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Dienstag, 30. April 2024
Aus dem journalistischen Alltag

Das Phänomen der „relativen Antwort”

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 20.08.2017 | |  Archiv

Unsere Welt ist vernetzt und alles hängt – im wahrsten Sinne des Wortes – irgendwie zusammen. Offenbar so sehr, dass mittlerweile nicht einmal mehr vermeintlich simple Aussagen „Stand-Alone” getätigt, sondern in Zusammenhang mit anderen gesetzt werden. Relativierende Überlegungen zu einem absolut skurrilen Phänomen …

Klare Frage, klare Antwort. Das wurde den meisten von uns als Kindern eingebläut und beinahe tagtäglich erweist sich diese Volksweisheit tatsächlich als zutreffend. Auch im journalistischen Alltag hat dieses Prinzip nachweislich seine Berechtigung. Allerdings wird es von Gesprächspartnern mitunter gezielt untergraben.

Was damit gemeint ist, soll das folgende Beispiel verdeutlichen: Auf die exemplarische Frage „Wie laufen die Geschäfte?“ an Gesprächspartner X würde man als Antwort „gut“, „schlecht“, „hervorragend“, „bescheiden“, „so lala“ etc. erwarten und natürlich auch akzeptieren. Stattdessen wird aber zunächst die Gegenfrage „Was läuft’s denn bei den anderen?“ gestellt, und erst auf Basis der nun hinzugewonnen Information wird auf die ursprüngliche Frage eingegangen. Vielleicht hätte der Gefragte eigentlich „Spitze, wir liegen satte 7% im Plus“ sagen wollen, wenn aber alle Mitbewerber zweistellige Zuwachsraten verbuchen konnten, wird ihm wohl nicht mehr als ein unspektakuläres „ganz gut“ entfallen. Die Antwort ist somit „relativ“, weil sie nur aufgrund des Bezugs zu anderen Aussagen so ausgefallen ist, wie sie in dieser Situation eben ausgefallen ist.

Aus menschlicher wie auch geschäftlicher Sicht ist das völlig nachvollziehbar, denn wer lehnt sich schon gern (zu) weit aus dem Fenster bzw. tritt womöglich in ein Fettnäpfchen – gerade in Zeiten, wo nur allzugerne jedes noch so kleine Körnchen in die Waagschale geworfen (und daraus dann womöglich der sprichwörtliche „Strick“ gedreht) wird? Vom journalistischen Standpunkt aus betrachtet ist diese Verhaltensweise natürlich höchst unbefriedigend – weil dadurch der „Wert“ der Antwort geschmälert und dieser Effekt oft noch durch den Begleitumstand gesteigert wird, dass der Gefragte seine tatsächliche Meinung doch preisgibt, allerdings nur „inoffziell“ bzw hinter vorgehaltener Hand. Ein gut gemeinter Vertrausbeweis, der nur leider das Journalistenherz einer schmerzlichen Zerreißprobe unterzieht – schließlich ist man als solcher ja nicht nur dem Informationsgeber, sondern auch dem Leser verpflichtet.

Was natürlich nicht heißen soll, man dürfe als Interviewter beim Interviewer nicht interessenshalber nachfragen – aber bitte eben erst NACH der Beantwortung der Frage und nicht schon prophylaktisch.

P.S. Dieses von mir „relative Antwort” getaufte Phänomen ist glücklicherweise keineswegs die Regel, sondern die absolut seltene Ausnahme.

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