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Donnerstag, 2. Mai 2024
Menschliches Allzumenschliches...

Eine Frage der Antwort

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 11.02.2018 | |  Archiv
Der Wert von (intelligenten) Fragen wird meist grob unterschätzt. Der Wert von (intelligenten) Fragen wird meist grob unterschätzt.

Auf meinem jüngsten Streifzug nach rascher Suchtbefriedigung bin ich in einem lieblos vor einer Buchhandlung abgestellten Karton auf ein preisreduziertes „Mängelexemplar” gestoßen, das meine Aufmerksamkeit erregte. Immerhin war der Schweizer Autor Rolf Dobelli eine große Nummer im Sachbuch-Genre und der Titel klang in Zusammanhang mit dem Verfasser (kein Esoterikverdacht) auch schon mal nicht unspannend: „Fragen an das Leben”. Beim routinierten Durchblättern folgte die Überraschung.

Das Buch bestand ausschließlich aus Fragen – auf 190 Seiten. Keine Antworten, keine Anmerkungen, bloß Fragen. Persönliche Fragen über das Leben im weitesten Sinn. Ich fand das originell und kaufte es um ein paar Euro, aber mir war klar, warum das Buch in der Ramschkiste gelandet war: Die Menschen wollen keine Fragen, sie wollen Antworten! Dachte ich. Bloß: Wie sehen Antworten aus, wenn keine Fragen gestellt werden?

Vor wenigen Tagen war mir dann – beim Aufräumen meines Schreibtisches – das Buch wieder in die Hände gefallen und ich musste an einen Satz denken, den ich mir vor vielen Jahren in eines meiner Notizheftchen geschrieben hatte: „Verzichte auf die Frage, wenn du die Antwort nicht hören willst.” Das schien mir damals logisch. Aber es hat auch etwas Paradoxes: Denn das Vermeiden einer Frage, weil man Angst vor der Antwort hat, setzt ja voraus, dass man die Antwort auf irgendeine Weise schon zu kennen glaubt. Warum also das Ganze?

Die drohende Gewissheit ist das Problem. Jene Gewissheit, die sich unvermeidlich einstellt, wenn plötzlich ausgesprochen ist, was man ahnte, aber nicht hören wollte. Und in Folge, zu allem Übel, vielleicht auch noch ein Handeln erfordert.

Das also war mein Trugschluss gewesen: Das Buch von Rolf Dobelli hatte sich möglicherweise nicht deshalb schlecht verkauft, weil die Menschen schon aus Bequemlichkeit Antworten statt Fragen wollen, und sie diese dort nicht finden konnten, sondern weil sie zumindest unbewusst oft gerade keine Antworten wollen und daher zur Sicherheit auch Fragen ablehnen, die sie vielleicht zum Nachdenken bringen und unangenehme Antworten produzieren könnten.

Dabei ist es wohl nicht ganz falsch anzunehmen, dass gerade diese nicht gestellten Fragen von großer Bedeutung sind, weil die Antworten darauf mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentliche Veränderungungen – privater oder geschäftlicher Natur – lostreten würden.

Ich möchte hier also eine Lanze für die (intelligente) Frage brechen, deren Wert meist grob unterschätzt wird. Es mag sein, dass sich Journalisten vielfach maßlos überschätzen, wenn es um das Verstehen von großen Zusammenhängen geht. In einem sind sie, wenn sie ihr Handewerk gelernt haben, jedoch unschlagbar: In der Kunst, gute Fragen zu stellen und damit jenen fürchterlich auf die Nerven zu gehen, die zu Antworten genötigt werden, die nicht ganz offensichtlich dümmer sein sollten, als die Fragen.

Dazu passend habe ich unlängst gehört, dass anhand der Historie sehr gut belegt ist, dass Philosophen gundsätzlich schlecht darin sind, eindeutige Antworten zu liefern und praktische Lösungen zu entwickeln. Aber sie sind saumäßig gut darin, die richtigen Fragen zu stellen. Nämlich jene Fragen, die weh tun, weil sie ans Eingemachte gehen. Und diese Leistung ist nicht zu unterschätzen, weil es nämlich gerade diese Fragen sind, die unsere Weiterentwicklung ermöglichen.

Daher werde ich die Idee nicht los, dass wir uns selbst (aber auch einander) in den kommenden Monaten immer wieder einmal jene Fragen stellen sollten, die schon längst gestellt hätten werden müssen, denen wir aus den bekannten Gründen aber konsequent ausgewichen sind.

Als kleine Anregung und zur Unterhaltung habe ich im Folgenden einige wenige der Fragen von Rolf Dobelli recht willkürlich aufgelistet. Manche werden Sie (hoffentlich) ein wenig nachdenklich machen, manche werden Sie schmunzeln lassen, bei machen werden Sie vielleicht bloß den Kopf schütteln. Auf unsere Branche bezogen sind sie nur in dem Maß, in dem unser Leben in der Branche steckt, bzw. Branche in unserem Leben. Alles klar?

Wie oft kommt es vor, dass Sie am Ziel ankommen, und es stellt sich heraus, dass es das Ziel anderer ist? Verändern Sie Ihr Umfeld stärker, als Sie von Ihrem Umfeld verändert werden, oder verhält es sich andersherum? Wie lange gelingt es Ihnen, Menschen zu beobachten, ohne sie zu bewerten?

Sehen Sie sich eher als Wächter Ihrer Gedanken oder als deren Gefangener? Wie groß ist Ihr Respekt gegenüber Andersdenkenden? Gründet dieser Respekt auf dem Inhalt ihrer Ideen oder der Art, wie sie ihre Ideen vertreten?

Inwiefern sind Sie der äußere Schweinehund Ihres inneren Schweinehundes? Wie lange schon versperrt der Gipfel Ihrer Karriere die Sicht auf Ihr Leben? Würden Sie Personen einstellen, die bedeutend intelligenter sind als Sie?

Aus wie vielen Fehlbesetzungen besteht Ihr Team?  Wie viel Wahrheit sind Sie bereit zu akzeptieren? a) von Menschen, die Sie mögen, b) von Menschen, die Sie nicht mögen.

Wo genau begraben Sie Ihre Hoffnungen? Wie oft besuchen Sie diese Grabstätten? Wie oft gelingt es Ihnen, die eine oder andere Leiche wieder zum Leben zu erwecken? Was verschweigen Sie sich selbst?

Sind Sie der beste Freund Ihres besten Freundes? Ordnen Sie Ihre Freunde nach dem Nutzen an, in abnehmender Reihenfolge. Werfen Sie einen Blick auf die Liste. Wo finden Sie Ihren besten Freund?

Angenommen, man könnte in Menschen investieren, so, wie man in Aktien investiert: In wen aus Ihrem Bekanntenkreis würden Sie investieren? Werden die Jüngeren, die jedoch vor Ihnen gestorben sind, im Jenseits die Älteren sein? Nach welchen Werten suchen Sie sich Ihre Werte aus?

Daten zum Buch: Rolf Dobelli, Fragen an das Leben, Verlag Diogenes.

 

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