stück weiter in die Ferne gerückt ist. Beim 473 GW umfassenden Ausbau der erneuerbaren Energien steht Asien mit einem Anteil von 69% (326 GW) neuerlich klar an der Spitze – allein China ist für einen Kapazitätszuwachs um 63% (auf 297,6 GW) verantwortlich.Am anderen Ende der Skala steht die überwiegende Mehrheit der Entwicklungsländer: Auch Afrika verzeichnete 2023 ein gewisses Wachstum, im internationalen Vergleich schneidet der Kontinent mit einem Anstieg von 4,6% auf eine Gesamtkapazität von 62 GW aber schlecht ab.
IRENA-Generaldirektor Francesco La Camera mahnte daher: „Die Daten sind ein Anzeichen dafür, dass der Fortschritt nicht schnell genug verläuft, um die gemäß dem 1,5°C-Szenario des World Energy Transitions Outlook von IRENA erforderlichen 7,2 TW an erneuerbarer Energie innerhalb der nächsten sieben Jahre zuzubauen. Es bedarf dringender politischer Maßnahmen und einer globalen Kurskorrektur, um strukturelle Hindernisse erfolgreich zu überwinden und Wertschöpfung vor Ort in Schwellen- und Entwicklungsländern zu schaffen, die bei diesem Fortschritt großteils das Nachsehen haben.“
Ein gutes Stichwort, das ich an dieser Stelle gerne aufgreifen würde, da es von Erneuerbaren-Gegnern und -Bremsern immer wieder ins Treffen geführt wird: Durch den Ausbau von Photovoltaik, Windkraft & Co. würde man lediglich die chinesische Wirtschaft unterstützen und der eigenen schaden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass viele Produkte und Komponenten, die für den Erneuerbaren-Ausbau benötigt werden, aus fernöstlicher Fertigung stammen – mit all den damit verbundenen unliebsamen Nebengeräuschen (Arbeitsbedingungen, seltene Erden, etc.). Doch was wären die Alternativen? Warten auf die Kokospalmen im Alpenvorland? Wohl kaum… Und bei näherer Betrachtung zeigt sich z.B. bei der Photovoltaik: Abseits mancher Produkte wie PV-Module oder Batteriespeicher findet die Wertschöpfung in sehr hohem Maße bzw. fast ausschließlich in unseren Breiten statt. Das gilt für die Planung der Anlage über deren Errichtung bis hin zur Wartung und dem Recycling nach Ende der Lebensdauer (gleichbedeutend mit der Rückgewinnung und Wiedernutzbarmachung von wertvollen Elementen). Denn auch in in dieser Hinsicht trügt der Schein nicht: Wir können etwas tun. Und wir müssen!
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