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Donnerstag, 2. Mai 2024
Service is our success. Hääähhh?

Kant für Manager

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 14.10.2018 | | 1  Archiv

Die breite Zustimmung scheint Wolf Lotter sicher, wenn er seinen brand.eins-Essay zum Thema Service mit folgenden Worten einleitet: „Die Digitalisierung zwingt uns dazu, Service neu zu denken. Aus einer Pflicht wird die Kür. Dienstleistung ist eine Beziehungswissenschaft.” Leider weichen in der Realität solche Einsichten – und damit auch ordentliches Service – verbreitet einer dumpfen Ertragsoptimierung. Dumpf deshalb, weil dabei übersehen wird, dass sich der Respekt vor dem Kunden in Form von gutem Service in bares Geld verwandeln lässt. Wenn man clever ist und sich die Zeit nimmt, darüber nachzudenken. Ja, wenn...

Wenn man sich um 6 Uhr morgens am Flughafen einfindet, ist die gute Laune naturgemäß enden wollend. Außer vielleicht, man weiß, dass am Ende des drohenden Langstreckenflugs Urlaub, Sonne, glasklares Meer, wunderbares Essen und herrliche Drinks an der Strandbar warten. In meinem Fall aber war es die uncharmante Kurzstrecke ohne Urlaub: Wien – Berlin, eingepfercht zwischen viel zu engen Sitzreihen und permanente Tuchfühlung mit dem Ellbogen des Nachbarn inklusive.

Daher auch die geringe Frustrationstoleranz, als beim Ausdruck des Koffer-Badges, (Self-Service lässt grüßen) nicht nur ein Computer-Terminal verrückt spielt, sondern sich auch die daneben liegenden solidarisch zeigen. Der Blutdruck steigt, die Intensität der Flüche ebenfalls. Bis sich jemand erbarmt, der es nach mehreren erfolglosen Versuchen schließlich doch noch schafft, mich meinen Koffer reisetauglich bekleben zu lassen.

Beim Rückflug von Berlin dann der Beweis, dass die Deutschen auch nicht besser sind: Gut 200 Passagiere bilden eine  nicht enden wollende Schlange vor zwei(!) geöffneten Schaltern der Gepäcksaufgabe – wie Kühe vor dem Weidetor, bevor es zum Melken Richtung Stall geht. Konsequenter Weise ist dann auch der Warteraum beim Gate viel zu klein. Sitzplatz? Fehlanzeige. Selber schuld, wer sich nach drei Tagen IFA  müde fühlt…

Aber zwei Stunden später schlägt Wien zurück. Nach 30 Minuten Wartezeit an der Gepäcksausgabe ist auch den Optimisten klar: Da ist etwas faul. Mittlerweile stehen die Passagiere von vier Flügen rund um das Förderband, auf dem seit 20 Minuten immer die gleichen Koffer aus Istanbul die Runde machen.

Da wird es sogar langweilig, sich zu überlegen, wieviele Kilo Reis das wohl sein mögen, die sich da neben dem aufgeplatzten Gepäcksstück auf dem Fließband breitmachen. Es passiert … nichts. Erst nach 45(!) langen Minuten verschwinden die „alten” Koffer und machen allen anderen Platz. Entschuldigung gibt es keine. Wir sind ja bloß Kühe, die darauf warten, in den Stall zu dürfen.

Szenen wie diese spielen sich täglich tausendfach ab, nicht nur am Flughafen. Die Probleme, denen sich Menschen in unserem Teil der Welt heute gegenüberstehen, sind meist weniger existenziell als noch für 50 oder 100 Jahren, aber deutlich vielfältiger. Ebenso wie die „Kontaktpunkte” des Einzelnen mit seiner Umwelt.

Das Grundproblem ist, dass Kundenorientierung nach und nach erschreckend konsequent durch brutale Ertragsoptimierung ersetzt wird. Dabei muss das eine das andere nicht ausschließen, wiewohl der Spagat zwischen den beiden Positionen mühsam ist.

