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Mittwoch, 11. Dezember 2024
KI schleicht sich ins tägliche Leben

Die Veränderungen kommen unterm Radar

Über den Rand | Dominik Schebach | 24.11.2024 | Bilder | |  Meinung
Mit KI lassen sich nicht nur Bilder generieren, sondern auch Telefon-Scammer in Echtzeit täuschen. Mit KI lassen sich nicht nur Bilder generieren, sondern auch Telefon-Scammer in Echtzeit täuschen. (© Bild KI generiert/Adobe Express) Die Nachrichten zu Künstlicher Intelligenz überschlagen sich derzeit. Die meiste Aufmerksamkeit ziehen dabei Anwendungen auf sich, die als bedrohlich wahrgenommen werden – und ja, das Potenzial ist groß. Viele wirklich wichtige, die Branche betreffenden News, kommen allerdings unterm Radar auf uns zu. So sind das Erzeugen von Echtzeit-Content sowie die Weiterentwicklung der Suche zwei Bereiche, mit denen wir uns genauer auseinandersetzen sollten.  

Wer hat vergangene Woche nicht über die Geschichte der „KI Oma Daisy“ geschmunzelt. Diese vom britischen Netzbetreiber O2 gemeinsam mit YouTuber Jim Browning entwickelte KI-Anwendung soll Telefonbetrüger in endlose, aber realistische Gespräche verwickeln und sie so blockieren. Das Projekt ist Teil der Initiative „Swerve the Scammers“ von O2, welche Telefonbetrug bekämpfen soll. Indem Daisy mit ihrer lebensechten Stimme Anrufern fabrizierte persönliche Informationen verrät und sie in einer etwas zerstreuten Art endlose Gespräche führt, hat sie laut O2 potenzielle Telefonbetrüger bis zu 40 Minuten lang hingehalten.

Die Implikationen von „Daisy“ sollte man allerdings nicht ignorieren. Denn eine Anwendung zur Echtzeit-Content-Erzeugung wie Daisy kann natürlich genauso gut für einen Telefonbetrug eingesetzt werden. Ein paar Sätze aus dem letzten Instagram-Beitrag des Neffen analysieren, um die Stimme zu klonen, sowie eine gründliche Recherche, um die entsprechenden Ziele herauszufiltern, und der Scam kann beginnen. Immerhin kann man sich gegen solche Betrugsversuche mit ein wenig Vorbereitung schützen. So kann man in der Familie ein „Save-Word“ einführen, sodass die Gesprächsteilnehmer sich gegenseitig sicher identifizieren können usw. Das kann aber nicht darüber hinwegtrösten, dass der Aufwand, den wir für unsere Sicherheit leisten müssen, größer wird.

Dazu trägt eine weitere Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz bei: Die Einführung intelligenter Suchagenten. Anstatt die Ergebnisse einer Google-Suche selbst auszuwerten, können Nutzer damit ihre Prioritäten eingeben und erhalten danach eine gewichtete Zusammenfassung der Suchergebnisse. Wer also seinen Telefonbetrug plant, der kann einfach einen Suchagenten Social Media-Accounts nach einer Kombination von Fakten zu potenziellen Opfern durchsuchen und sich zu den jeweiligen Treffern Zusammenfassungen erstellen lassen.

Es gibt aber auch weniger sinistre Anwendungen von KI-Suche: Diese werden vor allem auch die Art, wie wir im Web einkaufen, verändern. So hat Perplexity AI vor kurzem seinen App „Buy with Pro“ vorgestellt. Damit können Pro-Abonnenten (20 Dollar/Monat – vorerst nur in den USA) Produkte direkt aus den Suchergebnissen von Perplexity kaufen. In der App gespeicherte Zahlungs- und Versandinformationen übernehmen die weiteren Details zum Kauf, und kostenloser Versand macht das Angebot noch attraktiver. Was diese Anwendung interessant macht, ist, der Nutzer kann der App Aufgaben wie „Suche mir die notwendigen Möbel für ein Lesezimmer“sowie Preisvorgaben usw zuweisen. Die Suchergebnisse wiederum werden von der KI in kurzen Produktbeschreibungen zusammengefasst, sodass der Nutzer gar nicht mehr auf den Webshop des Anbieters muss. Man könnte auch sagen, Perplexity erstellt für jeden User dessen eigenen Internet-Marktplatz. Die Werbung im Webshop des Verkäufers, seine Produktpräsentation und die eventuelle Kundenbindungsprogramme bleiben da außen vor – bzw. werden auch gleich von der App verwaltet.

Nur wenn das Produkt nicht unterstützt wird, wird der Nutzer zur Website des Händlers weitergeleitet. D.h. aber wiederum, hier drängt sich ein weiterer Diensteanbieter zwischen den Verkäufer und den Endkunden. Der Handel ist damit in einer äußerst unangenehmen Situation. Wenn er den Suchagent unterstützt, erleichtert er dem Kunden den  Einkauf, aber er verliert den direkten Kontakt zum Käufer. Verweigert sich der Online-Shopp-Betreiber dem Suchagenten, hat er zwar Chance auf den direkten Kontakt mit dem Endkunden, der könnte allerdings schon vorher von anderen Anbietern abgefischt werden. Und weil der Diensteanbieter – in diesem Fall Perplexity AI – die Gewichtung der Suchkriterien steuern kann, gehe ich davon aus, dass möglichst viele der Online-Händler danach streben werden, ihre Produkte oder Plattformen dem Agenten zugänglich zu machen.

Vorerst stehen nur US-Händler vor dieser Wahl zwischen Pest und Cholera, aber wir können davon ausgehen, dass diese Entwicklung auch über den Atlantik kommt. Dann allerdings sind die Kinderkrankheiten schon ausgebügelt und wahrscheinlich haben sich bis dahin ein oder zwei Großanbieter durchgesetzt – bzw. haben sich Amazon und Google die aussichtsreichsten Kandidaten gekauft.

Wer jetzt die Anwendungen einfach verbieten will, oder strickte Regularien einführen will, den muss ich enttäuschen. Der Geist ist aus der Flasche. Anstatt nur mit gesetzlichen Verboten zu arbeiten, müsste Europa vielmehr das Spielfeld auch auf der technologischen Seite gestalten, Alternativen entwickeln und diese zur Marktreife bringen. Die Möglichkeit sollte man nicht ganz von der Hand weisen, schließlich hatten auch Anwendungen wie Spotify und Skype ihren Ursprung in Europa.

Bilder
Mit KI lassen sich nicht nur Bilder generieren, sondern auch Telefon-Scammer in Echtzeit täuschen.
Mit KI lassen sich nicht nur Bilder generieren, sondern auch Telefon-Scammer in Echtzeit täuschen. (© Bild KI generiert/Adobe Express)
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