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Dienstag, 7. Mai 2024
Ein Tabuthema, das jung und alt betrifft

Plaudern gegen die Einsamkeit

Stefanie Bruckbauer | 25.06.2023 | Bilder | | 4  Meinung
Letztens beim Einkaufen hatte ich ein Erlebnis, das mich sehr nachdenklich stimmte. Es geht um ein sehr schambesetztes Thema, das in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiert wird, und dem dringend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsste. Glücklicherweise gibt es mittlerweile ein paar Ansätze, die sich dem Problem stellen – eine wichtige Rolle spielt dabei der stationäre Handel.

Prolog

Die Waren aufs Band legen, auf der anderen Seite schnell wieder einpacken, bezahlen, und das am besten mit Karte (damit es ja schnell geht) weil wenn man anfängt einzelne Cent aus dem Geldbörselmünzfach zu suchen, dann ist Schluss mit der Geduld der Hintermänner. An vielen Supermarktkassen kann man echt in Stress kommen – besonders dann, wenn der Hintermann stöhnt, mit den Augen rollt und fiese Kommentare schiebt, während die Schlange der anstehenden Kunden immer länger und länger wird.

Mein Erlebnis

Hektik im Alltag. Wieder Mal habe ich mir viel zu viel vorgenommen für einen Tag, der nur rund 14 Stunden hat, aber es hilft nichts: Ich muss zwischendurch auch noch Einkaufen gehen. Ich zische also durch den Supermarkt, suche die Sachen zusammen, die ich brauche, mache mich auf den Weg zur Kassa, ich bin gut in der Zeit, habe mich ja auch beeilt, doch plötzlich: Stillstand – an der Kassa. Ich bin der fünfte Kunde, der angestellt ist; liebäugle mit dem Schild über mir, auf dem darauf hingewiesen wird, dass wegen mir (also dem fünften Kunden, der angestellt ist), eine weitere Kassa geöffnet würde, wenn ich das wünsche. Ich denke kurz darüber nach, als ich plötzlich abgelenkt werde, von einer tiefen Stimme, die raunzt: „Mein Gott, scho wieder so a Groscherlzählerin! Geh‘, tuats doch weidaaaa!“

Wie viele Menschen hierzulande unter ständigem Alleinsein leiden, ist nicht quantifizierbar. Es gibt Schätzungen, die von hunderttausenden Menschen in Österreich ausgehen. (Bild: Pixabay)

Ich blicke seitlich an der Kundenschlage (die sich noch keinen Meter weiterbewegt hat) vorbei nach vorne, und sehe eine ältere, zierliche Dame, die eh schon überfordert von der üblicherweise im Kassenbereich großer Supermärkte herrschenden Hektik, in ihrem Geldbörsel nach Münzen sucht, um der Kassiererin den zu zahlenden Betrag genau geben zu können. „Warum die Penserln immer dann einkaufen gehen müssen, wenn auch das arbeitende Volk nach der Hak‘n einkaufen geht!?“, tönte es zwei Leute vor mir aus der Schlange. „Geh Oma, zahl‘ doch mit Karteee!“, stimmte ein weiterer ein. Ich sehe der älteren Dame an, dass sie sich überhaupt nicht wohl fühlt.

Später dann, als auch ich den Bezahlvorgang erledigt hatte, stand die ältere Dame noch immer im Kassenbereich und räumte ihren Einkauf in die mitgebrachte Tasche. Als es dann darum ging, diese Tasche auch noch in den Einkaufstrolley zu hieven, fragte ich sie, ob ich ihr helfen darf und sie nahm dankbar an. Wir plauderten dann noch ein paar Minuten und sie erzählte mir, dass sie allein lebe. Ihr Mann sei gestorben, ihr einziger Sohn lebe im Ausland – hält wenig Kontakt. Freunde habe sie in ihrem Alter auch nur mehr wenige, eigentlich keine, und sie gehe halt gerne drei Mal die Woche zum Eurospar, weil sie da unter Leute kommt, vielleicht ein bisal Ansprache findet, wozu sie sonst eigentlich nie die Gelegenheit habe … mir hat es das Herz zerrissen.

