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Freitag, 3. Mai 2024
Bundesinnungsmeister Christian Bräuer im Interview

„Das macht man nicht nebenbei”

Energiezukunft E-Technik | Wolfgang Schalko | 22.12.2023 | | 2  Menschen, Wissen
Um die enormen Herausforderungen der Elektrotechnik zu meistern, erachtet es Christian Bräuer als unumgänglich, dass alle an einem Strang ziehen. Um die enormen Herausforderungen der Elektrotechnik zu meistern, erachtet es Christian Bräuer als unumgänglich, dass alle an einem Strang ziehen. (© Knoll) Christian Bräuer ist in der Branche aufgrund seiner langjährigen Funktionärstätigkeit und seinen Aktivitäten in den Bereichen Aus- und Weiterbildung sowie Normung bestens bekannt und vernetzt. Ende September folgte er auf Andreas Wirth an der Spitze der Elektrotechniker. Im Gespräch mit elektro.at lässt der Wiener seine ersten Wochen als Bundesinnungsmeister Revue passieren und erläutert die vordringlichsten Themen der nächsten Monate sowie auch einige Grundsatzfragen.

Die ersten Wochen als Bundesinnungsmeister beschreibt Christian Bräuer als „sehr herausfordernd“ – schließlich habe er sich sogleich „mittendrin im Geschehen“ wiedergefunden. Das thematische Spektrum umfasste den omnipräsenten Arbeits- und Fachkräftenmangel, die (mittlerweile abgeschlossenen) KV-Verhandlungen mit den hohen Forderungen der Gewerkschaft sowie die schwächelnde Konjunktur im Bausektor und natürlich den Ausbau der erneuerbaren Energien, wo bezüglich der PV-Förderung 2024 zum Zeitpunkt des Interviews Anfang Dezember immer noch politisches Chaos herrschte. „Und das ist nur ein sehr kleiner Auszug der letzten Wochen“, scherzt Bräuer.

E&W: Wie ist es aktuell um die Elektrotechnik bestellt?

Christian Bräuer: Angesichts der enormen Herausforderungen möchte ich zunächst die gesamte Branche auf einen Nenner bringen, dh Gewerbe, Planer, Großhandel, Industrie, Organisationen und Verbände, denn ich glaube, dass wir das alles nur gemeinsam schaffen können. Hier sehe ich als einen großen Bereich einerseits die Wertschöpfungskette, die intensiv zusammengerutscht ist und bei Themen wie dem Branchenevent e-Players oder unserer Initiative Elektriker Österreich eine zentrale Rolle spielt. Auf der anderen Seite gilt es, sich mit den Netzbetreibern mehr auseinanderzusetzen und mit PV Austria an einem Strang zu ziehen. Hier wird auch gerade die Zusammenarbeit intensiviert und ich glaube, zusammen – dh GF Vera Immitzer von der politischen und ich von der Normungs-Seite – können wir viel erreichen.

Die Elektrotechnik verzeichnete im dritten Quartal einen Umsatzrückgang von 17%. Im Vergleich zu anderen Branchen wie etwa die Mechatronik oder die metallverarbeitenden Betriebe, die Einbrüche von 30-40% verzeichnet haben, trifft es uns zwar nicht ganz so schlimm und wir kommen wahrscheinlich mit einem „blauen Auge” durch, aber dennoch ist dieser Rückgang für unsere Branche sehr hoch. Und wir werden diesen Umsatzrückgang bis ins nächste Jahr haben – auch die Wirtschaftsprognosen sagen ja, dass 2024 schwierig werden wird.

Dazu kommt noch der Arbeits- und Fachkräftemangel und darüber hinausgehend der Aspekt, dass wir auch etablierten Fachkräften die Möglichkeit geben müssen, sich ausreichend und formell richtig weiterzubilden. Hier haben wir als Bundesinnung einige neue Modelle für NQR Level 5 entwickelt (Anm.: d.h. zwischen Facharbeiter mit NQR Level 4 und Befähigungsprüfung auf NQR Level 6), bei denen es hauptsächlich um erneuerbare Energien, Speichersysteme – auch im Notbetrieb –, bidirektionales Laden von E-Fahrzeugen, Energieeffizienz und Elektro-Heizungen geht. Die EU hat kürzlich außerdem die europäische Richtlinie RED III herausgegeben, bei deren Umsetzung es ebenfalls noch viel zu tun gibt für uns.

