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Samstag, 27. April 2024
Markus Gubler über den notwendigen Paradigmenwechsel in der Branche

Das Recht auf nachhaltige Produkte

Markus Gubler | 05.06.2023 | | 1  
Wachsende Elektroschrott-Berge machen einen Paradigmenwechsel notwendig. Wachsende Elektroschrott-Berge machen einen Paradigmenwechsel notwendig. (© Reuse / DRZ-Wien) Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde und wird von den Konsumenten auch immer stärker ein- gefordert. Markus Gubler, Head of After Sales bei Ingram Micro, ist allerdings der Ansicht, dass dieser Wunsch von den Herstellern bisher viel zu wenig berücksichtigt wurde. Doch nun ändert sich die Lage, und das bringt für die Branche nicht nur neue Rahmenbedingungen, sondern wertet auch die Beratungsleistung am POS und im After Sales Service auf, wie Gubler in seinem Kommentar darlegt.

Ich durfte Ende des letzten Jahres bereits ein paar Zeilen in der E&W über Nachhaltigkeit und Reparierbarkeit von Elektrogeräten schreiben. Gerne nutze ich die Möglichkeit, die damaligen Ge- danken weiter zu spinnen. Mit Wohlwollen stelle ich fest, dass Themen zur Nachhaltigkeit weiter Fahrt aufnehmen. Seit April liegt ein erster Europäischer Gesetzentwurf auf, der das Recht auf Reparatur gesetzlich verankern soll. Kernpunkte dieses Vorschlages sind: Ausweitung der Gewährleistung, ein Recht auf eine Reparatur nach Ablauf der Garantiezeit, die Unterstützung bei der Suche nach einer Servicestelle und transparente Reparaturkosten. Der Entwurf mag noch Mängel aufweisen und bis zu seiner Einführung wird vielleicht noch viel Wasser die Donau hinunterfließen, aber die Marschrichtung ist klar. Zukünftig soll mehr repariert werden und damit eine Trendumkehr beim noch immer wachsenden Elektroschrott eingeleitet werden.

Wie groß dieser Hightech-Abfallberg ist, zeigt folgendes Bild eindrucksvoll: Der in Österreich jährlich anfallende Elektroschrott von 130.000 Tonnen entspricht dem Gewicht von 300 Prater-Riesenrädern, welches sich im Übrigen seit 1897, zur Freude vieler Besucher, täglich brav dreht und damit seit 126 Jahren repariert werden kann. Es gibt einfach stich- haltige Argumente, in Sachen Nachhaltigkeit umzudenken. Dabei ist es nicht nur unsere Erde, die uns einen schonenderen Umgang mit Rohstoffen verdanken würde. Umfragen beim Verbraucher zeigen ebenfalls den klaren Wunsch, die liebgewonnenen Geräte reparieren zu lassen, statt mit neuen Geräten zu ersetzen.

Heiße Kartoffel

Seit Jahren wird dieser Kundenwunsch durch die Industrie stoisch ignoriert. Warum das Thema wie eine „heiße Kartoffel“ behandelt wird, liegt meiner Einschätzung nach auf der Hand. Nachhaltigere Geräte bedeuten weniger Absatz von Neugeräten. Aber würde der Erste, der auf nachhaltige Produkte umstellt, nicht auch mit Marktanteilen belohnt wer- den? Könnten mit dem Verkauf von Ersatz- teilen und Reparaturdienstleistungen nicht auch zusätzliche Umsätze generiert werden? Ist in Wahrheit nicht das Aussitzen und Warten auf verpflichtende Vorschriften das echte und unkalkulierbare Risiko? Die Diskussion, ob weniger Umsatz auch weniger Profit bedeuten muss, lasse ich an dieser Stelle als Frage stehen.

