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Freitag, 26. April 2024
Der Bundesinnungsmeister im Interview zu Personalsituation und Arbeitsmarkt

Andreas Wirth: „Es gibt nichts Besseres”

E-Technik Die Branche | Wolfgang Schalko | 21.03.2023 | |  Wissen
Beim Kampf um Arbeits- und Fachkräfte attestiert Bundesinnungsmeister Andreas Wirth der Elektrotechnik gute Karten – die Themen der Branche seien in aller Munde und es gebe eine weltweite Jobgarantie. Beim Kampf um Arbeits- und Fachkräfte attestiert Bundesinnungsmeister Andreas Wirth der Elektrotechnik gute Karten – die Themen der Branche seien in aller Munde und es gebe eine weltweite Jobgarantie. (© WKÖ) Die Elektrotechnik umfasst ein breites Themenspektrum, das von Leitungs- und Kommunikationsinfrastruktur über Sicherheits- und Lichttechnik bis hin zur boomenden Energietechnik reicht. Ebenso vielfältig und zukunftsträchtig sind die beruflichen Möglichkeiten, die die Branche bereithält – inklusive einer „weltweiten Jobgarantie”, wie Bundesinnungsmeister Andreas Wirth betont. Dennoch müssen die Betriebe um Personal und Fachkräfte kämpfen.

E&W: Wie ist es um die Arbeits- und Fachkräfte im Elektrogewerbe bestellt? Die Anzahl der Betriebe ist zuletzt ja gewachsen, die Zahl der Lehrlinge ebenso.

Andreas Wirth: Ja, die Nachfrage steigt – bei den Lehrlingen beispielsweise verzeichneten wir ein Plus von 13%. Es gibt für einen jungen Menschen ja nichts Bessers, als mit einer Lehre in die Elektrotechnik einzusteigen. Als fertig ausgebildeter Elektrotechniker hat man weltweit eine Jobgarantie – das gibts nicht in jeder Branche. Über unsere Themen wie Erneuerbare Energien, Elektromobilität, Beleuchtung, etc. wird überall auf der Welt geredet, d.h. unsere Branche ist so im Kommen und Wachsen, dass das auch zukunftsorientiert ist. Sprich, ein nachhaltiger Job – und damit wollen wir die jungen Leute auch abholen: Kommt zu uns, werdet Teil der Energiewende und Energiezukunft! Wir haben vor zwei Jahren eine Kampagne gemeinsam mit Industrie und Großhandel gestartet, mit der wir breit in die Medien gegangen sind, u.a. in den ORF, auf Ö3, in die Social Media etc., und dort massiv unseren Berufsstand beworben haben. Das hat sicher einiges zu den hohen Lehrlingszahlen beigetragen.

Sind die Zahlen damit so hoch, wie von den Betrieben benötigt? Bzw. lässt sich ein etwaiger Bedarf beziffern?

Wir hatten eine Studie in Auftrag gegeben um zu eruieren, wie viele Mitarbeiter unsere Branche überhaupt bräuchte. Wir mussten diese Studie allerdings wieder beenden, denn mit diesem Ansatz kommt man nicht weiter. Das Problem besteht darin, dass uns schlichtweg das Material fehlt. D.h. es fehlen die Mitarbeiter nicht nur uns im Handwerk und Gewerbe, sondern sie fehlen im gesamten Wertschöpfungskreislauf, angefangen bei den Ingenieuren über die Produzierenden bis hin zu den Händlern und Lieferanten. Was nützen uns also die Mitarbeiter, wenn wir keine Materialien haben? Was wiederum der Situation bei den Halbleitern geschuldet ist, denn da stockt es gewaltig in der Produktion. Und weil wir als Elektriker die letzten in der Kette sind, dürfen wir den Endkunden dann erklären, warum nichts weitergeht. Somit sind nicht nur wir, sondern es ist die gesamte Wertschöpfungskette beim Thema Mitarbeiter gefordert. Wir im Handwerk und Gewerbe haben unsere Hausaufgaben gemacht, aber speziell die Industrie hinkt hier noch deutlich hinterher.

Im Zuge der Studie wurden auch die Zahlen zum sog. Elektropraktiker erhoben, der Anfang 2021 ins Leben gerufen wurde, um dem Personalmangel zu begegnen. Dieser ordnet sich im nationalen Qualifikationsrahmen auf Stufe 3 ein – NQR 6 ist der Befähigte bzw. Meister, NQR 5 ist der Elektriker mit Lehrabschluss und Zusatzqualifikationen, NQR 4 ist jemand mit klassischem Lehrabschluss und eine Stufe tiefer gibt‘s den NQR 3, den wir Elektropraktiker nennen. So wollen wir Menschen aus der Arbeitslosigkeit ins Berufsleben hereinholen, indem diese auf kürzestem Weg lernen, wie man z.B. Photovoltaik montiert – und nur montiert, nicht anschließt. Dafür gibt es festgelegte Tätigkeiten, die innerhalb von drei Monaten vermittelt und antrainiert werden, sodass die Elektropraktiker dann bei der PV-Montage unterstützen können. In Niederösterreich wollen wir über diese Schiene jetzt auch ein Projekt mit Flüchtlingen starten, denn auch aus dieser Gruppe wollen wir natürlich Menschen in die Branche bringen.

Wie viele Elektropraktiker wurden schon ausgebildet?

