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Samstag, 4. Mai 2024
Kommentar: Selektive Vertriebssysteme im E-Handel:

Wer sind die Guten?

Hintergrund | Dominik Schebach | 06.02.2013 | | 3  Archiv
Dr. Fritz Knöbl hat für E&W Online den wettbewerbsrechtlichen Hintergrund selektiver Vertriebssysteme durchleuchtet. Dr. Fritz Knöbl hat für E&W Online den wettbewerbsrechtlichen Hintergrund selektiver Vertriebssysteme durchleuchtet.

Viele Geräte im Elektrohandel werden europaweit auf der Basis „selektiver Vertriebssysteme“ verkauft. Es handelt sich um Netze gleichartiger Verträge, mit denen die Händler von den einzelnen Gerätelieferanten zum Verkauf ihrer Markenware autorisiert werden. Nur diese Händler werden beliefert, ein Weiterkauf an Händler  außerhalb dieses Netzes ist ihnen verboten. Die Auswirkungen hat sich Dr. Friedrich Knöbl, ein auf Vertriebssysteme spezialisierter Rechtsanwalt, anlässlich aktueller Ermittlungen der Bundeswettbewerbsbehörde bei Elektrohändlern für E&W näher angesehen.

Derartige Händlerverträge führen zwangsläufig zu einer Einschränkung des Wettbewerbs – was auch ihr Sinn und Zweck ist. Im Gegensatz zum europaweiten freien Handel als einen der vier Eckpfeiler der Europäischen Union. Deshalb verbietet der Artikel 101 Absatz 1 des EU-Vertrages (AEUV) derartige „vertikale Vertriebsbindungen“. Vor allem dann, wenn sie eine „Einschränkung des Absatzes“ oder „unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen“ bezwecken. Auch die „Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartner“ fallen unter dieses Kartellverbot.

Ausnahmen vom Kartellverbot

Somit wären alle von der Industrie aufgezogenen Vertriebssysteme verboten und nichtig. Doch da gibt es den Artikel 101 Absatz 3: Der erlaubt unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen vom Kartellverbot. Und zwar dann, wenn die „abgestimmten Verhaltensweisen“ zur „Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen“. In derartigen Fällen übertrifft der Nutzen des Vertriebssystems den Nachteil der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkung.

Bei dieser Ausnahme gibt es jedoch wieder zwei Einschränkungen: Es dürfen den Händlern keine Einschränkungen auferlegt werden, die „für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind“. Die Händlerverträge dürfen auch nicht so gestaltet werden, dass sie den Lieferanten „die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb ausschalten“.

Gruppenfreistellung als Schlüssel

Die Hersteller haben nun selbst zu prüfen, ob ihre Vertriebssysteme dem Kartellverbot nach Absatz 1 unterliegen – oder ob sie die Ausnahmebedingungen des Absatz 3 erfüllen. Dabei hilft ihnen die sogenannte „Gruppenfreistellungsverordnung“ (GVO). In ihr wird definiert, was unter einem „selektiven Vertriebssystem“ zu verstehen ist. Sie legt fest, unter welchen näheren Voraussetzungen Vertriebsbindungen vom Kartellverbot des Artikel 101 „freigestellt“ sind.

Nach der Definition der GVO330/2010 fallen Händlerverträge unter die Einschränkungen des Artikel 101, wenn „sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind“. Das heißt, die Hersteller dürfen nur an die von ihnen ausgewählten Gebietshändler verkaufen, denen ist der Weiterverkauf an Händler außerhalb dieses Markennetzes verboten.

In den Händlerverträgen werden nun genau die jene Kriterien festgelegt, die ein Händler erfüllen muss, um den Qualitätsstandards des Herstellers zu entsprechen. Diese „qualitative Selektion“ ist generell dann zulässig, wenn die „Beschaffenheit des Produktes“ eine derartige Auswahl erforderlich macht. Das ist bei technisch anspruchsvollen Elektrogeräten ebenso der Fall wie etwa bei Autos und Autoreparaturen. Wobei es der Europäischen Kommission wichtig war, dass dieses Vertriebsnetz allen offen steht, welche die entsprechenden Qualitätskriterien erfüllen.

Gratwanderung

Für Händler und Hersteller haben derartige Vertriebssysteme zweifellos Vorteile. Sie haben dafür auch entsprechende Investitionen zu tätigen, die sich amortisieren müssen. Vorteile haben vor allem auch die Kunden, die sich in Fachgeschäften mit der neusten Technologie hautnah vertraut machen können. Bei Elektrohändlern, die vor dem „Beratungsklau“ zu schützen sind;  bei denen sich die Kunden aufwendig im Fachgeschäft beraten lassen, um dann bei „Trittbrettfahrern“ im Internet zuzuschlagen. Ein Problem, das es nicht nur in der Elektrobranche gibt.

Vertragshändler, mit denen die Industrie allerdings „auf Augenhöhe“ verhandeln  sollte. Damit es nicht heißt, dass sie von ihren Lieferanten unter Druck gesetzt werden. Das sind jene Argumente, die sowohl die Händler als auch Markenverantwortlichen der Wettbewerbsbehörde klar zu machen haben. Jene Lieferanten, bei denen das nicht der Fall ist, können nicht erwarten, von geknechteten Vertrags-„Partnern“ bei den Befragungen durch kritische Wettbewerbshüter gut beurteilt zu werden.

 

Was  generell verboten ist:

  • Einschränkungen der freien Preisbestimmung durch den Händler – Preisempfehlungen sind jedoch erlaubt;
  • Gebietsbeschränkungen, mit Ausnahme der „aktiven“ Bearbeitung jener Verkaufsgebiete, die bereits einem Markenkollegen zugeteilt wurden;
  • Beschränkungen des Verkaufs an Endverbraucher;
  • Verbot von Querlieferungen innerhalb des Vertriebsnetzes;
  • Über 5 Jahre hinausgehende Wettbewerbsklauseln;
  • Konkurrenzverbote nach Ende des Händlervertrages, außer es wird damit das Know how des Lieferanten gefährdet.
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Kommentare (3)

  1. Versteh ich wieder nicht

    An der Frage, ob die „Beschaffenheit des Produkts“ eine derartige Auswahl erforderlich macht, hängen grob verkürzt nach Ansicht der EU alle selektiven Vertriebssysteme in allen Sparten.
    ???

  2. Qualitative Selektion

    Der Schlüsselbegriff ist die „qualitative Selektion“. Damit kann ein Hersteller, dessen Produkte besondere Anforderungen an den Verkauf stellen, seine Vertriebspartner anhand festgelegter Merkmale wie Präsentation des Produkts in einem Ladengeschäft, geschultes Personal sowie Beratungstätigkeit im Geschäft auswählen. An der Frage, ob die „Beschaffenheit des Produkts“ eine derartige Auswahl erforderlich macht, hängen grob verkürzt nach Ansicht der EU alle selektiven Vertriebssysteme in allen Sparten.

    Beste Grüße
    Dominik Schebach

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