Unsichere Zeiten

Wolfgang Schalko Woher kommen wir? Wohin gehen wir? So lauten zwei zentrale Fragen des menschlichen Daseins. Umgemünzt auf das Wirtschaftsleben könnte man daraus ableiten: Wie hat sich mein Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt? Wohin soll es sich in den kommenden Jahren bewegen?
Während sich die erste Frage durch einen Blick in die Firmenbücher meist recht schnell beantworten lässt (zumindest, was die quantifizierbaren Kriterien angeht), so verhält es sich mit der zweiten völlig anders: Was in zehn Wochen, in zehn Monaten oder gar in zehn Jahren sein wird, vermag wohl kaum jemand seriös einzuschätzen. Das liegt wohl an der für das menschliche Wesen fatalen Kombination aus der massiv steigenden Komplexität unserer Umwelt und der rapide zunehmenden Geschwindigkeit der uns umgebenden Entwicklungen. Als Reizwort dafür kann der Begriff Digitalisierung gelten. Wird diese in einer speziellen Ausprägung – wie etwa in Form von KI – noch gesteigert, triggert man dadurch bei den allermeisten Menschen direkt das Angstzentrum und erzeugt damit unter anderem eines: Unsicherheit. Und die ist bekanntlich in den meisten Fällen ein eher schlechter Ratgeber.
Ich muss zugeben, dass auch ich nicht mit Sicherheit sagen kann, wie sich beispielsweise die Medienbranche auf der einen und die Elektrobranche auf der anderen Seite entwickeln werden, sodass ich eine belastbare Prognose für die Situation in zehn Jahren abgeben könnte. Umso erstaunlicher ist es daher für mich, dass es in unserer Branche tatsächlich Unternehmen gibt, die sich an dieses Vorhaben heranwagen. Es war der Mitarbeiter eines nicht ganz kleinen, aber auch nicht unbedingt besonders großen PV-Unternehmens, der mir im Rahmen einer Branchenveranstaltung erzählte, dass in diesem Unternehmen unter Einbeziehung der Mitarbeiter Pläne und mögliche Szenarien für die nächsten zehn Jahre entworfen werden. Für den Mitarbeiter ein völlig normales Vorgehen, schließlich wolle man doch zumindest versuchen einzuschätzen, wohin die Reise geht und sich auf die erwarteten Entwicklungen bestmöglich einstellen. Hut ab, dachte ich – da könnten sich wohl die allermeisten ein Scheibchen davon abschneiden.
Dass Derartiges keine Herumspinnerei ist, beweist ein Blick in Richtung Wissenschaft. Ein wichtiger Indikator für den momentanen und zu erwartenden Zustand einer Branche wie dem Elektrohandel stellen die Konsumausgaben dar: Nur allzugut weiß wohl noch jeder um die Bergfahrt während der Coronakrise und der anschließenden Talfahrt, als die Bevölkerung ihren Fokus von der Aufhübschung des Eigenheims wieder wegverlagerte. Die Statistik Austria erhebt alle fünf Jahre die Konsumausgaben der österreichischen Haushalte – und das seit 1954. Die jüngste Konsumerhebung wurde 2019/2020 durchgeführt, die aktuelle läuft seit April 2024 bis ins Frühjahr 2025. Dabei erhebt die Statistik Austria bei rund 7.000 zufällig ausgewählten Haushalten, wie viel Menschen in Österreich fürs Wohnen ausgeben, wieviel für Lebensmittel, Bekleidung, Freizeit, Mobilität, Gesundheit oder Bildung. Die Ergebnisse liefern damit wichtige Informationen über Lebensstandard und Lebensbedingungen verschiedener Bevölkerungsgruppen, zugleich bestimmen sie den Warenkorb, der wiederum die Basis für die Berechnung der Inflationsrate bildet. Welche Schlüsse man aus den Ergebnissen zieht, bleibt natürlich jedem Einzelnen überlassen – wichtig ist aus meiner Sicht zu wissen, dass es die Möglichkeit gibt, daten- und faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Dass dieses Basis nicht immer und überall zu Verfügung steht, ist mir natürlich bewusst.
Aber es ist nicht nur das Fehlen dieser Basis, was so vieles in der heutigen Zeit als unsicher erscheinen lässt. Da wäre als erstes Problem die Frage, was man überhaupt glauben kann bzw. soll oder darf. In Anbetracht grassierender Fake News und – der KI sei „Dank“ – immer besserer Deep Fakes, fällt die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Trug immer schwerer. Bei meinem Besuch der diesjährigen Medientage durfte bei einer der Podiumsdiskussionen den Ausführungen zweier Radiomacher lauschen, die sich zum Einsatz von KI äußerten. Dabei waren zwei Aspekte bemerkenswert: Erstens, dass am Ende der Entscheidungskette immer ein Mensch stehen muss, d.h. die Verantwortung darf nicht in die „Black Box” wandern. Und zweitens, dass für die Beurteilung, was Fake News sind und was „echte” sowie für die Einschätzung, ob die KI bei ihren Resultaten halluziniert oder richtig liegt, vor allem eines unerlässlich ist: Allgemeinbildung.
Was mich direkt zum zweiten Problem bringt: Die Wissenschaft als solche verliert ihre Glaubwürdigkeit. Das hat weniger damit zu tun, dass sie keine seriösen oder brauchbaren Ergebnisse bzw, Erkenntnisse liefern würde, als vielmehr damit, dass sie einerseits oftmals für wirtschaftliche Zwecke (Stichwort Konzerninteressen) vereinnahmt wurde und wird, und andererseits – noch schwerwiegender – ganz allgemein eine völlig falsche Auffassung von Wissenschaftlichkeit propagiert wird. Häufig wird der Wissenschaft nämlich angekreidet, keine dauerhaften – im Sinne von allgemeingültigen und unumstößlichen – Ergebisse zu liefern. Dabei wird nur eines vergessen: Die Wissenschaft – nomen est omen – schafft Wissen und Fakten, aber es geht nicht um den Wahrheitsanspruch, sondern lediglich um den Erkenntnisgewinn. Zum Wesen der Wissenschaft gehört es, ihre Erkenntnisse und sich selbst immer wieder in Frage zu stellen. Was oftmals als Schwäche ausgelegt wird, ist somit im Grunde die große Stärke der Wissenschaft (Den absoluten Wahrheitsanspruch erheben hingegen Autokraten, Verschwörungstheortiker sowie bisweilen auch die Religionen). In dieser Hinsicht hat der Qualitätsjournalismus übrigens mit ähnlichen Herausforderungen wie die Wissenschaft zu kämpfen: Selbstkritik wird gemeinhin leider nicht gerade als Tugend erachtet.
Das dritte und vielleicht massivste Problem, das ich orte, besteht darin, dass wir – wir im Sinne einer Gesellschaft, einer Branche, eines Unternehmens – oftmals keine klaren gemeinsamen Ziele haben. Haben Sie sich schon einmal die Zeit genommen, ein paar Minuten einen Ameisenhaufen zu beobachten und das Treiben der kleinen Krabbler zu verfolgen? Wie leichtfüßig doch dort alles aussieht – weil jedes einzelne Tier nicht sich, sondern das große Ganze im Blick hat (wenngleich auch nur instinktgeleitet). Somit ist es bis zu einem gewissen Grad auch übertrieben zu behaupten, man wisse nicht, was die Zukunft bringen werde – denn in vielerlei Hinsicht hätten wir es durchaus selbst in der Hand.
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