Tendenz steigend

Einsamkeit ist ein ganz schlimmer Zustand, ein Gefühl, das auf Dauer sogar krank macht. Eine weltweite Einsamkeitsstudie schätzt, dass bis zu 10% der Erwachsenen betroffen sind. Wie viele Menschen hierzulande allerdings wirklich unter ständigem Alleinsein leiden, ist nicht quantifizierbar. Es gibt Schätzungen, die von hunderttausenden Menschen in Österreich ausgehen. Laut Diakonie sind es sogar noch viel mehr, nämlich rund 20% der Bevölkerung. Das wären 1,6 Millionen Menschen, die hierzulande dauerhaft von Einsamkeit betroffen sind. Einsamkeit empfinden übrigens nicht nur ältere Menschen. Einsamkeit findet sich in allen Altersgruppen – Tendenz steigend, vor allem seit Corona. Und deswegen empfehlen immer mehr Experten, etwas gegen die „Pandemie der Einsamkeit“ zu unternehmen.

Ein Ministerium und eine Plattform gegen die Einsamkeit

Großbritannien und Japan sind uns dabei schon einen Schritt voraus und haben in den vergangenen Jahren ein eigenes Einsamkeitsministerium eingeführt. Premierministerin Theresa May begründete den Schritt mit der „traurigen Realität des modernen Lebens“, die Millionen Menschen betreffe. Auch in Deutschland denkt man laut über eine „Einsamkeitsstrategie“ nach und in den Niederlanden schmiedeten Regierung und Monarch 2018 den „Pakt gegen die Einsamkeit“.

In Österreich ist zwar noch kein eigenes Ministerium gegen die Einsamkeit angedacht, aber es gibt immer mehr Initiativen, die niederschwellige Angebote zur Kontaktaufnahme für einsame Menschen schaffen. So zB. die Website „www.plattform-gegen-einsamkeit.at“, die mit ihrem umfangreichen Angebot zur Enttabuisierung des Themas beitragen möchte, oder das 2020 von Caritas, Magenta Telekom und Kronen Zeitung initiierte Projekt „Plaudernetz“.

Das Bedürfnis nach Ansprache wächst

Eines ist ganz deutlich sichtbar: Das Bedürfnis nach Ansprache wächst – vor allem bei der älteren Generation. Das wissen ua. auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Plaudernetzes. Die Anrufer bei dieser Einrichtung sind im Schnitt 60 Jahre alt, zu drei Viertel weiblich und telefonieren rund 25 Minuten lang. Mehr als 34.000 Gespräche wurden seit der Gründung im April 2020 geführt, täglich kommen 50 bis 70 hinzu. So viel zu den trockenen Zahlen und Fakten einer Einrichtung, die sich der Einsamkeit angenommen hat.

Ein wundervoller Ansatz

Der „Chat Checkout“, wo es beim Bezahlen auch mal ein bisschen länger dauern darf. (Bild: Jumbo.com)

Das Schöne ist: Immer mehr Menschen nehmen sich dem Thema an. Ein wundervoller Ansatz ist, die Einsamkeit zu bekämpfen, indem man sich Zeit nimmt. Und ein Supermarkt (Jumbo) in den Niederlanden hat diesen Gedanken schon 2019 einfach in die Tat umgesetzt – mit einer „Kaffee-Ecke“ (dem „All Together Coffee Corner“) und einer speziellen „Plauderkassa“ (oder auch „Chat Checkout“).

Der „All Together Coffee Corner“ ist ein Treffpunkt, an dem sich ältere Menschen und Anwohner bzw. Freiwillige der Stiftung „Alles voor Mekaar“ (übersetzt „alles füreinander“) in einem sicheren und einladenden Raum treffen und gemeinsam Zeit verbringen können. Der „Chat Checkout“ ist hingegen für Leute, die beim Einkaufen gerne ein wenig plaudern würden. An dieser speziellen Plauderkassa dürfen die Dinge ruhig etwas länger dauern, da sich die Kassierer Zeit für einen Plausch nehmen.

