Erlebnis schlägt Besitz
Dominik Schebach Sommer, Sonne, Erholung. Nach einem anstrengenden Frühjahr lechzt wohl nun jeder nach der Sommerpause. Bevor das Herbstgeschäft losgeht, sollte wir alle nochmals tief durchatmen. Denn das zweite Halbjahr verspricht keine schnelle Besserung. Da wird man sich seine Kräfte im Herbst gut einteilen müssen.
Denn die Prognosen der Wirtschaftsforscher gehen von einer Stagnation für das Jahr 2024 aus. Die Industrie schwächelt und auch der private Konsum bleibt weit hinter den Erwartungen. Einerseits halten sich die Konsumenten mit ihren Einkäufen zurück, andererseits sieht sich der Handel einem eher ungewohnten Konkurrenten gegenüber, den Reisebüros – und zwar europaweit. Wie die jüngste Erhebung von Eurostat zeigt, geben die Europäer derzeit ihr Geld eher für Reisen, anstatt für Produkte und Dienstleistungen aus. In diesem Fall macht Stimmung die Konjunktur und Erleben schlägt Besitz. Aus Sicht der Konsumenten ist das verständlich. Die Grundbedürfnisse sind weitgehend gedeckt und die Steckdosen besetzt. Jetzt hungert jeder nach Erlebnissen, und bei diesen unsicheren Rahmenbedingungen, gibt man dem Urlaub den Vorzug vor dem neuen Fernseher. Das Ausscheiden der österreichischen Nationalmannschaft bei der EM mag sich in diesem Zusammenhang zwar ebenfalls auf die Stimmung drücken, trägt aber nicht weiter zur wirtschaftlichen Gesamtsituation bei.
Der Handel muss wegen der schlechten Stimmung allerdings nicht die Flinte ins Korn werfen. Denn die Situation ist nicht neu. Dass sich die Branche immer wieder mit Wandel, Veränderung und herausfordernden Rahmenbedingungen herumschlagen musste, zeigt ein Blick ins Archiv. Vor genau 20 Jahren titelte die E&W „Quo vadis Elektrobranche?“. Unter dem Eindruck von E-Commerce, Geizhals und internationalen Online-Händlern suchte auch zu dieser Zeit die Branche nach neuen Antworten und Wegen – die einen taten dies aktiver, die anderen mehr getrieben. In einem Interview sagte damals Horst Neuböck einen Satz, der auch heute noch seine Gültigkeit hat: „Der Mensch liebt den Fortschritt und hasst die Veränderung.“ Dabei sind Fortschritt und Veränderung nur die zwei Seiten derselben Medaille. Fortschritt mag deswegen einen positiven Beigeschmack haben, weil wir diesen als etwas Selbstbestimmtes und Gestalterisches wahrnehmen, während uns die Veränderung aufgezwungen wird. Dabei ist es klar, dass jeder Fortschritt auch Veränderungen bringt. Und damals wie heute musste man sich überlegen, wohin man sein Geschäftsmodell entwickelt.
Eine spannende Geschichte durfte ich für diese Ausgabe in Kärnten bei Ingo Bender recherchieren (S. 50). Der Geschäftsführer des Jura Stores in Klagenfurt nutzt die Softwarelösung Jura Pocket Pilot 2.0 um für sein Geschäft ein weiteres Standbein aufzubauen. D.h. nicht, dass alle sofort dieses Geschäftsmodell kopieren sollen – nicht jeder hat die Kunden bzw. das passende Einzugsgebiet. Aber es ist ein Anstoß, den Handel neu zu denken. Wenn derzeit Erlebnis Besitz schlägt, dann muss der Handel eben auch Erlebnis bieten. Darüber nachzudenken kann sich lohnen, man sollte sich davon allerdings nicht den Urlaub verderben lassen. Deswegen wünsche ich Ihnen einen schönen Sommer und tanken Sie viel Energie für den Herbst!
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