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Freitag, 3. Mai 2024
Bettgeschichten - Teil 2

Vom Kommen und Gehen

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 17.09.2017 | Bilder | |  Archiv

In den vergangenen Wochen hat sich – für mich wenig überraschend – einiges getan, auf meinem Nachtkastel. Und weil sich gezeigt hat, dass es tatsächlich gar nicht so wenige Menschen gibt, die sich für das rege Kommen und Gehen neben meinem Bett interessieren, möchte ich – im heutigen zweiten Teil – gerne wieder von meiner ganz persönlichen Welt zwischen (und mit) den Zeilen berichten. 

Ich gebe zu, dass ich einigermaßen erstaunt war, wie viele Leser es unter unseren Lesern gibt. Genau genommen Bücherleser unter den E&W-/elektro.at-Lesern. Das bedeutet, für wie viele Menschen Bücher mehr sind als willkommene Schalldämpfer an den Wänden, temporäre Platzhalter für Urlaubskitsch oder Ersatzbeine für demolierte Möbelstücke.

Fast könnte man meinen, dass eine Selbsthilfegruppe von ABNs (Anonyme BücherNarren) vielleicht sogar mehr Zuspruch erhalten würde als jene der anonymen Alkoholiker. Und das will was heißen… Nebenbei bemerkt würden sich natürlich auch einige Doppelbelegungen finden, aber das ist eine andere Geschichte.

Zur Erinnerung: Ich möchte elektro.at am Sonntag nutzen, um einmal im Monat zu berichten, was sich gerade auf meinem Nachtkästchen befindet und warum. Welches Buch den anderen gerade die Show stiehlt oder welches schon Staub ansetzt und dennoch nicht ins Bücherregal muss. Oder welches schon auf der Abschussliste steht und ganz sicher bald verschwinden wird. Dazu gibt’s eine kurze Vorschau (Nachtkastel-Prognose der aktuellen Bücher) und eine ebensolche Rückblende bezüglich des Verbleibs der besprochenen Bücher des vergangenen Monats.

 

Was bevölkert aktuell mein Nachtkastel?

Wiener Straße (Sven Regener; Galiani)

Worüber müssen wir nachdenken? – Was die führenden Köpfe unserer Zeit umtreibt (Herausgegeben von John Brockmann; Fischer Taschenbuch)

Totenfrau (Bernhard Aichner; btb)

Peter Handke, Siegfried Unseld – Der Briefwechsel (Herausgegeben von Raimund Fellinger und Katharina Pektor; Suhrkamp)

Der seltsamste Mensch – Das verborgene Leben des Quantengenies Paul Dirac (Graham Farmelo; Springer)

Die Königin schweigt (Laura Freudenthaler; Droschl)

Der Wolkenatlas (David Mtchell; Rowohlt)

 

Wiener Straße

Ich bin seit vielen Jahren schon bekennender Regener-Fan und habe bislang alle seine Bücher gelesen – die „Einstiegsdroge” war Herr Lehmann, das später sehenswert(!) verfilmt wurde.

Klappentext: Kreuzberg, Anfang der 80er Jahre – das war ein kreativer Urknall, eine surreale Welt aus Künstlern, Hausbesetzern, Freaks, Punks und Alles-frisch-Berlinern. Jeder reibt sich an jedem. Jeder kann ein Held sein, Alles kann das nächste große Ding werden. Kunst ist das Gebot der Stunde und Kunst kann alles sein.

Wiener Straße beginnt im November 1980 an dem Tag, an dem Frank Lehmann mit der rebellischen Berufsnichte Chrissie sowie den beiden Extremkünstlern Karl Schmidt und H. R. Ledigt in eine Wohnung über dem Café Einfall verpflanzt wird, um Erwin Kächeles Familienplanung nicht länger im Weg zu stehen. Österreichische Aktionskünstler, ein Fernsehteam, ein ehemaliger Intimfriseurladen, eine Kettensäge, ein Kontaktbereichsbeamter, eine Kreuzberger Kunstausstellung, der Kampf um die Einkommensoptionen Putzjob und Kuchenverkauf, der Besuch einer Mutter und ein Schwangerschaftssimulator setzen eine Kette von Ereignissen in Gang, die alle ins Verderben reißen. Außer einen!”

Nachtkastel-Prognose: Wird in einem Zug ausgelesen und bald ins Bücherregal zu den anderen Regener-Bücher wandern. Zweifel ausgeschlossen.

