Was sagt Ihnen die Mobilitätsreserve?

Den Anstoß im Deutschlandfunk lieferte der Umstand, dass bei unseren Nachbarn die Anzahl der gefahrenen PKW-Kilometer beständig sinkt – und Deutschland steht damit nicht alleine da, wie z.B. auch ein VCÖ-Artikel aus dem Vorjahr für Österreich zeigt. Trotzdem besitzen viele Städter nach wie vor ein Auto. Nach Ansicht von Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung geschieht dies teilweise nur noch als die oben erwähnte „Mobilitätsreserve“. Das Auto wird damit zum Notnagel, für den Fall, wenn andere Lösungen nicht sinnvoll sind.
In der Diskussion um Neuverteilung des innerstädtischen Raums geht es zu einem guten Teil um die oft angesprochene Verkehrswende – zur Verkehrsreduktion in der Stadt oder als Folge des Klimawandels. Jetzt kann man zur Verkehrswende stehen, wie man will, aber allein das Wort Mobilitätsreserve sollte in diesem Zusammenhang jeden zum Nachdenken anregen. Denn wir befinden uns in einer Phase der Transformation und wir müssen uns alle überlegen, welche Auswirkungen diese Transformation auf uns hat. Und da möchte ich beim Wort Reserve anfangen.
Reserven werden angelegt, um einen kritischen Bedarf, ja vielleicht sogar eine Notlage abzufedern. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass das Vorhalten dieser Reserven teuer ist. Dementsprechend werden diese Vorräte und Sicherheitspolster aufgelöst, wenn die Deckung des fraglichen Bedarfs durch andere Mittel sichergestellt ist oder der Bedarf sich verändert.
Der Bedarf ist in diesem Fall Mobilität. In vielen Fällen kann der Mobilitätsbedarf derzeit nur durch den motorisierten Individualverkehr gedeckt werden. Andererseits wurde uns in den vergangenen Jahren Mobilität auch als ein Ausdruck von Freiheit verkauft. In diesem Fall ist der fahrbare Untersatz vor allem ein Ausdruck einer Geisteshaltung. Schließlich sollte man nicht vergessen, dass der Bedarf auch oft durch eine bewusste Entscheidung der Konsumenten entsteht. Wenn ich mir ein Haus in Theresienfeld baue und dann mit dem Auto nach Wien zur Arbeit pendle, dann ist das eine bewusste Entscheidung. Diese Entscheidung wird oft auf der Basis von Kosten getroffen. Solange die individuelle Mobilität billig ist, geht die Rechnung auf. Steigen die Kosten für Straßenbenutzung, Sprit, Parkplatz oder Fahrzeug wird es eng.
Wir können daher die Augen nicht davor verschließen, dass sich die Parameter ändern. Besonders für Städter: Die verfügen in der Regel nicht nur über vernünftige Alternativen zum motorisierten Individualverkehr, sie sehen sich gleichzeitig steigenden Kosten gegenüber. Da ist der Unterhalt einer Mobilitätsreserve nicht mehr so convenient und man beginnt den Nutzen eines eigenen Fahrzeugs zu hinterfragen. Knie ist übrigens der Ansicht, dass man den Menschen so viel Auto geben soll, wie sie brauchen. Aber dafür müsse man nicht mehr eine Mobilitätsreserve permanent vorrätig halten.
Jetzt kann man als Niederösterreicher natürlich mit den Schultern zucken, wenn die Wiener immer weniger Autos kaufen. Vielleicht begrüßt man es auch, wenn weniger Sonntagsfahrer auf den Straßen sind. Andererseits sollte man nicht vergessen, dass ein Viertel der Österreicher allein 25 Kilometer rund um den Stephansdom wohnt. Ähnlich verhält es sich in anderen europäischen Staaten, wo sich ebenfalls ein großer Teil der Bevölkerung in den wichtigsten Städten konzentriert. Wenn dieser Teil der Bevölkerung als Kunde wegbricht, dann hat die europäische Fahrzeugindustrie ein Problem – und dieses Problem setzt sich natürlich durch die Wirtschaft fort. Denn in diesem Fall werden die Fahrzeughersteller auf ihren Kosten sitzen bleiben – bzw. das tun sie schon – und sie fangen an, Werke zu schließen. Die Zulieferindustrie spürt den Kostendruck ebenfalls und muss sich nach neuen Märkten umsehen. Gleichzeitig müssen die Kosten für die Infrastruktur in Form von Straßen und Tankstellen auf weniger Beitragszahler verteilt werden usw. usf.
Noch unterhalten viele Menschen ein Fahrzeug als Reserve, weil sie ihren hin und wieder auftretenden Bedarf nicht anders decken können, oder sie es auch schlicht so gewohnt sind und Alternativen gar nicht in Betracht ziehen. D.h. viel Bedarf wird noch immer künstlich erzeugt. Es ist aber nirgends in Stein gemeiselt, dass auch in Zukunft auf 1000 Österreicher 566 PKW kommen müssen.
Inzwischen läuft die Transformation und dieser Prozess ist nur ein Beispiel für die Vielzahl an Veränderungen, welche die Gesellschaft derzeit betreffen. Ausgelöst durch sich verschiebende soziale Normen und Ansprüche, neue Bedürfnisse, internationale Krisen und nicht zuletzt den menschengemachten Klimawandel verschieben sich derzeit die Rahmenbedingungen und Bedürfnisse der Konsumenten. Die damit verbundenen Veränderungen verunsichern viele und lösen auch oft genug Widerstand aus. Denn Menschen mögen in der Regel Veränderungen nicht. Allerdings lassen sich Transformationsprozesse nicht aufhalten – sie lassen sich nur lenken. In der Zwischenzeit muss man darauf achten, dass die Reserve nicht zum Mühlstein um den Hals wird.
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