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(K)eine Frage der Ehre

Hintergrund | Wolfgang Grasl | 17.09.2017 | Downloads | |  Archiv
Es geht um zwei Unternehmen, die auch mir seit meiner Zeit als technik- und Hi-Fi-affiner Jugendlicher wichtig sind, und eine Geschichte, die auch bei mir letztes Jahr auf großes Unverständnis gestoßen ist...(Foto: Revox) Es geht um zwei Unternehmen, die auch mir seit meiner Zeit als technik- und Hi-Fi-affiner Jugendlicher wichtig sind, und eine Geschichte, die auch bei mir letztes Jahr auf großes Unverständnis gestoßen ist...(Foto: Revox)

Eigentlich wollte ich heute über den unterschätzten Einfluss von „Verbesserungen in kleinen Schritten“ schreiben, doch Sätze die mit „eigentlich“ beginnen haben dann meistens ein „aber“ in der Mitte. Dieses „aber“ bezieht sich in diesem Fall auf die Tatsache, dass mir Andreas Rockenbauer wieder einmal tolle Stichworte mit seinem aktuellen Editorial „Von Higgs Teilchen im All“ geliefert hat ... Konkret geht es um zwei Unternehmen, die auch mir seit meiner Zeit als technik- und Hi-Fi-affiner Jugendlicher wichtig sind, und eine Geschichte, die auch bei mir letztes Jahr auf großes Unverständnis gestoßen ist...

In seinem aktuellen Editorial mit dem Titel „Von Higgs Teilchen im All“ (E&W 9/2017) erzählt Andreas Rockenbauer von einem Stück beidseitig bedruckten Kartons, das er in seiner Brieftasche mit sich herumträgt. Auf der einen Seite steht „Ich bin der Mittelpunkt der Welt“. Auf der anderen steht: „Ich bin ein Staubkorn im All“. Diese Karte drückt zwei gänzlich unterschiedliche Perspektiven aus, die man in verschiedenen Lebenssituationen einnehmen kann, und sie soll daran erinnern, die richtige Perspektive zum richtigen Zeitpunkt zu wählen. Viele Menschen stecken jedoch in einer der Perspektiven fest – vor allem in unserer Branche. So ist in großen Unternehmen tendenziell die Mittelpunktperspektive weit verbreitet … (das ganze Editorial „Von Higgs Teilchen im All“ zum Nachlesen finden Sie hier im Downloadbereich).

Diese Erfahrung habe auch ich in meinem Berufsleben gemacht. Scheinbar werden es wirklich immer mehr seelenlose Unternehmen am internationalen Parkett, Weltkonzerne, denen eine ganzheitliche Sichtweise scheinbar völlig fehlt, die darauf vergessen, dass es Menschen sind, die hinter ihrem Erfolg stehen, Firmen, die lokale Kulturen ignorieren, bei denen Compliance Richtlinien und Misstrauen wesentlich höher im Rang stehen, als Hausverstand und Vertrauen. Diese Unternehmen bekommen ihr Verhalten früher oder später von ihren verbliebenen Mitarbeitern gespiegelt, indem diese nur mehr Fatalismus oder eine „Dienst nach Vorschrift“-Kultur an den Tag legen. Die Unternehmen selbst verschwinden schließlich früher oder später im billigen Einheitsbrei – und ich meine billig und nicht unbedingt günstig.

Letztlich sind es aber nicht Firmen die charakterlos agieren, sondern einzelne Individuen, sogenannte Manager die seit langem nur die „Ich bin der Mittelpunkt der Welt“-Seite der Karte kennen und die sich bei seltsamen Entscheidungen oft hinter der Anonymität des Konzerns oder einer ohnehin verhassten Consulting Firma verstecken. Das zeigt mir wieder wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich mittlerweile einen großen Teil meiner beruflichen Zeit mit Unternehmen verbringe, die versuchen „das große Ganze“ zu sehen und einen langfristigen, nachhaltigen Erfolg dem kurzfristigen Gewinn auf Kosten anderer vorzuziehen.

So kenne ich viele Firmen, die zB. die Loyalität zu ihren Mitarbeitern und deren Aus- und Weiterbildung als wichtigste Grundlage sehen, um sich ständig verbessern und auf Spitzenpositionen am Markt halten zu können. Diese „ständige Verbesserung“ ist es was Firmen oft in die Champions-League hebt und sie funktioniert nur wirklich wenn die Mitarbeiter entsprechend motiviert sind und die Führungskräfte auch die „Ich bin ein Staubkorn im Universum“-Seite der Karte kennen. Dann sind sie in der Lage zu vertrauen und Verantwortung abzugeben. Die Mitarbeiter wissen ohnehin was zu tun ist – wenn man sie lässt.

Industrielles Mutter-Teresa-Syndrom

Natürlich gibt es auch viele „Nicht-Lean“ Unternehmen die ganz tolle Werte haben, ihre Mitarbeiter gut behandeln und insgesamt als vernünftig im Sinne eines ganzheitlichen, menschlichen Geschäftsverständnisses handeln. Und umgekehrt gibt es auch Unternehmen, die behaupten sie leben die Lean-Philosophie, aber nur kurzfristige Gewinnmaximierung wollen und ihre Mankos in Sachen Menschlichkeit nicht verbergen können. Aber ich kann hier objektiv behaupten, dass es bei jenen Unternehmen, die ernsthaft Lean betreiben, eine signifikante Mehrheit gibt, die überdurchschnittlich erfolgreich sind und tatsächlich die Menschlichkeit ganz oben auf ihrer Werteskala ansiedeln. Es gibt sogar welche, die in ihren Visionen und Zielen neben den üblichen Erfolgsfloskeln auch ganz offiziell dazu stehen „einen Mehrwert für die Gesellschaft“ schaffen zu wollen. Diese Unternehmen sind nicht selbstlos, wie es für manche den Anschein haben mag. Sie leiden auch nicht an irgendeinem industriellen Mutter-Teresa-Syndrom, sondern sie haben schlicht erkannt, dass es für sie selbst und ihren wirtschaftlichen Erfolg langfristig höchst zuträglich ist, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, bestimmte moralische Regeln einzuhalten und ihre Mitarbeiter als ihr höchstes Asset zu sehen.

So gesehen ist es weniger „eine Frage der Ehre“ als eine des Hausverstandes. Wenn man zusätzlich noch etwas mehr Weitblick als ein durchschnittlicher Goldfisch einbringen kann, sollte man die Zusammenhänge zwischen motivierten, geschätzten Mitarbeitern und dem langfristigen Firmenerfolg erkennen.

Es ist also letztlich egal, ob eine Firma sich der Lean-Philosophie verschrieben hat oder aus anderen Gründen vernünftige Werte hat und auf die Menschen, die für sie arbeiten, vertraut. Und in diesem Sinne hoffe ich das Beste für Revox und wünsche ihnen alles Gute.

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