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Mittwoch, 3. Juli 2024
Editorial E&W 5/2024

Wenn Dinge aus dem Ruder laufen

Wolfgang Schalko | 12.05.2024 | Bilder | |  Meinung

Wolfgang Schalko
Mittlerweile sollte sich bis in die hinteren Reihen durchgesprochen haben, dass es weniger darauf ankommt, welche Botschaft man an seine(n) Adressaten vermitteln will, als vielmehr darauf, welche Message tatsächlich beim Empfänger ankommt. Dementsprechend penibel wird daher in der Regel an Formulierungen gefeilt und die Wortwahl kritisch hinterfragt. Und dennoch: Wie schnell ein Schuss nach hinten losgehen kann, haben zig Shitstorms in den (a)sozialen Netzwerken gezeigt – und damit bei vielen Unternehmen für ein hohes Maß an Unbehagen und Unsicherheit in deren Kommunikation gesorgt.

Waren es früher oft die großen, börsenotierten Konzerne, die durch die Kunst des ausschweifenden Nichtssagens glänzten, um nur ja nicht in ein Fettnäpfchen (oder Schlimmeres) zu treten, so kann man mittlerweile Betriebe und Organisationen aller Größenordnungen im gekonnten Dreschen hohler Phrasen und der Verbreitung astreiner Plattitüden beobachten (KI sei dank? – Aber das ist eine andere Geschichte…). Leider sind – vom journalistischen Standpunkt aus betrachtet – keinerlei Tendenzen feststellbar, dass die kommunikative Güte insgesamt wieder zunehmen würde. Im Gegenteil: Aufgrund der latenten Angst vor allzu heftigen Reaktionen tritt an die Stelle handfester Aussagen mit zunehmender Häufigkeit nur seichtes Gewäsch (Ausnahmen bestätigen die Regel). Besondere „Spezialisten” treiben diesen Trend so weit, nicht nur inhaltlich, sondern tatsächlich gar nichts zu sagen – Probleme (ja, nicht alles ist „nur” eine Herausforderung) oder haarige Angelegenheiten aller Art werden hinter überquellenden Mailboxen und ab- bzw. stummgeschalteten Smartphones ausgesessen. Erwähnenswert (weil auf eine ganz eigene Weise bedauerlich) sind auch noch jene, die zwar versuchen, Rückgrat zu zeigen und sich schwierigen Themen erhobenen Hauptes zu stellen, aber dann derart unglücklich – man könnte auch „patschert” sagen – agieren, dass sich die eigentlich löblichen Versuche erst recht wieder in ihr Gegenteil verkehren. Zu all dem gesellt sich eine gehörige Portion an beinahe bewundernswert professionalisiertem Opportunismus: Dinge werden einmal kleingeredet und an anderer Stelle wieder aufgebauscht, wie es eben gerade am zuträglichsten ist.

Daraus resultieren zwei problematische Aspekte: Erstens schwindende Authentizität – die wiederum ein entscheidender Faktor für die Glaubwürdigkeit ist bzw. dafür sorgt, ob man jemandem oder etwas gegenüber ein gutes oder schlechtes Gefühl hat. Zweitens ein regelrechtes Informationsdilemma für Journalisten ebenso wie Geschäftspartner und Konsumenten, die allesamt das elementare Bedürfnis teilen, Dinge aus erster Hand zu erfahren – gerade in Zeiten zunehmender Ungewissheit und der immer schwieriger werdenden Unterscheidung von Fakten und Fake News. Ehrliche Kommunikation sollte daher ein grundlegendes Interesse bei allen Unternehmen, Organisationen, etc. – unabhängig von Sparte und Größe – darstellen. Natürlich ist es alles andere als einfach, Standortschließungen, Kündigungen, Qualitätsprobleme, geänderte Geschäftsmodelle, spezifische Vertriebskonzepte und Ähnliches so transportieren, dass es für die Betroffenen einigermaßen verträglich ist – aber der Mensch hält bekanntlich einiges aus (meistens mehr, als man meint) und vom Schönreden wird‘s definitiv auch nicht besser. Spätestens dann, wenn die Illusion durchschaut wird.

