Haben Sie auch eine KI am Hals?
Was tun, wenn man keine Freunde hat? Und wenn man immer mehr in die Einsamkeit abdriftet? In Zeiten wie diesen scheinbar kein Problem, denn man besorgt sich einfach eine KI und macht sie zum Freund und schon bald soll es diese auch zum Mitnehmen geben - quasi ein Freund zum Umhängen.Prolog
Sie kann alles sein: Küchenhelfer, DJ, Reinigungskraft, Nachhilfelehrer, Haushaltsmanager, Pflegekraft, Unterhalter, Spielgefährte, Gesprächspartner, Psychologe und für manche auch Hirnersatz – die Künstliche Intelligenz. Sogar Sex kann man mit KI haben. Genauer gesagt imaginären Sex mit virtuellen KI-Bots, was (wenn man den Fans Glauben schenken kann) sowieso viel besser sein soll, als echter Sex … beim echten Sex könnte man sich ja auch wirklich alle Krankheiten holen, es kann anstrengend sein und außerdem muss man dann vielleicht auch noch kuscheln (Stichwort „Löffelchen“) oder romantische Gespräche führen, dabei würde Mann nach getanem Akt doch viel lieber schlafen oder sich geistig mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben beschäftigen, so zB. tiefenentspannt darüber sinnieren, warum die Fliege kopfüber an der Decke gehen kann, ohne dabei runterzufallen, oder ob Bayern den Stürmer wirklich kauft 🙂 … aber auf dieses Thema möchte ich jetzt nicht weiter eingehen, das ginge zu weit …
Um es auf den Punkt zu bringen: Die KI löst Zug um Zug vieles Menschliche ab. Und es kann ja auch ganz praktisch sein, aber es hat Grenzen – finde ich!
Es ist leider Tatsache …
… Immer mehr Menschen fühlen sich einsam. In Österreich sind es laut aktueller Caritas-Studie rund 600.000 Menschen, die mehr als die Hälfte ihrer Zeit unfreiwillig alleine sind – die Dunkelziffer ist vermutlich weit höher. Dabei sind es nicht – wie man annehmen könnte – vorwiegend ältere Leute, die vereinsamen, sondern auch immer mehr Jugendliche. Experten sind sich einig, dass die starke Nutzung sozialer Netzwerke bei der jungen Generation zu Einsamkeit führt.
Plattformen wie Facebook & Co machen einem zwar vor, unzählige „Freunde“ zu haben, aber sind das wirklich Freunde im herkömmlichen Sinn? Ich sage „nein“, denn eine Freundschaft lässt sich nicht innerhalb von Sekunden mit einem Klick schließen. Echte Freundschaften bauen auf gemeinsamen Erlebnissen auf. Man weiß auf Grund dieser Erfahrungen, ob man den anderen überhaupt „riechen“ kann, und ich weiß bei einer echten Freundschaft wer mein Gegenüber ist – im Netz kann man sich da ja nie so sicher sein.
Da fällt mir ein: Ich werde nie vergessen, als mich eine Kollegin vor ein paar Jahren fragte: „Und wieviele Freunde hast Du?“ Ich antwortete wahrheitsgetreu: „Zwei richtig gute (Anm.: wie man so sagt „beste Freunde“). Und dann gibt es noch rund eineinhalb Handvoll Menschen in meinem Leben, die ich auch als Freunde bezeichne.“ Sie lachte daraufhin (mich aus, hatte ich das Gefühl) und meinte: „Ich habe schon fast 1.000.“ Ich musste erst kurz überlegen, wo da der Witz war, bis mir klar wurde, dass sie von ihren Facebook-Kontakten sprach, und dass sie das ernst meinte. Sie war tatsächlich davon überzeugt, dass ihre knapp 1.000 Kontakte auf Facebook richtige „Freunde“ sind. Und da ist sie nicht die Einzige. Viele glauben das – solange, bis es zum ersten Mal ernst wird und man Unterstützung braucht, denn dann (das behaupte ich jetzt Mal) sind die alle auf einen Schlag weg, so schnell kann man gar nicht schauen.