2024 wird die Branche also mit der hohen Inflation und dem Konjunktureinbruch am Bausektor zu kämpfen haben – und der PV-Boom kann das nicht kompensieren?

Wie schlimm der Rückgang wirklich ausfällt, werden wir sehen – das kommt auch darauf an, ob die Regierung hier noch Maßnahmen setzt. Die hohen Zinsen spielen natürlich auch am Bausektor eine große Rolle, dazu kommt die anhaltend hohe Inflation im Zusammenhang mit einem hohen Lohnabschluss. Das sind massive Belastungen für unsere Branche. Demgegenüber wird der PV-Boom meines Erachtens deutlich überschätzt – dieser kann den Rückgang am Bausektor ganz offensichtlich nicht kompensieren.

Um die Energiewende wunschgemäß voranzutreiben, muss man ja einige weitere Aspekte bedenken: Etwa, dass ein Ausbau über die Maßen weder Sinn macht noch bewerkstelligt werden kann, oder den Zusammenhang mit den Energiespeichern sowie der Elektromobilität und natürlich die öffentlichen Versorgungsnetze. Außerdem benötigt man die entsprechenden Fachkräfte, aber man kann Elektriker, die immer auf Baustellen gearbeitet haben, nicht einfach so aufs Dach schicken – das Thema Arbeitssicherheit wird gerade hier oft und gerne unterschätzt. Und ganz generell ist Photovoltaik ja nichts, das man einfach so nebenbei macht, sondern eine eigene Technologie, die man verstehen muss, somit also auch entsprechend ausbilden und schulen. Das Verlegen von DC-Leitungen ist hier ein ganz neues, spannendes Thema für uns Elektrotechniker und steht wiederum im direkten Zusammenhang mit dem Brandschutz. Und man muss berücksichtigen, was mit einer Anlage passiert, wenn sie im Notbetrieb fährt – welche Schutzmaßnahme habe ich dann noch? All diese Themen erfordern enorme Um- und Vorsicht.

Wie entwickelt sich die Personalsituation in der Elektrotechnik? Machen sich Initiativen wie der Elektropraktiker oder die Nachwuchs-Kampagne „Join the Future“ bemerkbar?

„Die Elektrotechnik verzeichnete im dritten Quartal einen Umsatzrückgang von 17% und wir werden diesen Umsatzrückgang bis ins nächste Jahr haben. Demgegenüber wird der PV-Boom meines Erachtens deutlich überschätzt – dieser kann den Rückgang am Bausektor ganz offensichtlich nicht kompensieren”, sagt Christian Bräuer zur aktuellen Situation des Elektrogewerbes.

In Hinblick auf Arbeits- und Fachkräfte ist es erschreckend, was man in der Branche hört: Niemand scheint derzeit einen qualifizierten Mitarbeiter zu bekommen. Wir haben uns in den letzten Jahren schon verstärkt auf den Lehrlingsbereich konzentriert und konnten da durchaus positive Zahlen erreichen – aktuell erstmals eine Steigungsrate von über 20% im Bereich der Elektrotechnik-Lehrlinge. Das löst zwar à la longue wahrscheinlich nicht alle Probleme, aber es beginnt sie zumindest einmal zu beheben. Und wir haben einen Beruf geschaffen, der nächstes Jahr vom Wirtschaftsminister verordnet wird, bei dessen Berufsbild sich Jugendliche mit ihren Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Energiewende identifizieren können. Damit geben wir neue Perspektiven und ich habe das Gefühl, dass sich die Lehre insgesamt gerade ein bisschen im Aufschwung befindet.

Mit unserer Initiative „Join the Future“ wecken wir zusätzlich das Interesse der Jugend für die Elektrotechnik. Diese funktioniert richtig gut, wie auch die ersten Zahlen belegen: Wir hatten bis jetzt 20 Millionen Bruttokontakte, über 400.000 Videoviews, und über Facebook eine Reichweite von 90%, bei Instagram 87% und bei TikTok 71%. Das sind schon richtig tolle Zahlen, daher haben wir die Initiative jetzt auch weiterentwickelt und werden sie nächstes Jahr weiterführen. Das bringt Riesenecho und man sieht, was weitergehen kann, wenn alle zusammenhelfen – wie in diesem Fall OVE, Bundesinnung, Elektrohandel, Österreichs Energie und FEEI.