Es fehlt jedoch an Zeit und Ressourcen für kreative und nachhaltige Lösungen, die den Tradeoff zwischen Kundenorientierung und Costcutting optimieren könnten. Zu groß ist der Erfolgsdruck durch Quartalsabschlüsse.

Es ist nicht zu übersehen, dass der Respekt vor dem Kunden immer weniger als ernstzunehmende Kategorie gilt, und die Betrachtung jener Menschen, die den Unternehmen das Geld ins Haus tragen, einer nüchternen – vielmehr zynischen – gewichen ist: Der Mensch wurde zur bloßen Zahl in einem Excel-Sheet, zum Umsatz-/Ertrags- oder Verlustbringer.

Dabei ist es im Grunde genommen ziemlich einfach: Am Ende des Tages steckt in jedem Menschen das Urbedürfnis, vom Gegenüber auf Augenhöhe erstens wahr- und zweitens ernstgenommen zu werden. Schafft man das als Unternehmen, steht man nicht mehr ausschließlich im Preiswettbewerb und kann für seine Waren bzw. Dienstleistungen angemessene Aufschläge verlangen.

Die Schizophrenie, die mit Kunden verachtendem Service einhergeht, ist erstaunlich, weil Manager, die ihre Kunden schlecht behandeln (lassen), in unzähligen Fällen wiederum selbst Kunden sind: Schon Immanuel Kant hat vor 250 Jahren mit dem Kategorischen Imperativ gemahnt, dass sich jeder Mensch stets so verhalten solle, dass dieser auch wollen muss, dass das eigene Verhalten zur allgemeinen Maxime wird. Kant gehört ganz offensichtlich nicht zum Kanon der Managementliteratur

Dabei ist Automatisierung eine ganz ausgezeichnete Sache, wenn sie uns Menschen lästige/gefährliche/langweilige Arbeiten abnimmt, uns entlastet und/oder Prozesse beschleunigt. Im besten Fall tut sie das, damit Menschen mehr Zeit für wesentliche Dinge haben.

Was vielfach jedoch passiert ist, dass das Wesentliche eines Prozesses, etwa die Kommunikation zwischen Menschen, durch Automatisierung ersetzt wird und sich damit – zum Nachteil aller – gegen ihre ursächliche Aufgabe wendet.

Das Paradoxe daran: Dieser traurige Trend wird aus einer Richtung konterkariert, aus der man das nicht erwarten würde. In der Verwaltung hat sich im vergangenen Jahrzehnt vieles zum Besseren gewandelt. Das muss bei aller Kritik einmal gesagt werden. Zwar ist auch dort der Trend zum „Self-Service” unübersehbar, doch in diesem Fall fast immer zum Vorteil des Bürgers, der noch dazu immer öfter nicht mehr als Bittsteller, sondern als Kunde betrachtet wird.

Ich bin davon überzeugt, dass die Art und Weise, wie ein Unternehmen seinen Kunden begegnet, tief in dessen Managementkultur verwurzelt ist und wesentlich auch mit der dort gelebten Kontinuität zu tun hat. An dieser Stelle fällt mir das kürzlich geführte, ausgesprochen erfrischende, Gespräch mit der neuen Miele-Chefin ein, die dem stets auf sympathische Art Kontinuität garantierenden Martin Melzer folgt. Sandra Kolleth verließ Xerox Austria nach 23(!) Jahren und scheint mir schon allein deshalb eine hervorragende Wahl zu sein.

Bei allem Ärger über sich ausbreitendes grauenhaftes Kundenservice, das selbstbewusste Kunden in bettelnde, erniedrigte Kreaturen verwandelt (die sich irgendwann dafür rächen), erkennen clevere Unternehmer gerade im Service mit Respekt vor jedem Kunden ihre große Chance und erheben die Pflicht nicht nur zu Kür, sondern zur Kunstform, die am Ende alle Seiten mit einem Lächeln zurücklässt. Es ist noch nicht alles verloren.

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