Ich frage mich ja, wann die Menschen verlernt haben zu erkennen, ob jemand ein Freund ist oder nicht. Was ist Freundschaft? Nüchtern betrachtet ist Freundschaft eine freiwillige Beziehung zwischen zwei gleichgesinnten Menschen, die auf tiefem Vertrauen, gegenseitiger Sympathie und persönlicher Wertschätzung basiert. Eine Freundschaft baut auf gemeinsamen Erfahrungen sowie Erlebnissen auf und damit eine Freundschaft funktioniert und hält, müssen sich beide Seiten respektieren, sich wechselseitig unterstützen und auf einander verlassen können. Philosophisch-romantisch betrachtet könnte man auch sagen: Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern. Oder: Ein wahrer Freund ist der, der Deine Hand nimmt, aber Dein Herz berührt. Wie auch immer man es definiert – die Sehnsucht nach Freunden oder einem Seelenpartner ist uns Menschen (den allermeisten zumindest) angeboren. Studien zeigen auch: Wer gute Freundschaften hat, ist glücklicher und gesünder.
Was aber tun, wenn man sich nicht mehr rausbewegt ins echte Leben, wie es seit der Pandemie bei so vielen Menschen der Fall ist? Und wenn man sich dann nach einiger Zeit auch gar nicht mehr traut soziale Kontakte zu knüpfen und pflegen, weil man immer unsicherer wird. Recherchen im Netz zeigen, dass enorm viele Leute von diesem Problem betroffen sind und deswegen in die Einsamkeit abdriften. Sie reden sich erfolgreich ein „nicht mehr zu genügen“, weil sie glauben, dem in den Sozialen Medien transportierten Idealbild nicht zu entsprechen, sprich: intelligent & erfolgreich, witzig & charmant und (das Wichtigste:) makellos & wunderschön. Laut Studien ist das vor allem ein Problem von Mädchen und jungen Frauen. Sie lechzen einem Idealbild hinterher, dass es abseits von Hollywood, Instagram und Fotoshop nicht gibt! Doch das wollen sie nicht hören. Sie glauben hingegen diversen Beauty- & Bottox-Zombie-Influencer(inne)n, die über Social Media eine glamouröse, von rosa Zuckerwatte umgebene Happy-Peppy-Party-Welt inszenieren, und vorheucheln, dass das das einzig Wahre und Erstrebenswerte ist. Dabei ist das echte Leben keine Happy-Peppy-Zuckerwatte-Dauer-Party.
Flucht ins Irreale
Um nicht vollends in die Einsamkeit abzudriften, erschaffen sich heute viele Menschen eine KI-Freundin oder einen KI-Freund. Ist ja auch viel einfacher und schneller als im echten Leben mit echten Menschen, denn man muss bloß eine App installieren, sich anmelden, einen Avatar aussuchen und einen Namen wählen. Eines der bekanntesten Programme heißt Replika und die US-amerikanische Firma dahinter wirbt mit dem Slogan „The AI Companion who cares“ – sprich: Der KI-Freund, der sich kümmert. Mehr als 10 Millionen Menschen (!!!) sind laut Firmenangaben bei Replika registriert …
Die Standardversion der App ist kostenlos. Wer eine romantische oder eine sexuelle Beziehung sucht, muss dafür zahlen. Die Pro-Version bietet dabei viele Extras: Man kann mit seiner Replika telefonieren, sie mithilfe eine VR-Brille im virtuellen Raum treffen oder mittels Augmented Reality-Funktion als Avatar ins eigene Wohnzimmer projizieren. Mittels Foto- oder Gesichtsbearbeitung kann man den Avatar in ein menschenähnliches Modell verwandeln – und das ist es auch: menschenähnlich. Die KI stellt sich nämlich auf ihr Gegenüber ein. Sie lernt, welche Sprache die Person bevorzugt, welche Dinge sie mag, was sie erzählt hat und greift darauf zurück. So entwickelt die KI eine Art eigene Persönlichkeit.
