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Samstag, 27. April 2024
Jedem sein Paralleluniversum

Was ist aus uns geworden?

Hintergrund | Stefanie Bruckbauer | 25.03.2018 | | 2  Archiv
Paralleluniversum: Ein Mobile-Game versetzte die Welt kurzfristig in einen Ausnahmezustand, der seinesgleichen suchte. Global gingen Millionen Leute auf die Jagd nach kleinen bunten Monstern. Ganze Menschenschwärme nisteten sich in den Städten in Parks oder bei Denkmälern ein und versuchten dort so viele Pokémons wie möglich zu fangen, manch einer lief Kilometer weit um „Eier auszubrüten“ ... (Bild: pcgames/ Niantic) Paralleluniversum: Ein Mobile-Game versetzte die Welt kurzfristig in einen Ausnahmezustand, der seinesgleichen suchte. Global gingen Millionen Leute auf die Jagd nach kleinen bunten Monstern. Ganze Menschenschwärme nisteten sich in den Städten in Parks oder bei Denkmälern ein und versuchten dort so viele Pokémons wie möglich zu fangen, manch einer lief Kilometer weit um „Eier auszubrüten“ ... (Bild: pcgames/ Niantic)

Letztens hatte ich ein Déjà-vu. Vor meinem geistigen Auge ist ein Bild aufgetaucht, das ich so schnell nicht mehr vergessen werde. Hunderte Menschen auf einem Platz, alle mit gesenktem Haupt, als würden sie im kollektiven Rausch einer Gottheit huldigen, der sie nicht ins Antlitz schauen dürfen ... (Bild: pcgames/ Niantic)

Vor einiger Zeit versetzte ein Mobile-Game die Welt kurzfristig in einen Ausnahmezustand, der seinesgleichen sucht. Global gingen angeblich bis zu 45 Millionen Leute (!) auf die Jagd nach kleinen bunten Monstern. In den Städten sah man Menschenschwärme, die sich in Parks oder bei Denkmälern einnisteten, um dort so viele von diesen seltsamen Wesen wie möglich einzufangen, manch einer lief sogar Kilometer weit um „Eier auszubrüten“ …

Ich war an einem dieser Tage, als Hunderttausende auf die Jagd gingen, in München und dort sah ich etwas, was sich bis heute in mein Bildgedächtnis gebrannt hat: Auf einem der berühmtesten Plätze Münchens, auf dem Stachus, standen hunderte Menschen regungslos still und starrten gebannt auf ihr Smartphone, das sie in Händen hielten. Kein Schmäh: Außer mir und meinem Begleiter schauten alle mit gesenktem Haupt nach unten. Als würden sie im kollektiven Rausch einer Gottheit huldigen, der sie aber nicht ins Antlitz schauen dürfen dabei. Das war ein echt irrer Anblick … Letztens in Wien hatte ich ein Déjà-vu. Ich kam an einer großen Gruppe junger Leute vorbei, die regungs- sowie wortlos, jeder einzelne in sein Smartphone vertieft, nebeneinanderstanden. Mit ihren vom Display angeleuchteten, grünlich schimmernden Gesichtern wirkten sie wie paralysierte Außerirdische.

Was ist aus uns geworden? Ich erinnere mich zurück. Wenn wir Jugendliche uns trafen, war das ein Gewusel, Getratsche und weit hörbares Gelächter. Wir konnten kaum stillhalten, wie junge Hunde, und hatten den Kopf voller Blödheiten, die nur darauf warteten in die Tat umgesetzt zu werden. Und heute? Ich sehe kaum mehr Jugendgruppen, die miteinander reden und agieren (Ich frage mich ja, wie die sich später mal fortpflanzen werden …!? Aber egal, das ist ein anderes Thema.) Stattdessen sitzen sie nebeneinander und beschäftigen sich jeder für sich mit seinem Smartphone. Und angeblich macht sie das nicht einmal glücklich!! Denn, Forscher von der der Universität in San Diego haben herausgefunden: Jede Aktivität, die einen Bildschirm beinhaltet, ist verbunden mit weniger Zufriedenheit. Jugendliche, die viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, sind also im Schnitt unglücklicher. Warum also tun sie das dann? 

Verklärung – oder: Warum früher alles besser war 

Meine Oma hat immer gesagt „früher war alles besser“. Ich glaube ich werde alt, denn ich empfinde mittlerweile ähnlich. Ich habe das Gefühl, ich komme an manchen Stellen nicht mehr mit. Wofür wir früher Bravo und Rennbahnexpress gebraucht haben, dazu schaut die Jugend von heute Youtube. Wo wir früher Kassetten aufgenommen haben, erstellen Jugendliche heute Playlists auf Amazon, Deezer oder Apple Music. Wir haben unsere Freunde früher einmal pro Woche via „Viertel“- oder „Halb“-Telefon (wenn die Leitung gerade wieder mal frei war) wissen lassen, dass wir an sie denken. Heute tun das die Jungen mittels Snaps und Messages stündlich. Und wo wir früher unsere Eltern um Rat fragen mussten, schauen die jungen Leute von heute Web-Tutorials und erklären den „Alten“ wie die „neue“ Welt funktioniert. 

