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Freitag, 3. Mai 2024
Wenn Bildung provoziert

Anregung zur Aufregung

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 26.11.2017 | |  Archiv

Ich lese gern, ich lese schnell und ich lese viel – nur leider zuwenig von dem, was ich eigentlich lesen möchte. Schnäppchen, Gelegenheitskäufe, Geschenke, etc lassen meinen „Ungelesen”-Bücherbestand schneller anwachsen als es mein Zeitbudget erlaubt, diesen abzubauen. Dass ich danach aber mit Nachdruckdruck trachten sollte, hat mir erst jüngst wieder ein Zeitungsartikel im „Standard” von Konrad Paul Liessmann – Titel: „Belesenheit ist eine Provokation” – vor Augen geführt.

Konrad Paul Liessmann, Jahrgang 1953 und Professor für Philosophie an der Uni Wien, fällt (mir zumindest) immer wieder mit Beiträgen im „Standard“ auf, die sich meist um die zunehmende (digitale) Verdummung der Gesellschaft, insbesondere unserer Kinder, drehen. Nicht nur (aber auch) weil ich Vater von drei kleinen Erdenbürgern bin, beschäftigt mich diese Thematik – vielmehr deshalb, weil ich der Meinung bin, man kann gar nie genug wissen (im Sinne von „im Kopf haben“). Dahingehend spricht mir Liessman regelmäßig aus der Seele, und brachte es mit seinen Ausführungen im oben genannten Text „Belesenheit ist eine Provokation“ (erschienen am Samstag, den 16. September) besonders gekonnt auf den Punkt.

Ich möchte Ihnen die Lektüre des gesamten Beitrags wirklich ans Herz legen, hier aber nur mit zwei Passagen einen Denkanstoß geben. Angesichts wieder aufgeflammter Debatten über die Sinnhaftigkeit klassischer und humanistischer Bildung wirft Liessmann die Fragen auf, ob man nur lernen sollte, was man auch sofort anwenden kann? Nur lernen, was nützt? Nur lernen, was der eigenen Situation und Bedürfnislage entspricht? „Nutzloses Wissen. Ja, dieses kennzeichnet den Gebildeten, und dieses ist von Übel. Dass Schüler Gedichte interpretieren können, aber beim Ausfüllen der Steuererklärung versagen – das ist offenbar der Albtraum jeder modernen Bildungsministerin. In der Schule darf es deshalb keine kontextfreien Wissensfragen mehr geben, „Faktenwissen ist zu einem – übrigens verräterischen – Unwort geworden, so, als sollten lieber Meinungen und Ideologien vermittelt werden.(…)“, schreibt Liessmann dazu.

Und an anderer Stelle: „Die Provokation literarischer Bildung besteht nicht zuletzt in der persönlichkeitsverändernden Kraft der Literatur, die unmerklich vonstattengeht, keinen Zielvorstellungen folgt, nicht operationalisierbar und deshalb auch nicht kontrollierbar und prüfbar ist. Dass es eine Form der Bildung gibt, die sich dem Zugriff der qualitätssichernden Behörden entzieht, weil sie sich aus einer informellen Beziehung zwischen Schüler und Lehrer entspinnen mag, kratzt an all jenen Quantifizierungs- und Messbarkeitsschimären, ohne die die gegenwärtige Bildungsforschung ebenso wenig auszukommen glaubt wie die Bildungsorganisation. Der Anspruch literarischer Bildung ist auch aus einem anderen Grund eine Provokation: Er widerspricht einem Prinzip von Chancengerechtigkeit, das auf Erfolgsgleichheit abzielt. Literarische Erfahrungen können, wie jede authentische Form von Bildung, von Bildungseinrichtungen zwar ermöglicht und erleichtert, aber nicht erzwungen und auch nicht überprüft werden. Lesen ist ein einsames Geschäft (…)“

Meine persönliche Meinung: Wenn Belesenheit also tatsächlich provoziert, dann gibt es definitiv viel zu wenig Aufregung in der Welt.

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