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Sonntag, 5. Mai 2024
Wenn neuronale Netze einmal loslegen

200 Likes sind genug

Hintergrund | Dominik Schebach | 26.11.2017 | |  Archiv

Wenn man in der Straßenbahn frühmorgens über sie Schultern seiner Mitfahrgäste blickt, dann liest man so manche Überschrift der U-Bahnzeitung, auf die man sich zunächst keinen Reim machen kann. So auch zuletzt am Weg ins morgendliche Training. "Alt genug für Zigaretten? Das zeigt bald eine App", las ich da aus dem Augenwinkel. Sieh an, sieh an, dachte ich. Jetzt verraten Apps schon, wie alt das Gegenüber ist.

So ganz konnte ich die Story dann doch nicht glauben, also zückte ich mein Smartphone und las die Story kurzerhand online nach. Da stellte sich dann heraus, dass die App als eine Art elektronischer Ausweis gedacht sei; als eine technische Lösung für die ewige Frage, ob das Gegenüber denn wirklich schon Zigaretten kaufen darf. – Puh, nochmals Glück gehabt. Der Gedanke, dass eine App das Internet schnell einmal durchstöbert, um anhand einiger mir nicht weiter bekannten Merkmale festzustellen, wie alt ich sei, war dann doch etwas verstörend. Wenn ich allerdings bedenke, wie viele Informationen über uns alle im Web verfügbar sind, wundert mich es allerdings schon, warum es noch keine App für den privaten Gebrauch gibt. Eine Art Google Analytics für den Hausgebrauch ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit.

Mit einigen wenigen Startpunkten lässt sich schon heute erschreckend viel über jeden von uns herausfinden. Wer das nicht glaubt, sollte einmal seinen eigenen Namen googlen. Name, Geschlecht, Alter, Wohnort gehören da noch zu den leichteren Übungen. Mixt man noch Daten aus Sozialen Netzwerken sowie Big Data bzw künstliche Intelligenz dazu, dann wird es überhaupt haarig. Erst vor kurzem las ich die Zusammenfassung einer Studie von Dr. Michal Kosinski, Dr. David Stilwell und Dr. Thore Graepel aus dem Jahr 2013. „Private traits and attributes are predictable from digital records of human behavior“. (Auf Deutsch genauso sperrig: Private Charaktereigenschaften und Merkmale werden vorhersagbar mittels digitalen Aufzeichnungen menschlichen Verhaltens). In dieser Untersuchung zeigten die drei Psychologen, dass frei verfügbare Online-Informationen – in diesem Fall Facebook-Likespersönliche Merkmale wie Alter, Geschlecht, politische Einstellung bis hin zu Intelligenz, Zufriedenheit oder auch sexuelle Orientierung mit einer höheren Genauigkeit vorhersagen, als so mancher wissenschaftlicher Test in einem 1:1 Setting. (Für die es interessiert: Die dem Paper zugrunde liegende Untersuchung wurde anhand der Facebook-Daten von rund 58.000 US-Freiwilligen, sowie der umfassenden Nutzung Neuronaler Netzen durchgeführt. Dabei wurden die Daten gegenüber Stichproben aus dem Sample getestet und durch die künstliche Intelligenz des neuronalen Netzwerkes immer wieder neu verknüpft.)

Das Modell konnte z.B. zu 85% zwischen Republikanern und Demokraten unterscheiden. Noch bedenklicher: Das Modell unterschied zu 88% korrekt zwischen heterosexuellen und homosexuellen Männern. In zwei Drittel der Fälle konnte das Modell korrekt vorhersagen, ob die Person Drogen konsumiert, bzw in einer Beziehung sei. Das Alter der Person wurde in drei Viertel der Fälle richtig eingeschätzt. Das ganze wurde allein durch die Auswertung der Facebook-Likes mit denen die Teilnehmer ihre positiven Assoziationen zu Fotos, Status Updates von Freunden oder Facebook-Seiten von Musikern, Büchern, Restaurants oder Webseiten erzielt. Im Schnitt  waren 200 bis 300 Likes ausreichend, selbst wenn diese nichts unmittelbar mit der gesuchten Eigenschaft zu tun hatten.

Das ist einmal schwer zu verdauen, erklärt für mich aber auch, warum seit einiger Zeit das Pendel wieder in Richtung mehr Datenschutz ausschlägt. Denn wir hinterlassen ununterbrochen Spuren im Netz. Und wenn wir einen der vielen praktischen Dienste wie Facebook, WhatsApp, Instagram oder Twitter nutzen, dann geschieht das nur scheinbar kostenlos. Wir bezahlen mit unseren Daten. „There is no free Lunch“, heißt es treffend in den USA.

Wenn jetzt also alle Welt von der neuen Datenschutzgrundverordnung spricht, dann ist das eine Folge über das tiefe Unbehagen, das viele angesichts der neue Konstellation verspüren. Denn wenn große Mengen an frei verfügbaren Daten auf künstliche Intelligenz treffen, weiß derzeit niemand, was dabei herauskommt – oder wie ein mögliches Ergebn is zustande kommt. Viele Entscheidungsabläufe innerhalb neuronaler Netze laufen selbst für deren Erschaffer in nicht mehr erkennbaren Bahnen ab. – Da ist es auch einmal unerheblich, ob die Vorhersagen solcher Systeme auf den Einzelnen zutreffen. Wenn immer wieder die Trefferquoten hoch genug sind, werden diese Daten von Werbefirmen aber vielleicht auch von Strafverfolgungsbehörden oder der Finanz zu Entscheidungen herangezogen. Mit ganz realen Konsequenzen für jeden von uns.

Damit kommen wir zur Gegenwart: Gefühlt befasst sich inzwischen jede fünfte Mail in meiner Inbox mit der neuen Datenschutzgrundverordnung der EU. Diese wurde übrigens auch schon in österreichisches Recht übernommen und wird mit Mai kommenden Jahres endgültig und uneingeschränkt in Kraft treten. Die Versender dieser Mails wittern derzeit das große Geschäft und werden nicht müde zu betonen, dass die DSGVO für alle Unternehmen von Amazon bis zum kleinen Laden am Eck gilt. Ich sehe diese Mails allerdings mehr als ein Zeichen dafür, dass auch die Endkonsumenten langsam aufwachen, und sich nicht länger mit Haut und Haaren den Google, Apple, Amazon, Microsoft und Facebook ausliefern wollen. Ob die mündigen Konsumenten allerdings ihr Verhalten im Netz langfristig ändern, das wage ich zu bezweifeln.

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