Besuchen Sie uns auf LinkedIn
Montag, 10. November 2025
Social Media und Instant Gratification

Am Scheitelpunkt?

Über den Rand | Dominik Schebach | 26.10.2025 | Bilder | | 2  Meinung
Peak Social Media: Nach einem Bericht der Financial Times sei seit 2022 die Nutzung von Social Media um 10% zurückgegangen. Peak Social Media: Nach einem Bericht der Financial Times sei seit 2022 die Nutzung von Social Media um 10% zurückgegangen. (© Magenta) Haben wir bei Social Media den Scheitelpunkt überschritten? Ein Beitrag der Financial Times scheint dies nahe zu legen. Demnach gehen seit 2022 die Nutzungszahlen zurück. So berichtet die FT von einem Rückgang von beinahe 10% auf zwei Stunden und 20 Minuten. Für das soziale Zusammenleben klingt das ermutigend, allein mir fehlt der Glaube.

250.000 Erwachsene in mehr als 50 Länder hatte das Analyseunternehmen GWI befragt. Das Ergebnis war für die Auftraggeber von der Financial Times durchaus überraschend. Wenn man die Daten hernimmt, dann hat die Nutzung von Social Media seit 2022 beständig abgenommen. Soziale Plattformen wie Instagram oder Tik Tok hätten ihren Scheitelpunkt überschritten und die User hängen demnach immer weniger am Smartphone, um ihre diversen Social Media-Kanäle zu konsumieren, lautet deswegen die Folgerung in vielen Medien.

Aber ist das wirklich so? Es stimmt, die Social Media-Plattformen sind schon lange nicht mehr sozial. An die Stelle der Interaktion mit Freunden und Bekannten ist in den vergangenen Jahren immer mehr eine Flut an kommerziell erzeugten Content getreten. Der Job der Media-Influencerin, die scheinbar beiläufig aber perfekt geschminkt und ausgeleuchtet mit dem Smartphone von ihrer letzten Entdeckung berichtet und gleichzeitig Werbung für drei Produkte macht, ist in dieser Hinsicht ein Zeichen. Damit ist die Spontanität verloren gegangen und in dem Gewirr der Botschaften gehen die wirklich interessanten, ungewöhnlichen oder auch nur nachdenklichen Beiträge unter. Gleichzeitig nehmen die Werbeinhalte zu. Unter diesen Umständen hat kann man sich eigentlich nur noch von Promis- und Semi-Promis berieseln lassen und das Gehirn auf Durchzug schalten. Wenn man zu diesem Mix noch die Flut an KI-generierten Content hinzurechnet, dann erscheint es logisch, dass immer mehr User sich von den sozialen Medien abwenden, weil der Content einfach schlecht ist.

Welche Daten?

Andererseits beruhen diese Untersuchung allen Anschein nach auf den Angaben der Befragten selbst. Eine genaue Erfassung der Zeit erscheint aufgrund der großen Anzahl der Befragten eher unwahrscheinlich. Selbstangaben sind aber notorisch unzuverlässig und werden auch durch Konventionen oder soziale Erwartungen beeinflusst. Wenn z.B. der Konsum von Social Media eher scheel angesehen wird oder die User ob der am Smartphone verbrachten Zeit ein schlechtes Gewissen haben, dann werden die Befragten ihre Zeit auf den Plattformen auch geringer angeben usw. Aus diesem Grund sollten man solche Meldungen von Peak Social Media mit einer Prise Salz genießen.

Ein steter Strom an Belohnungen

Kommt hinzu, dass die Social Media-Plattformen umso mehr Geld verdienen, je länger die User auf den Plattformen verbleiben. Mit dieser Motivation im Nacken entwickeln sie immer ausgefeiltere Algorithmen, um den Usern den Content zu servieren, den diese sehen wollen. D.h., sie bieten den Usern eine unmittelbare Befriedigung – oder Instant Gratification. Jede kleine Bestätigung, dass man der Gruppe zugehört, jede Bestätigung der eigenen politischen Meinung oder auch jedes kurzfristige Entertainment-Schnipsel wird zu einem Mikroschuss an Glücksgefühlen – und wenn auch jeder einzelne Beitrag nur momentan eine kleine Befriedigung verschafft, die Menge machts. Und da ich mich ständig in meiner eigenen Bubble bewege, gibt es auch keinen Grund, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen.

Dieses Suchtverhalten zu durchbrechen, gelingt oft nur durch das Schaffen von Alternativen. Indem man z.B. den Strom der Belohnungen durch ein anderes Verhalten wie Sport sicherstellt. Einen entsprechenden Trend habe ich allerdings in den vergangenen Jahren und Monaten nicht wahrgenommen. Im Gegenteil, wenn ich mich heute in der Straßenbahn oder im Café umsehe, dann hängen die Menschen eher mehr als wenigen an ihren Smartphones.

Verantwortungsvoller Umgang

Dass das Verhalten auf die Dauer nicht gut für den Einzelnen und für die Gesellschaft ist, versteht sich von selbst. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt, die Fähigkeit zum politischen Diskurs geht verloren, während die eigenen Ansichten immer extremer werden usw. – Ich glaube allerdings nicht, dass ein einfaches Verbieten von Social Media die Lösung ist. Vielmehr müssen wir beginnen, Social Media Plattformen als das zu behandeln, was sie sind: als Medienunternehmen, die einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet sind.

Gleichzeitig müssen wir allerdings auch bei uns selbst ansetzen. Wir müssen es wieder lernen, der Verlockung der Instant Gratification zu widerstehen. Wie wäre es mit einem guten Buch?

Bilder
Peak Social Media: Nach einem Bericht der Financial Times sei seit 2022 die Nutzung von Social Media um 10% zurückgegangen.
Peak Social Media: Nach einem Bericht der Financial Times sei seit 2022 die Nutzung von Social Media um 10% zurückgegangen. (© Magenta)
Diesen Beitrag teilen

Kommentare (2)

  1. Hätten wir „Web“-Programmierer in den beginnenden 90er Jahren geahnt, was aus den Scripts alles wird – ich hätte es dennoch gemacht …

    1
  2. Es wäre erfreulich und so wichtig, wenn der ganze Social Media Wahnsinn weniger werden würde, denn es macht unsere Gesellschaft krank, dumm und manipulierbar. Ich befürchte jedoch (auch), dass dem nicht so ist. Dafür ist der Selbstdarstellungstrieb der einen und die Neu- bzw „Sensationsgier“ der anderen viel zu ausgeprägt 😏

    4

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.

An einen Freund senden