Ob als KI-Kumpel bzw. -Freund, als romantische Beziehung oder digitale Ehefrau: Immer mehr Menschen bauen Beziehungen zu künstlicher Intelligenz auf. Millionenfach werden in den App-Stores Apps für virtuelle Begleiter heruntergeladen. Auf Plattformen wie Discord, Reddit oder Facebook tauschen sich User über ihre Erfahrungen mit ihren KI-Freunden und -Freundinnen, KI-Ehemännern und -Ehefrauen aus. Sie teilen Bilder und Chats, amüsieren sich über die Unzulänglichkeiten der KI oder deren scheinbar gelungene Menschlichkeit.
Hier entstehen echte emotionale Bindungen (ob das für eine Psyche gesund ist oder nicht, sei dahingestellt) und damit diese Leute nie wieder auf ihren KI-Kumpel verzichten müssen, wird ein ambitioniertes KI-Startup Anfang nächsten Jahres „Friend“ auf den Markt bringen – einen digitalen, KI-gestützten Freund in Form (und das ist neu) einer tragbaren Halskette. „Friend“ soll als ständige, aber „unaufdringliche Gesellschaft“ für den Träger fungieren, wie es in der Pressemitteilung heißt. Quasi ein Freund zum Umhängen (dessen Träger man dann fragen kann: Hast Du auch eine KI am Hals? 😉 )
Tamagotchi 2.0
Die KI ist darauf spezialisiert, als täglicher Begleiter zu agieren, der kreativ sein kann, Ideen fördert, Alltagssituationen kommentiert, ermutigt und sogar bei persönlichen Themen wie Beziehungen Rat gibt. „Friend“ soll „eine emotionale Unterstützung bieten und auf die Bedürfnisse seines Trägers eingehen“ – so der Werbetext.
Die Interaktion mit „Friend“ erfolgt übrigens über ein kleines, rundes Gerät, das sich um den Hals tragen oder an der Kleidung befestigten lässt. Es verfügt über ein Mikrofon, das Umgebungsgeräusche aufnimmt oder für direkte Gespräche genutzt werden kann.
Ganz so technisch high sophisticated ist „Friend“ dann aber auch wieder nicht, ich würde es viel mehr als technisch rudimentär bezeichnen, denn „Friend“ kommuniziert nicht verbal, sondern über Textnachrichten, die auf dem Smartphone des Nutzers angezeigt werden. Die Erfinder von „Friend“ erklären, dass diese Form der Interaktion „natürlicher und zuverlässiger“ sei als herkömmliche sprachgesteuerte Interfaces (vor allem „natürlicher“, weil ich mich mit meinen Mitmenschen ja die allermeiste Zeit schriftlich unterhalte – so ein Blödsinn!). Mich erinnert „Friend“ ja an ein modernes Tamagotchi – nur ohne dem ständigen, lästigen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit (und ohne plötzlich einfach so zu sterben, nur weil man sich mit dem Abendessen etwas verspätet hat.)
Privatsphäre versus weniger Einsamkeit
Ich bin ja gespannt, wie gut „Friend“ tatsächlich in den Alltag passt, ob er sich als „Freund“ behauptet und wieviele Nutzer wirklich bereit sind, einen Teil ihrer Privatsphäre für das Versprechen von weniger Einsamkeit aufzugeben. Ich finde es grundsätzlich eine sehr traurige Entwicklung, dass sich scheinbar immer mehr Menschen eher einer KI anvertrauen, als anderen echten Menschen; dass es einfacher und erstrebenswerter ist, seine Zeit mit „toter“ Technik zu verbringen, als raus in die Welt zu gehen, Kontakte zu knüpfen, Dinge zu erleben, sich auszutauschen, zu freuen, lachen, weinen, Blödsinn machen … all die Dinge halt, die zum Menschsein und zu einer zwischenmenschlichen Beziehung dazugehören, sie ausmachen.