Es gibt kaum ein Unternehmen – in der Elektrobranche ebensowenig wie anderswo –, das nichtirgendwann einmal eine solch schwierige Phase durchzustehen hat bzw. hatte. Mit gefühlt steigender Intensität scheinen sich Firmen aber heute selbst (und wissentlich?) in die Bredouille zu bringen (bzw. von Muttergesellschaften oder anderen Unternehmensteilen in diese gebracht zu werden). Ein aktuelles Beispiel finden Sie am Cover dieser E&W-Ausgabe: Dyson. Der Hersteller hat den Handelspartnern quasi das Recht auf Reparatur entzogen sowie deren Versorgung mit Ersatzteilen gestoppt und garniert das Ganze noch mit einer Bestpreisgarantie im eigenen Online-Shop. Die Ironie daran: Soeben hat die Richtlinie über das Recht auf Reparatur das EU-Parlament passiert, um den europäischen Reparaturmarkt anzukurbeln und das Reparieren – im Sinne der Nachhaltigkeit – wieder attraktiver zu machen. Dass Dyson dieses Ansinnen mit seinen jüngsten Entscheidungen völlig konterkariert, nehmen die dortigen Verantwortlichen offenbar billigend in Kauf – wie das Ganze bei den Konsumenten ankommt, ist im Moment noch offen.

In Verbindung mit den Nachhaltigkeits- und Ökologisierungs-Bestrebungen der EU ist auch ein Phänomen zu betrachten, das der Politologe Thomas Hofer kürzlich in einem Vortrag beschrieb (zwar in einem anderen Zusammenhang, aber deswegen nicht minder treffend): Das „Agenda-Surfing”, das immer öfter an die Stelle des „Agenda-Setting” tritt. Hofer verglich das heutige Vorgehen der Politik mit einem „Surfen auf der Welle” – bei dem jeder auf einem Thema herumreitet und es zu seinen Gunsten nutzt, solange es en vogue ist. Dann widmet man sich einfach dem nächsten angesagten Thema. Das Problem dabei: Selbst vermeintliche Entscheidungsträger hecheln dann nur noch äußeren Einflüssen hinterher, sprich sie degradieren sich selbst vom Kapitän zum Passagier. Genau das ist mittlerweile vielfach auch in der Unternehmenskommunikation zu beobachten – besonders plakativ derzeit etwa rund um das Thema „Nachhaltigkeit” mit Begriffen wie „grün”, „Öko”, „Umwelt”, etc. in allen erdenklichen Ausprägungen und Wortkreationen. Sehr rasch ist hier eine diffuse Masse entstanden, aus der nichts und niemand mehr herauszustechen vermag, weswegen man sich (erfolglos) mit immer neuen Superlativen gegenseitig zu übertrumpfen versucht. Nicht von ungefähr will die EU derartige allgemeine Umweltaussagen als unlautere Geschäftspraktiken titulieren und ihnen einen Riegel vorschieben.

Die Folge und Gefahr dieser Entwicklungen ist, dass die gefühlte Notwendigkkeit, überall vorne mit dabei sein zu müssen, bei den Unternehmen enorme Ressourcen bindet, während andere Themen und Aufgaben auf der Strecke bleiben. So manifestiert sich nach außen hin der Eindruck, dass es nicht bloß Einzelfälle oder spezielle Nachrichten sind, die Dinge aus dem Ruder laufen lassen können, sondern dass es vielmehr unsere Kommunikation und Interaktion als Ganzes ist, die eine bedenkliche Richtung eingeschlagen hat und aufgrund ihrer unerträglichen Überfülle früher oder später zu explodieren droht.

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