 

Worüber müssen wir nachdenken?

John Brockmann, der ehemalige Aktionskünstler, Herausgeber, Literaturagent und Autor zahlreicher Bücher stellt in diesem Buch verschiedensten Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Bereichen der Wissenschaft, aber auch Künstlern, die Frage, über welche Themen sie nachdenken und meinen, dass andere das dringend auch tun sollten. Ist nicht nur kurzweilig, sondern äußerst lesenswert und regt zum Nachdenken an. Stellvertretend möchte ich hier den Beitrag von Terry Gilliam, u.a. Mitglied von Monty Python zitieren. Er ist mit Abstand der kürzeste Beitrag, geht aber unter die Haut: „Ich habe es aufgegeben, mir Sorgen zu machen. Ich treibe einfach auf einem Tsunami der Akzeptanz von allem, was das Leben für mich bereithält … und staune wie blöd.”

Nachtkastel-Prognose: Das ist kein Buch, das man in einem Zug ausliest. Es wird daher noch länger neben meinem Bett verweilen und immer wieder gerne zur Hand genommen.

 

Totenfrau

Neben all dem intellektuellen Bücherfutter, müssen auch Krimis – und ihre etwas härteren Pendants, die Thriller – sein. Das ist die Art von Büchern, die ich in meiner Kindheit und Jugend verbotenerweise, weil bis weit nach der angeordneten Schlafenszeit, unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe gelesen habe. Gute Krimis/Thriller sind echte Pageturner und lassen mich alles rund um mich vergessen. Die Totenfrau – erster Teil der Totenfrau-Trilogie – ist so einer.

Klappentext: Blum ist Bestatterin. Sie ist liebevolle Mutter zweier Kinder, sie besticht durch ihr großes Herz, ihren schwarzen Humor und ihre Coolness. Blum fährt Motorrad sie trinkt gerne und ist glücklich verheiratet. Blums Leben ist gut. Doch plötzlich gerät dieses Leben durch den Unfalltod ihres Mannes aus den Fugen. Vor ihren Augen wird Mark überfahren. Fahrerflucht. Alles bricht auseinander. Blum trauert, das Wichtigste in ihrem Leben ist plötzlich nicht mehr da. Ihr Halt, ihr Glück. Durch Zufall findet sie heraus, dass mehr hinter dem Unfall ihres Mannes steckt, dass fünf einflussreiche Menschen seinen Tod wollten. Blum sucht Rache. Vor allem aber stellt sie Fragen. Was ist wirklich passiert? Warum musste Mark sterben? Als sie die Antworten gefunden hat, schlägt sie zu. Erbarmungslos. Warum sie dazu fähig ist? Die Antwort darauf liegt Jahre zurück.”

Nachtkastel-Prognose: Diesem Buch ist mit Sicherheit nur kurze Verweildauer beschieden. Einfach zu spannend… Wird ruckzuck ausgelesen.

 

Die Königin schweigt

Ich gebe zu, bei Autorin Laura Freudenthaler bin ich befangen, weil ich Seite an Seite mit ihr in der Leondinger Akademie für Literatur über einen Zeitraum von neun Monaten versucht habe, an meinem Stil zu feilen. Nun gut, Sie war schon zu Beginn deutlich besser als ich und hat den Vorsprung mehr als halten können. In Genderfragen haben wir uns auch schon mal in die Haare gekriegt, aber immer mit Respekt voreinander gestritten. Eines muss jedenfalls gesagt werden: Die Frau kann schreiben! Und obwohl das Thema im Normalfall nicht zu meinen bevorzugten gehört, war klar, dass ich ihr mittlerweile zweites Buch (das erste war der Erzählband „Der Schädel von Madeleine. Paargeschichten.”) sofort kaufe und aufmerksam lese.

Klappentext: Fanny, die Königin, ist eine vom Schicksal immer wieder hart getroffene Frau, die ihren Lebensabend allein verbringt und über alles Vergangene schweigt. Auch das Tagebuch auf ihrem Nachtkästchen, ein Geschenk ihrer Enkelin, lässt Fanny unberührt liegen, statt es Seite für Seite mit den Tragödien des Erlebten zu füllen. Doch in Tagträumen und schlaflosen Nächten kann sie sich der Erinnerungen nicht erwehren und wird von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht: Wir begleiten Fanny durch alle Lebensphasen, beginnend mit der Kindheit auf dem elterlichen Hof in den 1930er-Jahren bis nahe an ihren Tod.”

