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Dienstag, 8. Oktober 2024
Wenn die Argumente fehlen

Die emotionale Abkürzung „Hausverstand“

Hintergrund | Dominik Schebach | 22.09.2024 | Bilder | |  Meinung
Ein Appell an den Hausverstand entpuppt sich nur zu oft als eine emotionale Abkürzung, weil die Argumente fehlen. Ein Appell an den Hausverstand entpuppt sich nur zu oft als eine emotionale Abkürzung, weil die Argumente fehlen. In den vergangenen Monaten hatte er Konjunktur: der Hausverstand. Und prinzipiell ist es auch nichts Schlechtes, wenn man bei der Lösung eines Problems auf die Summe seiner Erfahrungen und seine Fähigkeit zum kritischen Denken zurückgreift. Wenn der Gesprächspartner allerdings allzu oft an den Hausverstand appelliert, sollte man misstrauisch werden. Es zahlt sich also aus, die Verwendung des Begriffs „Hausverstand“ ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.

Oftmals wird er verklärt. Der Hausverstand, der wider allen Erwartungen den Weg zur richtigen Entscheidung weist, oder in den Wirren einer immer komplexeren Welt Halt und Sicherheit gibt. In jüngster Zeit hat der Hausverstand allerdings nicht ganz zu Unrecht eine schlechte Presse erhalten. Denn in der Kommunikation diverser politischer Parteien wird gern mit dem Hausverstand argumentiert, wenn es darum geht unangenehme Maßnahme aufzuschieben oder abzuschwächen – ein prominentes Beispiel aus jüngster Zeit war die „Klimapolitik mit Hausverstand“, weil die notwendigen Maßnahmen zu teuer oder emotional zu anstrengend seien. Ich möchte mich hier allerdings nicht auf die Klimapolitik politischer Parteien einschießen, das tun schon andere. Vielmehr frage ich mich, warum der Begriff Hausverstand als Argument in einer Diskussion überhaupt so leicht zu missbrauchen ist.

„Grundlegende Urteilskraft“

In der Psychologie und Philosophie wird der Hausverstand oft mit dem gesunden Menschenverstand zusammengefasst und meistens als „grundlegende Urteilskraft“ gesehen. Der deutsche Psychologe und Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Gerd Gigerenzer gibt dazu vier Fähigkeiten an, die diesen gesunden Menschenverstand oder eben Hausverstand ausmachen (wikipedia):

Damit wären wir bei einer Person, die fähig ist, einen Sachverhalt aufgrund ihrer grundlegenden Intelligenz und Erfahrung zu beurteilen und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen, auch wenn ihr das spezielle Fachwissen nicht unmittelbar zur Verfügung steht.

Das fehlende Argument

Problematisch wird es dann, wenn man in der Diskussion den Hausverstand gegen den „Expertenverstand“ ausspielt, der – so die versteckte Andeutung – als rein theoretisches Konstrukt mit der Lebensrealität der normalen Menschen nichts zu tun hätte. Das geht, weil der Hausverstand trotz der oben genannten zugrundeliegenden Fähigkeiten so wunderbar nebulös ist. (Und sich andererseits kaum ein Normalbürger ernsthaft mit der Entstehung wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnissen beschäftigt.)

Für mich verbinden sich im Wort Hausverstand prinzipiell zwei sehr positiv besetzte Begriffe: Einerseits das Haus. Hier schwingen automatisch Gefühle wie Geborgenheit und Vertrautheit sowie Ursprung und der Glaube an eine feste Basis mit. Dinge, die einem Halt geben und die jeder gerne hat. Verstand nimmt ebenfalls (fast) jeder von uns für sich in Anspruch. Schließlich braucht man diesen, um die Probleme des Alltags zu bewältigen. Damit wäre der Hausverstand die allgemeine bzw. von Haus aus vorhandene und in der Praxis geerdete Fähigkeit zur Problemlösung. – Wer will das nicht für sich?

Wenn ein Politiker oder Wirtschaftsboss nun also an den allgemeinen Hausverstand appelliert, dann will er eine gemeinsame Basis mit seinem Gegenüber suggerieren. Er stellt sich auf dieselbe Stufe mit seinem Gesprächspartner und misst ihm im selben Atemzug – in Ego-stärkender Weise – einige wichtige grundlegende Fähigkeiten zu, während er seine Behauptungen aufstellt. Den Beweis für seine Behauptung bleibt er allerdings in der Regel schuldig oder zieht sich auf Scheinargumente zurück. Vielmehr soll durch die Vereinnahmung das kritische Hinterfragen, die Skepsis ausgeschaltet und eine ehrliche Bewertung der Umstände verhindert werden. Kurz, wer sich auf den Hausverstand beruft, wählt eine emotionale Abkürzung, weil ihm die Argumente fehlen.

Die notwendige Ergänzung

Deswegen möchte ich gerne der oben genannten Liste der grundlegenden Fähigkeiten zum Hausverstand bzw. zum gesunden Menschenverstand einen Punkt hinzufügen: Die Fähigkeit und den Willen, Informationen aufzunehmen, zu bewerten und zu verarbeiten, auch wenn diese dem augenblicklichen Weltbild widersprechen. Damit sollten solche emotionalen und intellektuell unredlichen Appelle an den Hausverstand, wie wir sie in letzter Zeit immer wieder hören, hoffentliche ins Leere laufen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass man Appelle an den Hausverstand grundsätzlich hinterfragen sollte. Denn Fakten brauchen keine Nebelgranaten. Das mag unangenehm sowie aufwändig sein. Langfristig ist es allerdings deutlich billiger.

Bilder
Ein Appell an den Hausverstand entpuppt sich nur zu oft als eine emotionale Abkürzung, weil die Argumente fehlen.
Ein Appell an den Hausverstand entpuppt sich nur zu oft als eine emotionale Abkürzung, weil die Argumente fehlen.
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