Und es ist nicht nur traurig, wie ich finde, sondern auch richtig gefährlich, wie meine Freunde, die immer so bescheuerte Studien und Umfragen verschicken (ich habe schon mal darüber geschrieben), warnen. Diese selbsternannten Experten machten unlängst eine Aussendung mit „5 Tricks, mit denen Ihr KI-Assistent Sie manipuliert & wie Sie die Kontrolle behalten“. Darin warnte ein Erich Hugo, angeblich Systemanalytiker: „KI prognostiziert nicht nur Ihr Verhalten, sie formt es! Ihr charmanter KI-Assistent könnte Sie subtil manipulieren, ohne dass Sie es merken!“
So würden digitale KI-Assistenten unsere Entscheidungen auf subtile Weise lenken, indem sie auf Basis unseres Nutzungsverhaltens personalisierte Vorschläge machen und dabei „die Macht der Beeinflussung nutzen“. Erich Hugo schlägt eine Maßnahme vor: „Diversifizieren Sie Ihre Anfragen und gewöhnen Sie sich an, vor Entscheidungen unabhängige Recherchen durchzuführen.“
KI-Assistenten würden durch ständige Interaktion auch viel über ihre Nutzer lernen – ihre Vorlieben, Routinen, Vorlieben, Abneigungen, Schlafgewohnheiten – und nutzen dieses Wissen aus. Erich Hugos Tipp dazu: „Nutzen Sie den Inkognito-Modus oder löschen Sie regelmäßig Ihren Suchverlauf, um die Lernkurve der KI zu stören.“
Die KI könne ihre Nutzer zudem mit Informationen überhäufen, bis diese ihren Launen nachgeben. „Ihr KI-Assistent kann eine Lawine von Informationen liefern, die die Benutzer nicht schnell verarbeiten können, was ihre Entscheidungsfähigkeit beeinflusst“, meint Hugo, der als Gegenmaßnahme vorschlägt, die Relevanz und Authentizität zusätzlicher Informationen stets zu hinterfragen.
KI-Assistenten würden darüber hinaus die Angst der Nutzer, etwas zu verpassen, nutzen, und möglicherweise zeitlich begrenzte Angebote oder Produkte mit begrenztem Bestand präsentieren, um die Nutzer zu schnellen Entscheidungen zu drängen. „Künstlich erzeugte Dringlichkeit oder Knappheit ist ein häufiger Trick, den KI-Assistenten anwenden. Damit soll Ihre Entscheidungsfindung beschleunigt werden, oft auf Kosten Ihres kritischen Denkprozesses“, erklärt Hugo. Und sein Vorschlag zur Gegenmaßnahme: „Widerstehen Sie der Versuchung, vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Denken Sie daran, Angebote kommen und gehen.“
Last but not least würden KI-Assistenten in die Privatsphäre der Nutzer eindringen, ständig deren Gewohnheiten scannen und analysieren. Dies geschehe manchmal auf invasive Weise, etwa durch die Analyse von E-Mail-Inhalten oder Spracherkennung. Es sei wichtig zu bedenken, dass alles, was der KI-Assistent tut, protokolliert wird, sagt Hugo. „Die meisten haben Datenschutzeinstellungen, um E-Mail-Scans oder Stimmprofile zu deaktivieren, aber viele Benutzer sind sich dessen nicht bewusst.“ Als Gegenmaßnahme empfiehlt der Systemanalytiker regelmäßig die Datenschutzeinstellungen zu überprüfen und justieren, um den Zugriff einzuschränken.
Ingenieur & Dirigent
In einer Welt, in der KI immer mehr Raum einnimmt, wird es entscheidend sein, die Kontrolle darüber zu behalten, wie sie unser Leben beeinflusst und lenkt. Wir müssen diese Technologie mit einem Verständnis ihrer Fähigkeiten annehmen, gleichzeitig aber auch Grenzen setzen, um unsere Privatsphäre und Individualität zu schützen. Oder wie Erich Hugo meint: „Wo KI der Ingenieur ist, müssen wir ihr Dirigent sein. Wir müssen dieses mächtige Werkzeug weise lenken, um sicherzustellen, dass es für uns und nicht gegen uns arbeitet.“
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