In meinem privaten Umfeld werde ich oft um Rat bei Neuanschaffungen gefragt. Die Frage lautet, welches Gerät welches Herstellers qualitativ herausragend sei, zusätzlich einen tollen Reparaturservice habe und ich daher ohne Vorbehalte zum Kauf empfehlen könne. Bei dieser Frage keine falsche Expertise abzugeben oder gar liebe Freundschaften zu gefährden, heißt, sich auf dünnem Eis zu bewegen – eine äußerst diffizile Situation.

Meiner Erfahrung nach ist es weder der Anschaffungspreis noch ein bestimmter Hersteller, der garantiert, dass einem Produkt in punkto Nachhaltigkeit eine sorgenfreie Zukunft beschert ist. Lobenswerte Ausnah- men sind eher selten und bestätigen diese Regel!

Keine einfache Regel

Es ist gut möglich, dass in einem günstigen Modell die gleichen Komponenten verbaut sind wie im teureren Modell. Zwar sind dann meist im leistungsfähigeren Gerät zusätzliche Module für erweiterte Funktionen enthalten, die dann aber auch die Wahrscheinlichkeit von Fehlfunktionen erhöhen. Im schlimmsten Falle hat ein günstigeres Gerät ältere, aber ausgereifte Technik ohne Kinderkrankheiten verbaut und ist in punkto Nachhaltigkeit sogar besser. Wohl gemerkt, dass muss nicht so sein und ein teures Gerät erfüllt die Erwartung auf bessere Qualität, und im Falle eines Mangels kann dieses Gerät mit einer kompetenten Stärkung der Kundenbindung und Mund zu Mund-Propaganda gibt es gratis dazu.

Diese Transformation mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Reparierbarkeit muss jedoch mit allen Konsequenzen vollzogen werden. Dazu ist ein echter Paradigmenwechsel notwendig und nicht nur schöne Marketingkampagnen und CO2-Zertifikate. Dass ich nicht ganz falsch liegen kann, zeigt der Erfolg des Reparaturbonus. Dieser wurde im ersten Jahr bereits über 500.000 Mal genutzt und für dieses Jahr nochmals um 50 Mio. Euro aufgestockt. Mit dieser halben Million Reparaturen konnten immerhin ca. 2% des heimischen Elektroschrottes vermieden werden.

Die Zeit ist reif

Als ich vor kurzem die Möglichkeit bekam, die Firma Helferline zu besuchen, war für mich eindrucks- voll zu sehen, dass Kunden auch dafür bereit sind, für eine ausschließlich technische Beratung zu bezahlen. Denn Helferline lebt allein davon, ihre Kunden technisch zu unterstützen und dafür verlangen sie einen Lohn. Es hat mich sehr beindruckt, dass ein paar junge Unternehmer den Verkauf einer reinen Beratungsdienstleistung in der Elektro-Branche erfolgreich verwirklicht haben. Jahrzehntelang wird schon diskutiert, dass es nur fair sei, wenn (technische) Beratung auch etwas kostet und verrechnet werden kann. Mutige und innovative Menschen haben genau das umgesetzt. Bravo!

 

Markus Gubler

Markus Gubler (Bild: Ingram Micro)

Als gelernter Fernseh- und Radiotechniker hat Markus Gubler sein Hobby zum Beruf gemacht. Der Schweizer war lange Jahre der Geschäftsführer der Mobiltouch. Derzeit ist Gubler Head of After Sales bei dem ITK-Distributor Ingram Micro.

 

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Kommentare (1)

  1. Die Synchronisation von zeitgemäßem Fortschritt und nachhaltigen Praktiken darzustellen, ist eine äußerst komplexe Herausforderung. Insbesondere in der Branche der Embedded Computerindustrie steht die Entwicklung leistungsstarker Produkte im Vordergrund, die den vielfältigen Anforderungen der Kunden gerecht werden sollen. In diesem Kontext bedarf es einer Neuausrichtung des Nachhaltigkeitskonzepts oder zumindest der Festlegung klarer Standards.

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