Bisher knapp 400 in ganz Österreich und dieses Programm läuft ja weiter. Damals beim Start haben wir den Bedarf mit mindestens 2.000 Elektrofachkräften beziffert, die wir in den kommenden drei Jahren benötigen würden. 400 haben wir bei den Elektropraktikern geschafft, daneben 13% Anstieg bei den Lehrlingen – aber in Summe hinken wir der Zielvorgabe hinterher. Und das wirklich massive Problem besteht darin, dass die geburtenschwachen Jahrgänge erst kommen, während auf der anderen Seite die starken Jahrgänge in Pension gehen. Ich befürchte, das wird einen ordentlichen Crash geben, und wir werden in den nächsten Jahren noch händeringend nach Arbeitskräften – von ausgebildeten Fachkräften ganz zu schweigen – suchen.

Die Situation wird sich in den nächsten Jahren also noch verschärfen?

Definitiv.

Selbst wenn es aus den zuvor genannten Gründen derzeit keinen unermesslichen Bedarf an Arbeitskräften in der Elektrotechnik gibt, ergreift man trotzdem Maßnahmen zur Steigerung der Lehrlingszahlen bzw. um Um- und Einsteiger zu motivieren?

Die gemeinsame Kampagne mit Großhandel und Industrie wird fortgesetzt und sogar ausgebaut (Anm.: Alle Details dazu auf elektroausbildung.at). Wir werden heuer definitiv weiter in die Offensive gehen und kräftig die Werbetrommel rühren, denn auf Sicht werden wir noch mehr Fachkräfte brauchen und somit auch mehr Lehrlinge ausbilden müssen – daher müssen wir diese Initiative entsprechend forcieren. Momentan besteht die größte Herausforderung einfach darin, dass praktisch jede Branche Personal sucht und wir alle im selben Teich fischen. Diese Situation aufzulösen ist schwierig, weil sich jeder gleich auf den Schlips getreten fühlt, wenn man z.B. für eine Erhöhung des Pensionsalters oder andere „heikle” Maßnahmen eintritt – aber es wird in diese Richtung gehen müssen.

Dazu kommen noch zwei Aspekte: Erstens die „Teilzeit-Mentalität”, die dem ganzen System nicht sehr dienlich ist, und zweitens die fehlende Steigerung der Produktivität – im Gewerbe und Handwerk wird vieles ja noch immer gemacht wie anno dazumals.

Bei manchen Dingen frage ich mich ernsthaft, warum das noch nicht geht. Beispielsweise bei den klassischen Stemmarbeiten: Der Maurer stellt die Mauern auf und dann kommen wir und stemmen unsere Kabelkanäle ein – warum das noch immer nicht automatisiert von einer Maschine bzw. einem Roboter eingefräst wird, wundert mich bis heute. Aber ich bin in dieser Hinsicht mit der TU Wien in Kontakt, weil wir als Berufsgruppe in der Forschung praxisnahe Tipps geben wollen, was man machen kann. Ich schwärme ja noch immer von der Drohne, die das PV-Modul aufs Dach fliegt…

Welche Stimmung herrscht bezüglich der Personalsituation bei den Betrieben draußen?

Das ist sehr unterschiedlich. Einerseits gibt es Betriebe, die Personal suchen weil sie mehr machen und sich vergrößern wollen, andererseits gibt es welche – oft schon in einem gewissen Alter –, die ihr Geschäft quasi nur noch bis zur Pension „rüberbringen” wollen. Wir erleben hier also große Schwankungen, aber ebenso bei der Lehrlingsausbildung: vier, fünf oder vielleicht sogar auch zehn Jahre vor der Pension nehmen Betriebe oft keinen neuen Lehrling mehr. Ähnliches gilt für Betriebsnachfolge bzw. -übergabe – da müssen wir unbedingt mehr Schwung reinbringen. Ich hatte ja schon die Idee einer Art „Nachfolgebörse”, über die sich ein Firmeninhaber, der schließen will, mit potenziellen Nachfolgern oder Betrieben, die einsteigen wollen, kurzschließen kann. Das ist leider nicht angenommen worden.

Aber gerade weil manche Betriebe bei der Ausbildung nachlassen, muss man sich etwas überlegen: Denn die duale Ausbildung ist aus meiner Sicht eines der besten Systeme, die es gibt, aber man kann sie nur vorantreiben, wenn man neben den Schulen auch die Betriebe hat. Ein Betrieb investiert in den Lehrling, der eine relativ hohe Lehrlingsentschädigung bekommt, während ein Jugendlicher in der HTL seine Ausbildung vom Staat bezahlt bekommt – noch dazu verbunden mit dem Risiko, dass der Lehrling nach Abschluss seiner Ausbildung den Betrieb verlassen könnte. Hier wird die öffentliche Hand zumindest „Zuckerl” verteilen müssen an die Betriebe, damit diese mehr ausbilden – denn ich bin überzeugt, dass da mit entsprechenden Anreizen mehr gehen würde.

Gibt es Bereiche, wo das Thema Fachkräfte besonders „brennt”?

Es braucht unsere ganze Branche. Oft wird die Photovoltaik angesprochen, weil das gerade der boomende Bereich ist, aber es bringt ja nichts, die PV-Anlage am Dach zu haben, wenn der Zählerkasten nicht fertig ist. Unser Betätigungsfeld ist einfach sehr umfangreich und wir benötigen grundsätzlich die klassischen Elektrotechniker, die dann ohnehin diverse Zusatzausbildungen machen können. D.h. wir vermitteln die Basics und ergänzen diese dann bedarfsorientiert – so wie es im Grunde jetzt auch passiert. Das ist aus meiner Sicht der goldene Weg.

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