Grundsatzfragen
Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Diese vier Hauptfragen der Philosophie, formuliert von Immanuel Kant im 18. Jahrhundert, sind heute vielleicht aktueller denn je. Denn sie treffen ein beherrschendes Thema unserer Zeit im Kern: die Unsicherheit.In der Regel resultiert diese Unsicherheit daraus, dass man zwar sehr genau wissen will, aber nur äußerst eingeschränkt wissen kann, was die Zukunft bringt. Dass dahingehend der Versuch, diverse Parameter linear fortzuschreiben, noch nie wirklich zum Prognoseerfolg geführt hat, muss wohl ebenso wenig erklärt werden wie der Umstand, dass etwas, nur weil es gestern so war, nicht zwangsläufig auch morgen so sein wird. Und dennoch beschleicht einen selbst dieser Tage oft und gerne das Gefühl, dass es gerade besonders schwierig ist, eine seriöse Einschätzung über die weiteren Entwicklungen abzugeben. Dafür ist die Bewegung bzw. Dynamik in vielen Bereich schlicht zu groß und das, was sich vielerorts als Umbruch ankündigt, bereits jetzt zu weitreichend. Also zurück zu den eingangs gestellten Fragen: Was kann man wissen? Was soll man tun? Was darf man hoffen?
Einen guten Grund, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, liefert die aktuelle Geschäftslage im Elektrohandel. Natürlich ist es bis zu einem gewissen Grad vermessen, alle über einen Kamm zu scheren, aber es gibt wohl kaum einen Händler, der zur Jahreshälfte nicht schon rosigere Zeiten erlebt hätte. Normalerweise wäre jetzt das prophylaktische Jammern ob des bevorstehenden Sommerlochs angesagt – aber wohin soll man noch fallen, wenn man ohnehin shcon am Boden liegt? Dieses Gefühl hat sich in den letzten Wochen und Monaten bei vielen Händlern und auch Lieferanten manifestiert: Das Geschäft ist mau, die Aussicht trübe und die Zukunft ungewiss. Eine giftige Mischung, zu der sich aber zumindest eine leise Hoffnung auf Besserung gesellt – wenn man den Gesprächen Glauben schenkt, die das E&W Team für diese Ausgabe geführt hat. Hoffen darf man – wissen kann man es nicht.
Was also tun? Kopf in den Sand stecken und der Dinge harren, die da kommen mögen? Oder doch hau-ruck und Aktionismus? Weder noch, würde ich meinen, stattdessen ein besonnenes Herangehen an jene Probleme, deren Lösung man tatsächlich selbst in der Hand hat bzw. darauf EInfluss nehmen kann. Wie der Handelsverband in einer österreichweiten Befragung quer durch alle Unternehmensgrößen und Sparten erhoben hat, erwarten die heimischen Händler für das Gesamtjahr 2023 gegenüber dem Vorjahr einen Umsatzverlust von durchschnittlich 10% – was im Umkehrschluss nichts Anderes bedeutet, als dass die Konsumenten die Teuerung bei den Konsumausgaben „einsparen” (wobei die Handelslandschaft in der Corona-Zeit florierte und ein gewisser Rückgang zu erwarten war). Fast die Hälfte der Handelsbetriebe rechnet damit, heuer einen Verlust zu erwirtschaften. Gleichzeitig gibt die Hälfte der Befragten an, aktuell unter Personalmangel zu leiden – der soweit geht, dass bei knapp einem Fünftel der Unternehmen nur noch ein eingeschränkter Geschäftsbetrieb möglich ist. Eine höchst bedenkliche Entwicklung, zumal das Asset des Fachhandels ausgerechnet in der persönlichen Beratung am POS besteht. Diese Einschätzung teilt auch Andreas Szamosvari, der mit seinem Unternehmen Breakthrough einen möglichen Ausweg aus dem Personaldilemma bietet: Verkaufsberater auf Zeit. Wie das funktioniert, erklärt er in dieser Ausgabe.
Auf einen anderen negativen Einflussfaktor kann der Handel indes weit weniger selbst wirken: den realen Kaufkraftverlust. Wie RegioData in der jährlichen Kaufkraft-Studie 2022 analysiert hat, verfügten die Österreicher über eine durchschnittliche Kaufkraft von 25.163 Euro pro Kopf und Jahr – was nominell zwar einem Anstieg von 8,5% gegenüber dem Vorjahr entspricht (ein Ausmaß wie seit 20 Jahren nicht), der allerdings durch die Jahresinflation von 8,6% im vergangenen Jahr förmlich weggefressen wird, sodass sich am Ende ein leichtes Minus in der realen Kaufkraft ergibt. Damit konnte Österreich zwar seinen 8. Platz im europäischen Ranking halten, ist erstmals seit vielen Jahren aber wieder hinter Deutschland zurückgefallen. Laut RegioData dürften die Auswirkungen der Corona-Pandemie hier eine entscheidende Rolle gespielt haben – Deutschland hat die Herausforderungen der Pandemie demnach offenbar besser bewältigt und sich wirtschaftlich schneller erholt. Hier ließe sich eventuell insofern ansetzen, als Verlust etwas ist, das niemand gerne erleidet. Der Elektrohändler ist typischerweise in der sog. Consumer Electronics tätig, sprich er verkauft Konsumgüter, die – sobald „verkonsumiert” – irgendwann verloren sind. Demgegenüber haben Investitionsgüter, zu denen beispielsweise Photovoltaikanlagen zählen, den – tatsächlichen und psychologischen – Vorteil der Wertbeständigkeit. Walter Kreisel, Gründer und CEO von neoom, macht – nachzuhören im neuesten E&W Podcast – daran den grundlegenden Unterschied zwischen den fossilen und den erneuerbaren Energien fest. Die einen verbrennen, die anderen werden einem Kreislauf zugeführt. Von daher appellierte Kreisel gerade auch an den Fachhandel, aus dem er ja auch selbst ursprünglich kommt, genau zu überdenken, womit man sich im Geschäftsleben befasst – und ob es nicht eigentlich höchste Zeit wäre für ein Umdenken in der Consumer Electronics.
Wer denkt, den Kopf jetzt schon tief genug im Sand zu haben, dem sei gesagt: Schlimmer geht‘s immer! Die Rede ist vom 3. Juli diese Jahres – nicht, weil es ein Montag war, und auch nicht, weil es sich um den ersten Ferientag in der Osthälfte des Landes handelte. Sondern, wie man orf.at tags darauf nachlesen konnte, der 3 Juli 2023 war US-Forschern zufolge der weltweit bisher heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen. Die durchschnittliche globale Temperatur habe 17,01°C erreicht – der bisherige Rekord vom August 2016 lag bei 16,92°C. „Das ist kein Meilenstein, den wir feiern sollten. Es ist ein Todesurteil für Menschen und Ökosysteme“, wurde die Forscherin Friederike Otto vom Grantham-Institut am Imperial College in London dazu zitiert.
Mit diesem – zugegebenermaßen nicht unbedingt erbaulichen – Bild im Kopf möchte ich Sie in den wohlverdienten Sommerurlaub entlassen und Ihnen ein paar erholsame Tage wünschen. Und vielleicht haben Sie vor diesem Hintergrund ja Zeit, Lust und Gelegenheit, sich der vierten Kant‘schen Frage zu widmen: Was ist der Mensch?
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