Diese zwei großartigen Initiativen finden so großen Anklang, dass bereits weitere „Kletskassa“ eröffnet wurden und 200 weitere in den gesamten Niederlanden geplant sind. Auch in der Schweiz will man der Einsamkeit in der Gesellschaft entgegenwirken, indem die Menschen ins Gespräch kommen. So gibt es auch schon in einigen Filialen des Lebensmittelhändlers Migros Plauderkassen, die übrigens nicht nur von älteren Menschen genützt würden, sondern auch von Jüngeren, wie ein Kassierer erzählt.

Den Händlern muss natürlich bewusst sein, dass man an den „Ratschkassen“ nicht den Umsatz macht wie üblich an „normalen“ Kassen. Wenn von beispielsweise acht Kassen alle so langsam wären, dann könnte der Laden irgendwann zu machen müssen. Letztlich muss das Verhältnis ausgewogen sein. Und vielleicht kommen ja zusätzliche Kunden, die extra wegen der „Plauderkassa“ einkaufen kommen.

Mittlerweile richten auch deutsche Handelsunternehmen solche Angebote ein. In einem Edeka-Markt in Buxheim wurde eine „Ratschkasse“ eröffnet, die an vier Wochentagen jeweils zwei Stunden am Vormittag geöffnet ist. Einmal in der Woche ist die Plauderkassa in einem Edeka in Schweinfurt geöffnet – allerdings nur für vier Stunden. Ob ein zeitlich eingeschränktes Angebot ausreichend vielen Menschen, die eine „Ratschkasse“ nutzen würden, gerecht wird, bleibt offen.

Insgesamt ist die Resonanz auf solche Plauderkassen durchwegs positiv. Und auch ich finde diese Initiativen ganz wundervoll! Erstens, weil ich überzeugt bin, dass wir als alternde Gesellschaft dem Phänomen Einsamkeit dringend mehr Aufmerksamkeit widmen müssen und spezielle Angebote für ältere und oft einsame Menschen dringend benötigen. Und zweitens, weil diese Beispiele zeigen, wo der stationäre Handel seine großen Stärken hat: nämlich im sozialen und lokalen Kontakt.

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Kommentare (4)

  1. Ich komme noch aus einer anderen Zeit, da sind Kunden zum Plaudern vorbeigekommen und haben auch etwas gekauft. Hi und da haben sie uns Personal sogar Einkäufe erledigt oder Besorgungen gemacht. Es war eine andere Zeit

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  2. Das Traurige ist, daß die Mitarbeiter ja selbst nicht mal Zeit zum Plaudern haben, weil sie Regale einschlichten, kassieren, LKW ausladen, heruntergefallene Marmeladegläser aufkehren und sonstige Nebenarbeiten durchführen müssen. Mehr Personal wäre daher gut, aber …. naja.

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  3. Sehr gut beobachtet und gut dosiert gebracht!
    Es ist hpts. die Generation der höchst gebildeten, vernetzten, unabkömmlichen, trotz Stress unkaputtbaren und sich ewig jung haltenden Menschen, … welche solche Absonderungen ablässt. Ja, die stehen oft echt unter Druck, doch den Frust an Oma und Opa auslassen hilft nichts.
    Meinereiner steht dazwischen und mir ist teils zum Fremdschämen, aber auch Bange, weil man selber auch schneller als einem lieb ist in das Alter kommt oder und in eine gesundheitliche Problemlage.

    Diese Initiativen wie ein „Chat Checkout“ („Plauderkasse“ ist besser!) sind echt vorbildlich, hoffe, das macht Schule!
    Besonders, wo sich die Servicewüste stets weiter ausbreitet, weil viele Unternehmer den Druck von oben haben und dies u.U. bis zu den Mitarbeitern durchschlägt, tut so eine „Oase der Gespräche“ gut.

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