Besuchen Sie uns auf LinkedIn
Sonntag, 22. Juni 2025
Hintergrund-Kommentar E&W 05/2025

Der lachende Dritte

Wolfgang Schalko | 11.05.2025 | Bilder | |  Meinung
Angesichts der aktuell völlig verworrenen globalen Wirtschaftslage und der unmöglich gewordenen Prognosen, was die konkrete weitere Entwicklung angeht, sind sich die Experten allerorts nur in einem Punkt ziemlich einig: Ein Handelskrieg kennt keine Gewinner. Damit einhergehend sinkt auch der globale Wohlstand. Verfolgt man jedoch die jüngsten Medienberichte, insbesondere die Interviews mit namhaften Ökonomen, dann beginnt sich ein etwas differenzierteres Bild abzuzeichnen – mit Europa als lachendem Dritten.

Das wurde auch im Rahmen der Recherche für die Coverstory der E&W-Maiausgabe, die dieser Tage erscheint, deutlich: Wir haben uns in der Branche umgehört und Vertreter von Industrie und Handel um ihre Einschätzung der Situation gebeten – mit zwei bemerkenswerten Erkenntnissen am Rande. Erstens, dass sich viele nicht die Finger verbrennen wollen und sich daher äußerst wortkarg geben. Und zweitens, dass die Beurteilung alles andere als Schwarzmalerei ist – im Gegenteil wird versucht, positive Stimmung zu machen. Denn, wie ElectronicPartner-GF Michael Hofer treffend festhielt: „Es gibt in jeder Situation auch Gewinner.”

Stellt sich also die Frage, ob sich die Branche bzw. zumindest ein nennenswerter Teil davon hier in Zweckoptimismus übt, oder ob tatsächlich Zuversicht angebracht ist. Eine Darstellung von Ökonomen, die Letzteres nahelegt, lautet in etwa so: Der US-amerikanischen Wirtschaft ist binnen kurzer (Amts-)Zeit der konjunkturelle Drive abhanden gekommen – Trumps Zölle wirken. Nur eben in die falsche Richtung. Eine ökonomische Analyse der ersten Monate 2025 kam sogar zum Schluss, dass die US-Wirtschaft heuer geschrumpft sei. Nun steht das Schreckensdgespenst der „Stagflation” – hohe Inflation gepaart mit konjunktureller Stagnation – im Raum. Das Horrorszenario jedes Wirtschaftsforschers. Auf der anderen Seite des Erdballs wächst die Wirtschaft zwar, allerdings schwächer als erforderlich: Für China sehen Ökonomen ein Wirtschaftswachstum von mindestens 5% im Jahr als unumgänglich, um den eingeschlagenen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Kurs halten bzw. angeschlagene Sektoren wie den Immobilienbereich stützen zu können. Aktuellen Einschätzungen zufolge wird das BIP heuer „nur”um ca. 3% zulegen können. Nicht zu vernachlässigender Vorteil im Reich der Mitte: Staatschef Xi Jinping muss sich nicht vor seinen Wählern verantworten. Bleibt als dritte globale Wirtschaftsgroßmacht also Europa. Überwogen bei den ökonomischen Einschätzungen der europäischen Entwicklung bis vor kurzem eher die Mängel – keine Spitzenunternehmen in den Zukunftsfeldern IT und KI, überalterte Industriezweige, zu hohe Lohnkosten, enorme Abhängigkeiten in Schlüsselbranchen, etc. –, so sind praktisch schlagartig die althergebrachten Tugenden in den Mittelpunkt gerückt, allen voran Stabilität und Verlässlichkeit.

Wenn sich die beiden anderen Wirtschaftsmächte also weiter streiten, dann könnte das durchaus nicht nur negative Folgen für Europa (und für unsere Branche) haben. Beim Ausbruch von Covid-19 hat schließlich auch niemand daran gedacht, dass damit ein Höhenflug für den Handel eingeleitet wird.

Bilder
Diesen Beitrag teilen

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.

An einen Freund senden