Aber es hat sich ja nicht nur die Jugend verändert, wir alle haben uns verändert und tun es weiter. Die Computer und Systeme werden zunehmend zu unserem erweiterten Lebensraum. Dort haben wir ein digitales Ich geschaffen, das uns überall hin begleitet und das wir durch unsere Online-Aktivitäten mit digitalem Leben füllen. Um diesen, unseren Avatar noch „lebendiger“ zu machen, füttern wir das Internet vorsätzlich und ahnungslos mit allen unseren Daten. Daten, die automatisch analysiert, kategorisiert und gespeichert werden, ohne dass wir uns darüber bewusst sind und ohne, dass wir die Prozesse dahinter verstehen. Aber das ist ja auch nebensächlich, wen interessiert das schon? Es funktioniert, wir denken nicht mehr daran und schon gar nicht darüber nach. Wir leben es und mittendrin, ohne es jemals anzuzweifeln. 

Wir haben uns ein Paralleluniversum geschaffen, in dem wir außerhalb unseres eigenen Ichs präsent sein müssen; eine digitale Welt, in der wir meinen uns behaupten zu müssen. Wir haben den Drang, unser Eigenbild in der Wahrnehmung der anderen manifestieren zu lassen und unser digitales Ich mit jeder Aktion und jeder Botschaft, wie Steinchen in einem Mosaik, ein Stück weit zu vervollständigen. Das Problem an der Sache ist: Wir haben in der digitalen Welt keinerlei Kontrolle mehr darüber, was von uns wie wahrgenommen wird. Je mehr wir über uns preisgeben, desto vielfältiger werden die Interpretationsmöglichkeiten. Die vielen Daten, die wir freiwillig aber auch fragmentiert und unkontrolliert preisgeben und teilen, können ein falsches Bild entstehen lassen. Das Gemeinte und das Verstandene gehen nämlich oft in entgegengesetzte Richtungen. Darauf müssen wir wieder reagieren und eingehen, stets getrieben vom Bedürfnis das Eigenbild und das Fremdbild irgendwie in Einklang zu bringen. Manches lässt sich korrigieren, manches nicht. In jedem Fall kostet es Zeit und Muße – beides Dinge, die uns immer weniger zur Verfügung stehen. Wir sind nicht mehr Herr unserer Kommunikation. Können wir gar nicht, denn diese Fülle an Informationen, die wir in die digitale Welt hinaus senden, ist nicht mehr überschaubar und schon gar nicht beherrschbar. Wenn wir eine Botschaft erst einmal in die digitale Welt hinausgelassen haben, können wir nichts mehr ändern oder gar rückgängig machen.

Von der Selbst- zur Fremdbestimmung 

„Aus der Selbstbestimmung in der realen Welt wird die Fremdbestimmung durch die digitale Welt“, schrieb ein Blogger, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe. Und warum akzeptieren wir diese Fremdbestimmung? Weil wir uns abhängig machen von dem Spaß-Faktor, der uns hinter den Glasscheiben unserer Smartphones geboten wird; weil wir fasziniert sind von den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Leider bemerken wir dabei nicht, wie wir zunehmend unsere Fähigkeit zur Empathie und unsere Menschlichkeit verlieren. Wir stumpfen ab und werden Teil einer Maschinerie, die auf Transparenz, Schnelligkeit, Effizienz und Erfolg ausgelegt ist. Die Doktrin lautet 24/7. Es wird von uns erwartet, dass wir ständig bereit und verfügbar sind, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche funktionieren, gleich einer Maschine im Dauerbetrieb. Dabei kann der Mensch diese rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit naturgemäß gar nicht erbringen. Er braucht Ruhe- und Regenerationsphasen um körperlich und geistig gesund zu bleiben, um zu überleben. Diese lebensnotwendige Ruhe gönnen wir uns allerdings nicht mehr. Stattdessen beschäftigen wir uns jede freie Minute mit dem Smartphone und der digitalen Welt. Es wird überprüft, mitgeteilt, kommentiert und teilgenommen. Wir werden den Maschinen immer ähnlicher, denn Maschinen kennen keine Langeweile.

Angst vor der Langeweile

Ich glaube, dass die meisten Menschen mittlerweile Angst vor der Langeweile haben. Langeweile haben ist uncool. Leute, die sagen „mir ist langweilig“, sind uncool. „Mit dem stimmt doch was nicht! Wem ist denn heutzutage langweilig…“, scheint die landläufige Meinung. Deswegen wird das Wort „Langeweile“ verbannt, und diese immerhin selbstbestimmte Phase des täglichen Lebens ersetzt durch hektische Betriebsamkeit bei der Darstellung unseres Selbst im Internet, … im schlimmsten Fall damit, dass wir mit irgendwelchen Apps, Spielen, Postings oder Videos unsere Zeit totschlagen. Dabei ist Langeweile doch der Antrieb für Kreativität. Wir sind in solchen Momenten einmal nicht fremdbestimmt, sondern lassen die aus der Langeweile auftauchenden Gedanken zu. Gedanken, die sonst keine Chance haben, wahrgenommen zu werden, weil sie im hektischen Dasein zwischen realem Alltag und digitalem Paralleluniversum untergehen…

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Kommentare (2)

  1. ein sehr nachdenklich machender Text

    Vielen sollten wir weniger pessimistisch sein – früher war ja wirklich nicht alles besser. Jede Generation hat ihre Herausforderungen zu meistern. Gerade tut sich sehr viel, wir befinden uns in einem Umbruch. Und damit zurechtkommen ist nicht einfach. Ich denke, es weiß gerade niemand, wohin die Reise letztendlich führt.

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