Der Elektropraktiker hat sich hervorragend etabliert und gilt in der Arbeitswelt mittlerweile als Best Practice Beispiel, dem viele andere Branchen nun folgen wollen. Der Anfang war schwierig, aber jetzt beginnt es tatsächlich zu laufen und der Elektropraktiker hat ja den Riesenvorteil, dass er den Einstieg in die Branche bedeutet und den Weg ebnet, in weiterer Folge auch ein höheres nationales Qualifikationslevel zu erreichen.

Die Erneuerbaren, v.a. die Photovoltaik, sind derzeit ein bestimmendes Thema. Welche Chancen und Herausforderungen bringt das für die Elektriker? Drohen die „klassischen” Betätigungsfelder vernachlässigt zu werden?

Der Ausbau von erneuerbaren Energien und deren Speicherung werden uns in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen, darin sind wir uns wohl alle einig. Neben dem vernünftigen Ausbau gilt es, die Schnittstelle für die Elektroinstallation zu finden – und hier kommen eine ganze Reihe von Themen ins Spiel, wie etwa Gebäudeautomation, Energieeffizienz, Beleuchtungsanlagen, E-Mobilität, Sicherheitsanlagen, IT- und Kommunikationstechnik, Blitz- und Überspannungsschutz. Das sind enorm viele Bereiche, die man innerhalb eines Gebäudes so umsetzen muss, dass dieses den bestmöglichen Wirkungsgrad erzielt und der Konsument schlussendlich wirklich etwas davon hat – denn der bezahlt das ja auch. Die Themen und die damit einhergehenden Vernetzungsmöglichkeiten sind so breit gestreut, dass ich keine Gefahr sehe, unsere Branche würde nur noch PV-Anlagen errichten und alles andere links und rechts liegen lassen. Im Gegenteil, auch die Heizung wird beispielsweise ein Thema bleiben, denn die Wärmepumpe ist nicht die Lösung aller Probleme in diesem Bereich – und gerade bei einem thermisch sanierten Gebäude sind Elektro-Direktheizungen oft völlig ausreichend.

Im Sinne der Sicherheit elektrischer Anlagen spielen Normen eine zentrale Rolle. Wo gibt es Verbesserungsbedarf bzw. wo lauern potenzielle Fehler-/Gefahrenquellen?

Wir erleben eine rasante technische Entwicklung, der die Normung oft nicht mehr so nachkommt, wie sie nachkommen müsste. D.h. wir können nicht für jede technische Entwicklung sofort durchdachte Standards liefern. Eine wirklich große Gefahr sind allerdings die freien Gewerbe, wie etwa bei der Montage von Solarmodulen, und natürlich die Nebenrechte von anderen Gewerben, die dann beispielsweise „nebenbei” eine PV-Anlage mitmontieren. Ich halte das Hinüberarbeiten ins elektrotechnische Gewerbe, das eigentlich sicherheitstechnisch mit dem ETG verheiratet ist, immer noch für ein absolutes No-Go. Auf der anderen Seite sehe ich dann aber Elektrobetriebe, die Anlagen, die von einem freien Gewerbe installiert worden sind, auch fertig melden – offensichtlich ohne zu wissen, was man damit an Gewährleistungen und ungeklärten Haftungsfragen übernimmt. Ich halte derartiges Vorgehen wirklich für fahrlässig, noch dazu wird dadurch der gesamten Branche nachhaltiger Schaden zugefügt – daher muss das aufhören!

Natürlich müssen wir uns aber auch mit anderen Branchen koordinieren. Es gibt z.B. super Synergien mit den Dachdeckern, denn wir haben keine Fachexpertise, um den Zustand der Dächer zu beurteilen, auf denen wir PV-Anlagen montieren sollen, oder um Abdichtungen professionell auszuführen. Mit den Fassadenbauern werden wir in Zukunft ebenfalls eng zusammenarbeiten, denn gerade auch auf Fassadenflächen werden vermehrt PV-Anlagen installiert werden.

Bei der e-Marke und Elektriker Österreich wird an einer Neuausrichtung gefeilt – wie geht es hier weiter?