Nachtkastel-Prognose: Wird in den kommenden vier Wochen mit Genuss ausgelesen und anschließend achtsam ins Regal gestellt. Bekommt einen besonderen Platz gleich neben die tollen Bücher meines Lehrers Gustav Ernst.

 

Der Wolkenatlas

Dieses Buch ist ein bekannter Gast auf meinem Nachtkastel. Ich habe es vor ein paar Monaten nach einer Empfehlung zu lesen begonnen und war von der ersten Seite an gefesselt, fasziniert von der wunderbaren Sprache und den spannenden Geschichten. Solange, bis ich es mittendrin weggelegt habe. Warum? Das erkläre ich gerne. Vorab noch Wichtiges zum Buch: Man muss wissen, dass es aus vielen verschiedenen Geschichten besteht, die im Laufe der Zeit kunstvoll ineinander fließen und ich das Urteil der NZZ („Mitchell kartographiert Seelen und schreibt Weltliteratur”) nur unterstreichen kann.

Dazu der Verlag: Sechs Lebenswege, die sich unmöglich kreuzen können: darunter ein amerikanischer Anwalt, der um 1850 Ozeanien erforscht, ein britischer Komponist, der 1931 vor seinen Gläubigern nach Belgien flieht, und ein koreanischer Klon, der in der Zukunft wegen des Verbrechens angeklagt wird, ein Mensch sein zu wollen. Und dennoch sind diese Geschichten miteinander verwoben. Mitchells originelle Menschheitsgeschichte katapultiert den Leser durch Räume, Zeiten, Genres und Erzählstile und liest sich dabei so leicht und fesselnd wie ein Abenteuerroman.”

Das kann ich alles unterschreiben. Und dennoch habe ich vor ein paar Monaten auf Seite 329 aufgehört zu lesen (das Buch hat insgesamt 668 Seiten). Warum? Weil eine der Geschichten in einem für mich schwer lesbaren Dialekt erzählt wird und mich das völlig aus dem Leserhythmus gebracht hat. Dabei hatte ich mir bis dahin immer wieder Sätze und Passagen angestrichen, weil ich den Stil Mitchells derart gut gefunden hatte. Einer der Sätze: „J. wird sehr lästig. Nach dem Liebesakt macht sie sich in meinem Bett breit wie ein muhendes Mondkalb.”  Oder: „Der Herbst tauscht seine Milde gegen eine dornige, faulige Zeit. Erinnere mich nicht mal, dass der Sommer sich verabschiedet hat.” Jetzt jedoch ist fix: Ich gebe ihm noch eine Chance.

Nachtkastel-Prognose: Ich quäle mich durch das 92-Seiten starke Kapitel „Sloosha´s Crossin´ un wies weiterging” und lass mich dann wieder von Mitchell verzaubern. Das Buch muss ausgelesen werden…

 

Der seltsamste Mensch

Ich weiß noch, wie ich Werner Heisenbergs Buch „Der Teil und das Ganze” in einem Rutsch verschlungen habe, genauso wie die Princton-Geschichte Albert Einsteins (mir fällt gerade der Titel nicht ein). Immerhin wollte ich – bevor mich die Faszination der Computer ins Informatik-Studium trieben – immer schon Physik studieren, gefesselt von der geheimnisvollen Welt der Quanten, Krümmungen in der Raumzeit und den Geheimnissen unseres Universums. Vor kurzem kam ich dann wieder einmal mit Paul Dirac in Berührung, einem der Revolutionäre der Physik und wurde auf dessen Biographie aufmerksam.

Klappentext: „Der britische Physiker Paul Dirac war eine Figur aus tausend Widersprüchen, die ihn zu einem der seltsamsten Menschen seines Jahrhunderts machten: wortkarg, doch perfekt beim Verfassen wissenschaftlicher Texte, von linkischer Schüchternheit dem weiblichen Geschlecht gegenüber, übergenau und prinzipientreu gegenüber Kollegen und Studierenden, aber vollkommen hingerissen von der Micky Maus; kalt wie ein Eiszapfen, aber bereit, bis zum Letzten zu kämpfen, um einen engen Freund zu verteidigen. In seiner Zeit, in der sich die bizarrste Physik der Weltgeschichte entfaltete, war er derjenige, der das Gebäude der Quantenmechanik von innen her aufbaute und dabei – vor jeglicher experimenteller Bestätigung – die Antimaterie ´erfand´…” Wenn das nicht vielversprechend klingt…

