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Freitag, 3. Mai 2024
Wegwerfgesellschaft 2.0

Krankhafte Auswüchse

Stefanie Bruckbauer | 06.02.2022 | BilderDownloads | | 1  Meinung

Stefanie Bruckbauer
Das Verhalten unserer Gesellschaft nimmt wirklich krankhafte Auswüchse an. In vielerlei Hinsicht. Doch ich möchte mir hier nur einen ganz kleinen Teilbereich herauspicken: Das Konsumverhalten, genauer gesagt den Wahnsinn, der hinter den Kulissen des Onlinehandels passiert.

Für die kommende E&W-Ausgabe schrieb ich eine Story über die systematische Zerstörung von Neuware bei Amazon & Co. Ich konnte die Fakten teils nicht glauben. An einem einzigen Amazon Standort in Deutschland wird wöchentlich eine LKW-Ladung voll Neuware absichtlich zerstört (rund um Weihnachten sogar zwei LKW-Ladungen). Hochgerechnet auf alle Amazon Standorte in Deutschland geht man davon aus, dass regelmäßig Millionen von Produkten vom Internetgiganten vernichtet werden. Nicht nur in Deutschland, u.a. auch in Großbritannien und Frankreich werden jeden Tag vorsätzlich tonnenweise intakte Waren verschrottet – vom T-Shirt über den Mixer bis zum Kühlschrank. Selbst im kleinen Österreich wird neuwertige Ware von Onlinehändlern systematisch beseitigt. Man geht von 1,4 Mio. Paketen (im Jahr 2020) aus, davon 120.000 Elektrogeräte.

Es gibt zwei Gründe, warum neuwertige Waren einfach zerstört werden. Entweder es handelt sich um Produkte, die sich nicht verkaufen lassen. Und nachdem Lagerplatz Geld kostet, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem ein Regalplatz mehr wert ist als das Produkt, das darin liegt, also wird es – um Kosten zu sparen – beseitigt. Oder es handelt sich um Retouren, also um Ware, die zurückgeschickt wird. Der Onlinehandel heizt diesen Konsumwahnsinn an, denn die Verbraucher werden dazu verleitet, alles Mögliche zu bestellen, da Unerwünschtes ja bequem, ohne Angabe von Gründen und noch dazu meist kostenlos zurückgeschickt werden kann. Also werden die Schuhe gleich in drei Größen bestellt, der Haarglätter in zwei Farben und der Mixer in zwei Ausstattungsvarianten – was solls – kostet ja nix, außer dem bisschen Aufwand für‘s Ausdrucken und Aufkleben der Retourenscheine und Tragen der Retourenpakete zur Post. Laut Studien wird übrigens jeder zweite im Netz bestellte Modeartikel zurückgesandt, bei Schuhen sind es sogar bis zu 80 %. Rund 30 % aller retournierten Onlinekäufe werden nicht wieder zum Verkauf angeboten. Bei Elektrogeräten werden bis zu 10 % der Rücksendungen vernichtet

Exkurs

Das KANN es doch nicht sein! Nicht nur, dass ich es aus ethisch-moralischen Gründen nicht vertreten kann, dass funktionstüchtige Neuware absichtlich zerstört wird. Es ist auch umwelttechnisch der absolute Supergau. In jedem dieser Produkte stecken Rohstoffe: Öl, Holz, Metalle – darunter seltene Metalle wie Kobalt, Nickel, Zink, Tantal oder Gold. Bauen wir Rohstoffe ab – egal ob nachwachsende oder nicht-nachwachsende –, dann geht das häufig zu Lasten der Umwelt. Grünflächen wie Wälder oder Äcker werden vernichtet, wodurch auch natürliche Lebensräume von Pflanzen und Tieren zerstört werden. Außerdem verbraucht der Rohstoffabbau Unmengen von Wasser und trägt manchmal sogar dazu bei, dass Flüsse austrocknen, weil der Grundwasserspiegel sinkt. Zudem wird das Grundwasser belastet. Schadstoffe und Schwermetalle, die beim Abbau freigelegt werden, belasten Menschen und Umwelt gleichermaßen.