Wir haben unter dem Namen Zukunftsforum einen Prozess zur zukünftigen Positionierung eingeleitet. Die zentrale Frage lautet, wo uns die Branche braucht. Der Verein wird in Zukunft auch nicht mehr e-Marke heißen, sondern Elektriker Österreich, und es soll sich die Wertschöpfungskette – also Industrie, Großhandel und Gewerbe – entsprechend aufgehoben fühlen und aktiv mitgestalten können. Wir befinden uns in der ersten Phase dieses Zukunftsforums zum Thema Statuten, das wir gerade rechtlich abklären und noch heuer abschließen wollen. Die nächste Schritte des Zukunftsforums folgen dann 2024, wobei unser erklärtes Ziel lautet, die Neuaufstellung von Elektriker Österreich im Rahmen des e-Player Events Mitte Mai zu präsentieren.

Ein gutes Stichwort: e-Players als Kick-Off und dann ein Power-Days Nachfolgeformat sollen das Messethema wieder in geordnete Bahnen lenken. Wo steht man hier?

Es sieht sehr gut aus, wir haben mittlerweile über 40 Betriebe, die sich beim e-Players Event in Linz engagieren wollen. e-Players ist ja als Kick-Off-Veranstaltung zu verstehen, um dann nachhaltig 2025 ein neues Messerkonzept zu präsentieren. Dafür erwarte ich mir einen modernen Zugang zu den Betrieben. Wir müssen einen Mehrwert erzielen, warum heute jemand eine Messe besuchen soll – eine Wurstsemmel und ein Bier gratis zu kriegen kann‘s wohl nicht sein. Dh wir müssen dort ein bisschen in die Zukunft schauen und – noch viel wichtiger – für anstehende Probleme Lösungen vorbereiten, und zwar aus Sicht der Praktiker. Und es geht auch darum, wer sich auf so einer Messe präsentiert: Kann man z.B. den österreichischen Energiekongress oder den Kongress der PV Austria in diesen Rahmen einbetten? Wie lassen sich die Verbundgruppen ElectronicPartner, RED ZAC und Expert integrieren oder auch Bereiche wie Weißware abbilden? Um uns zu all dem auszutauschen und das Vorgehen zu koordinieren, dient die Kick-Off-Veranstaltung e-Players. Wir arbeiten hier an einem Konzept für eine riesengroße, attraktive und informative Messe, mit allen großen Stakeholdern am Bord – und wenn das funktioniert, können wir etwas Maßgebliches schaffen. 

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Kommentare (2)

  1. kleinerhändler hat vollkommen recht! Bleibt nur die Frage, ob immer weniger Teilnehmer zu den Schulungen kamen, weil die Inhalte so schlecht und wenig motivierend waren oder immer weniger gute Schulungen angeboten wurden, weil ehrlich gesagt das Interesse von uns Händlern, uns und unsere Mitarbeiter weiterzubilden, immer geringer wurde? Dasselbe Schicksal ereilt ja seit Jahren die Veranstaltungen der Kammern, da wäre seitens der Verantwortlichen einiges an frischem Wind erforderlich und Aufbauarbeit zu leisten!

    Und dann gibt es eben die EPler, die mit unglaublichen über tausend eingebuchten Seminartagen vom Start weg erkannt haben dürften, was es braucht:
    1. Hol Dir Leute, die in Marketing, Führung, Entwicklung, und Verkauf Experten aus der Praxis sind
    2. Biete die schönsten und exklusivsten Locations, damit sich Weiterbildung wie Urlaub anfühlt
    3. Gib alles in einen Topf mit Teilnehmern aus verschiedensten Unternehmen und Branchen, damit das degenerierte Denken und Handeln endlich ein Ende nimmt
    4. Engagiere einen „bunten Vogel“, der als Profi weiß, wie Menschen zu motivieren sind

    Dass das Ganze was kosten darf und den Teilnehmern was bringt, zeigen die vollen Seminarräume. Warum es keine Technikerschulungen dieser Art gibt, verstehe ich allerdings auch nicht. Liegt es wirklich an der Industrie, denen es an Geld, Interesse oder dem Glauben an die eigene Zukunft fehlt?

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  2. Passt vielleicht nicht ganz hier her, aber früher ist nicht all zu lange her da gab es von den seriösen Firmen Kurse Vorträge über Verkauf und was mich am meisten betroffen hat technische Schulungen um bestens Reparieren zu können. Z.b. Grundig, Panasonic, Philips, B&O oder Sony. Was gibt es heute, zig Termine mit dem WOW-Effekt.
    Jetzt wollen alle das Reparieren fördern, vermutlich aber ohne techn. Unterstützung der Hersteller? Gibt es eigentlich noch meinen Beruf Radio und Fernsehtechniker egal wie er jetzt heißt.

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