Nachtkastel-Prognose: Wird mich schon aufgrund des Umfangs (600 Seiten) noch ein Weilchen begleiten. In jedem Fall warten da viele vergnügliche Stunden auf mich, Eintauchen in eine faszinierende Welt inklusivie…

 

Peter Handke, Siegfried Unseld – Der Briefwechsel

Das Buch ist ein Vergnügen der Extraklasse: Hier der angehende Stern am Literaturhimmel, von sich überzeugt, schwierig, insistierend. Dort der erfolgreiche Verleger, unheimlich kompetent, hart in der Sache, aber schließlich immer die Balance suchend, eine Persönlichkeit.

Der Briefwechsel der beiden zieht sich über 35(!) Jahre und 700 Buchseiten und entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann, weil es auch für „normale” Leser interessante und tiefgehende Einsichten in den zeitgenössischen Literaturbetrieb erlaubt. Auf der Rückseite des Buches werden der erste und der letzte Brief der beiden zitiert. Der erste Brief vom 10. August 1965: „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen. Ich glaube, dass sich Ihre Arbeit neben denen von Peter Weiss und Ror Wolf gut ausnehmen und die Perspektiven dieser Autoren weiterführen wird. Nun scheint mir freilich ein Gespräch über Einzelheiten erforderlich zu sein. Ich sehe Ihr Manuskript gerne bei uns als Buch. Mit freundlichen Grüßen, Siegfried Unseld.

Der letzte Brief vom 18. April 2002: „Lieber Siegfried, Du bist der Verleger, und also bist Du es, dem ich das beiliegende Stück ´Untertagblues´, entstanden zwischen Dezember und jetzt, schicke. Ich wünsche Dir ein gutes Lesen. […] Ich fahre morgen für 5 Tage nach Jugoslawija. Ab 24.4., so die Umstände gnädig sind, werde ich zurück in Chaville sein. So grüßt Dich – trotz allem frühlingshaft – Dein Peter. Dazwischen liegen 35 Jahre, zahlreiche Werke Handkes, Zwistigkeiten, Versöhnungen, Respektsbekundungen und allerlei Allzumenschliches.

Nachtkastel-Prognose: Dieses Buch lädt zum regelmäßigen Schmökern ein und wird die nächsten Wochen und Monate immer wieder zur Hand genommen. Wird nicht so rasch von meinem Nachtkastel verschwinden…

 

Wie erging es den Büchern vom vergangenen Monat?

 

Letzter Saibling – Ein Altaussee-Krimi (Herbert Dutzler)

Ist-Zustand: Steht bereits wieder im Bücherregal – mit Vergnügen gelesen.

 

Tagebuch I (Henry D. Thoreau)

Ist-Zustand: Musste Neuzugängen weichen – das Leben kann hart sein…

 

Die siebte Sprachfunktion (Laurent Binet)

Ist-Zustand: Habe es mit Genuss ausgelesen und bereits ein anderes Buch des Autors auf der Warteliste

 

Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung (Hartmut Rosa)

Ist-Zustand: Das Ziel, es trotz des Umfangs von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen, habe ich nicht aufgegeben, es musste aber dennoch ins Arbeitszimmer abwandern. Verstaubt dort jedoch garantiert nicht.

 

Eierlikörtage – Das geheime Tagebuch des Henrik Groen, 83 ¼ Jahre (Henrik Groen)

Ist-Zustand: Mit Genuss ausgelesen und im Regal verstaut.

 

The Road to Reality – A complete Guide to the Laws of the Universe (Roger Penrose)

Ist-Zustand: Meine Begeisterung ist nicht erkaltet (im Gegenteil!), es musste aber aufgrund von Neuzugängen und seines Umfangs (ist zu schwer, um es lange Zeit im Bett zu lesen) ins Arbeitszimmer abwandern.

 

Ein Trottel kommt selten allein (Michael Niavarani)

Ist-Zustand: Liegt noch immer auf dem Nachtkastel, habe allerdings noch keine einzige Seite weitergelesen. Also: Warten wir´s ab…

 

Das Einstein Enigma (J.R. Dos Santos; Luzar Publishing)

Ist-Zustand: Wie vorhergesagt rasch gelesen – war ein Vergnügen.

 

Fortsetzung folgt…

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Jeden Abend die Qual der Wahl: Welches darf´s denn heute sein...
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