„Zum Glück“ sind es die Entwicklungsländer, die häufig reich an Rohstoffen sind, denn so sind wir verwöhnten Verbraucher in den reichen Industrieländern nicht mit dem Dreck und der Umweltvernichtung konfrontiert (das würde ja auch die Konsumfreude unschön trüben). Der Abbau wird in armen Ländern betrieben, wo Arbeiter keine Rechte haben und für die harte, teils gesundheitsschädliche Arbeit unter wirklich miesen Bedingungen kaum Lohn bekommen. Die Ironie ist: Diese Leute können sich die Produkte gar nicht leisten, für deren Produktion sie schuften. Gerade einmal ein Fünftel der Weltbevölkerung verbraucht vier Fünftel der Rohstoffe. Diese armen Menschen sorgen für die Rohstoffe, damit wir in den wohlhabenden Industrieländern, uns immer mehr Konsumgüter kaufen können und noch mehr und noch mehr – und schließlich einen Teil davon einfach zerstören. Den wenigsten scheint bewusst zu sein, dass viele Rohstoffe begrenzt sind. Umso wichtiger wäre es, Produkte lange zu nutzen und kaputte Sachen zu reparieren … aber davon sind wir weit entfernt

Exkurs Ende

Ich fragte mich, wie es sein kann, dass es sich eher lohnt, Produkte zu vernichten, als erneut in den Handel zu bringen. Die Antwort ist einfach: Weil Menschen in den Erzeugerländern so schlecht bezahlt werden und Umweltschäden wie zB. vergiftete Gewässer nicht in den Verkaufspreis einfließen. Deswegen ist es billiger, überschüssige Waren zu vernichten, als sie neu zu verpacken. Das ist doch absurd! Diesen Händlern ist der Respekt für ihre Produkte komplett verloren gegangen. Und auch den Konsumenten. Die Verpackungen von online bestellten Waren werden aufgefetzt, die Produkte selbst ohne Rücksicht auf Gebrauchsspuren „getestet“ und das, obwohl die Konsumenten genau wissen, dass sie das Produkt u.U. zurückschicken werden. Dass es dann aufwendiger und teurer wird, das Produkt und vor allem die Verpackung wieder in einen neuwertigen Zustand zurückzuversetzen, ist klar. Mir ist auch klar, dass Schuldzuweisungen überhaupt keinen Sinn haben. Viel eher sollte überlegt werden, wie dieser Wahnsinn gestoppt werden kann. In Deutschland gibt es seit 2020 ein Gesetz (= „Obhutspflicht“), das vorschreibt, beim Vertrieb von Erzeugnissen dafür zu sorgen, dass diese nicht zu Abfall werden. Leider fehlt es bisher noch an einer Rechtsverordnung, weswegen das Gesetz schamlos umgangen wird. Auch in Österreich werden Stimmen für ein Vernichtungsverbot von neuwertiger Ware laut. Ich bezweifle allerdings, dass sich auf Regierungsebene irgendjemand dieses Themas erbarmen wird. Also bleibt wahrscheinlich alles beim Alten.

 

Den Artikel über die systematische Zerstörung von Neuware bei Amazon & Co finden Sie hier im Download-Bereich.

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Tag für Tag werden vorsätzlich tonnenweise intakte Waren verschrottet. (Bild: Pixabay)
Tag für Tag werden vorsätzlich tonnenweise intakte Waren verschrottet. (Bild: Pixabay)
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Kommentare (1)

  1. Der einzig Hebel wo man mit Erfolg ansetzen kann ist der Konsument. Letztlich ist es das Wissen um keine Konsequenz und daher werden Schuhe und Kleidung in Massen bestellt und man weiß schon vor der Bestellung, dass man sich 10% (maximal) behalten wird. Ebenso kann man Geräte einem Härtetest unterziehen, den man so normal nicht machen würde. Warum sollte ein Konsument, erzogen durch die Wegwerfgesellschaft anders machen? Dieser hat durch den Konsumentenschutz oftmals fast Narrenfreiheit und daher wird sich so rasch nichts mehr ändern. Nur wenn es kräftig kostet, sowohl auf der Produktebene (heftige Abzüge für retour gesandte Ware), wie auch bei den Lieferkosten kann sich etwas ändern. Wenn es kein Retourenlabel, keine vom Lieferant gesponserte Logistik gibt….einfach jene Kosten die man privat beim Versand eines normalen Pakets hat, dann wird einigen ein Licht aufgehen. Das Gesetz gibt leider dazu nicht viel her und vom Konsumenten ist hier ohne Zwang keine Besserung zu erwarten. Ja, es ist oftmals tatsächlich günstiger ein Produkt zu verschrotten als es einem umfangreichen Eingliederungsprozess zu unterziehen. Alleine die manuelle Prüfung auf Funktion eines Geräts kostet einiges, Hygieneartikel wie z.B. elektrische Zahnbürsten wandern aus nachvollziehbaren Gründen sicher umgehend in die Schrottpresse.

    Der stationäre Handel bleibt hier Zweiter, denn der Konsument kauft da wo es am einfachsten ist. Der eine oder andere Euro mehr für ein Produkt wird in Kauf genommen, dafür kann man mit Produkten vom Versand eigentlich tun was man will und man hat fast endlose Auswahl.

    6

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